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Berliner Verwandlungen

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Auf dem Flugplatz Hamburgs machen sich englische, amerikanische, schwedische und französische Fluglinien Konkurrenz. Die englische Dakotamaschine, die uns in dreiviertel Stunden nach Berlin bringt, denn wir haben zwar ein Visum für die Westsektoren Berlins, dürfen aber nicht durch die Ostzone fahren, ist mit nur drei Personen besetzt. Als wir den Zubringerwagen am Kurfürstendamm in Berlin verlassen, liegt ein strahlender Frühlingsmorgen über der Stadt. Die Sonne bescheint jedoch wie in München provisorische Holzbuden und einstöckige Häuschen, straßauf und straßab, wo früher mächtige Zinshäuser standen. Die zerstörte Gedächtniskirche ragt zwischen den Trümmern grasüberwachsen empor. Die Tage in Berlin werden zu einer Kette erschütternder Eindrücke, die um so nachhaltiger 6ind nach den positiven Erlebnissen in Hamburg, Frankfurt und München. Die vielen alten Freunde betrachten uns wie ein Gespenst von einem anderen Stern. Eine seltsame Resignation hat die Menschen erfaßt. Das Bewußtsein, auf einer Insel zu leben, wird immer stärker und bitterer. Tiefer noch als der Konflikt mit der Ostzone, dieses grauenhafte Schicksal einer geteilten Stadt, lastet auf den Westberlinern das Gefühl, von Westdeutschland verlassen zu sein, ausgeschlossen zu sein aus der allgemeinen aufstrebenden Entwicklung der Bundesrepublik, worüber auch die sozialen und politischen Hilfen nicht hinwegtäuschen können. Fast 300.000 Arbeitslose hat Westberlin, die mit 100 Mark im Monat leben müssen. Sie können damit nur leben, so grotesk es klingt, durch Ostberlin. Der Pfennig von hüben und von drüben steht im Verhältnis von 1 :5. Durch das Mißverhältnis des Kurses

sind sogar in den großen SED-Kaufhäusern, den HO - Läden, wo man alles ohne Marken bekommt, die Dinge um 50 Prozent billiger. Allerdings nur für den Westberliner, da ja die Ostberliner dem Kurs nach auch nur ein Fünftel des Einkommens der Westberliner haben. Die kuriosesten Verhältnisse ergeben sich aus dieser Lage, die weder vom Osten noch vom Westen gesteuert wird und natürlich zu einem wirtschaftlichen Chaos führt. Den Schmugglern und Schiebern geht es dabei gut. Skandale dieser Art bis jn die höchsten Stellen sind an der Tagesordnung.

Dabei erst ar rt Westb er 1 in zur Provinz. Die Fabriken stehen still, der Verkehr in der einstigen Hauptstadt des Reiches entspricht einer mittleren deutschen Kleinstadt. Dennoch erlebt man das Unwahrscheinliche, daß Westberlin immerhin noch lebt, wenn auch recht und schlecht, im Vergleich zu dem, was einem jenseits des Brandenburger Tors und des Potsdamer Platzes begegnet.

Als ich auf dem Alexanderplatz die U-Bahn verließ und den Boden der Ostzone betrat, mußte ich mich eine Weile

besinnen, so unfaßbar war mir der Eindruck. Genau so hatte ich 1942 und 1943 den Bahnhof in Minsk oder Charkow verlassen und war vor dem gleichen Bild gestanden. Ostberlin ist e in Stück Rußland geworden. Nur wer Charkow oder Minsk oder Kiew sah, wird es begreifen. Nur wer dort durch die Kaufhäuser ging und nun 1951 in Berlin durch die Leipziger Straße geht oder sich in einem der HO-Warenhäuser von Stockwerk zu Stockwerk durch die drängenden Menschenmassen schiebt. In der Haltung, .in der Kleidung, in den gedrückten, unsicheren Blicken, in der Art, wie die Menschen in den minderwertigen Massenwaren, den schlechten Stoffen, dem geschmacklosen Geschirr wühlen, erlebt man den russischen Alltag wieder, Vie in den Bildern und Transparenten, die an allen möglichen und unmöglichen Stellen Planerfüllung, Frieden versprechen und die Größen der Ostzone Meiern. Dieses Phänomen ist nicht einmal ein politisches, es ist ein seelisch-psychologisches. Der Untergang des Abendlandes wird hier in der Versteppung einer Kulturstadt demonstriert, und es gehört dazu, daß dort, wo das Schloß stand, sich heute Holztribünen auf dem märkischen Sand erheben und Fahnenstangen und Lautsprecher und Transparente und Spruchbänder die Offenbarungen einer neuen besseren Welt verkünden. Wer vermöchte angesichts dieser Bilder daran zu glauben?

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