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Das Stück vom „Stellvertreter“

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„Das Stück ist ein Requiem für Millionen Tote“, rief Direktor Leon Epp, nachdem er mitten in der Premiere auf die Bühne des Volkstheaters geeilt war, voller Sorge, die Ruhestörer könnten ihm die Aufführung zuschanden machen. Als Requiem hatte Leon Epp das ebenso „/ragwürdige“ wie „fragwürdige“ (Friedrich Heer) Trauerspiel „Der Stellvertreter“ von Rolf Hochhuth inszeniert, das nur sehr einengend als „Papststück“ bezeichnet werden kann. Die ungeheuerliche — übrigens die einzige — Szene (im 4. Akt), in der Pius XII. persönlich auftritt, ist, wenn überhaupt, nur gläubig würdig zu machen durch weit schlimmere Ungeheuerlichkeiten: die Grausamkeit an Millionen Unschuldigen. Daraufhin zielt die „Wiener Bearbeitung“ von Leon Epp. Es beginnt — nach einem einleitenden Gespräch beim Nuntius — mit der auf deutschsprachigen Bühnen noch nirgends gespielten zweiten Szene im Berliner „Jägerkeller“, dem „dienstverpflichteten“, bombensicheren Gästehaus für Funktionäre und Bonzen. Dorthin hat Adolf Eichmann, der Spezialist für die „Endlösung“, zu einem Kegelabend eingeladen. Da tummeln sie sich nun, SS-Ärzte, große und mittlere Funktionäre, Militärs, Rüstungsindustrielle von der Ruhr, treiben ihre makabren Spaße, schmieden Pläne. Der Name Auschwitz fällt, das eigentlich Furchtbare wird hier vorbereitet zwischen Gelächter, Zurufen, blasphemischen Chansons, Kegeln und eifrigem Pokulie-ren: des deutschen Spießers Walpurgisnacht im Rattenloch — eine der stärksten Szenen der Aufführung. Mit erschreckend gut getroffenem Ton wird hier die Prominenz des Unmenschen als der Typus vorgestellt, der sie wohl gewesen sein muß.

Von den mehr als drei Dutzend Haupt- und Nebenpersonen .-des Stückes, das Trauerspiel und szenische Reportage zugleich sein will, sind viele historische Gestalten oder haben Züge von historischen Personen. Im Mittelpunkt steht die erfundene Figur des jungen Jesuitenpaters Riccardo Fontana, der den Konflikt, den das Stück über Papst und Kirche verhängt, als einzelner austrägt, ich als Protest den Judenstern an die Soutane heftet und schließlich als Märtyrer mit einem Transport nach Auschwitz geht. Seine und die Aktion des SS-Offiziers Kurt Gerstein (einer ' historisch bezeugten Gestalt), der sich als überzeugter Christ in den national-| sozialistischen Machtapparat eingeschlichen hat, um von innen her gegen den Terror zu wirken, bilden den Kern der Handlung; Die Szene in Gersteins Berliner Wohnung, der* einen Juden bei sich verborgen hält, das Gespräch im Hause Fontana zwischen dem leidenschaftlich bewegten Riccardo und seinem Vater, Syndikus des Heiligen Stuhles, und dem Kardinal, die Verschleppung einer Judenfamilie in Rom sowie die Szene in einem der römischen Klöster, wo zahlreiche Judenfamilien vor dem nun auch in der Vatikanstadt einsetzenden Terror der Gestapo Zuflucht- gefnnden haben, leiten über zur großen und heiklen „Papstszene“. Hier besonders hatten die radikalen Striche des Bearbeiter und die alle in der Rolle des Papstes angelegten Überzeichnungen und yer-zeichnungen meidende Darstellung (durch Adolf Spalinger, einen Gast aus Basel) bewirkt, daß in der Auseinandersetzung mit dem jungen Riccardo, der in Anwesenheit seines Vaters und des Kardinals mit aller glühenden Leidenschaftlichkeit eines kompromißlosen Glaubens Pius XII. zu einem Protest bewegen will, doch auch die Tragik dieser Gestalt offenkundig wurde. Die grandiose Spannung dieser Szene ließ vergessen, daß dem Autor die Gestalt Pius' XII. zu klein geraten ist. Er wird als kleinmütig und kalt hingestellt, der „Gefühle“ unterdrückt, wo es sich um „,Staatsraison“ handelt, wie es der alte Graf Fontana formuliert. In der eindringlichen Darstellung der Wiener Aufführung war der Papst eher eine achtunggebietende, furchtbar einsame Gestalt, die ihr „Non possumus“ zur Forderung nach einem spektakulären, zum Widerstand gegen die Judenverfolgungen treibenden Protest in einer tragisch ausweglosen Situation sprechen muß. Kein Wort, keine Geste ließ überhören oder übersehen, daß hier alle Schuld am Versagen der Welt gegenüber Hitler auf das Haupt des Papstes gehäuft wurde, daß aber die Anklage des Stückes nicht nur das Schweigen des Papstes meint, sondern das sämtlicher Kirchen, aller Politiker, aller Gläubigen und Nichtgläubigen, unser aller, aller Mitschuld.

Nach einer knappen Szene, in der sich noch einmal die rüde Brutalität eines SS-Offiziers bei der Vernehmung römischer Juden austobt, folgen die Schlußbilder aus dem Akt „Auschwitz“. Aber Auschwitz läßt sich auf der Bühne nicht realisieren und von Schauspielern nachspielen, denn dieses Thema liegt außerhalb der menschlichen Fassungskraft, ist die Geschichte gewordene Geisteskrankheit, die niemand mehr verstehen kann. In dieser Erkenntnis montierte Leon Epp nur Bruchstücke des an sich mißglückten Schlußbildes, so einen Gefangenenzug, aus dem die Anklagen des alten Mannes, des jungen Mädchens, der schwangeren Mutter zum Himmel steigen. Die Gegenüberstellung des Chefarztes und Selektierers von Auschwitz mit der „Fratze aus Trieb und Dreck und Idiotie“, kurz „Doktor“ genannt, und Pater Riccardo wurde im Sinn des Autors vom Regisseur wie eine Debatte, zwischen Teufel und Engel gestaltet. Doch hier reichen das menshliche Wort oder die Spuachgewalt des Dichters nicht mehr hin, die erschütternde Wirkung erschöpft sich im Rhetorischen. Das künstlerisch Unzulängliche des ganzen Stückes resultiert eben aus seiner fragwürdigen Mischform. Es ist Reportage und Kolportage, zeithistorisches Kolleg, Pamphlet und Reißer in einem. Um wieviel packender wirkt das stumme Requisit, das Riesengitter, das sich langsam herabsenkt!

Der Regieleistung Leon Epps und den fast durchgehend guten schauspielerischen Leistungen ist einer der erregendsten Theaterabehde der letzten Jahre zu danken. Von den zahlreichen Mitwirkenden seien nur einige genannt: Klau Höring als Pater Riccardo,' Edd Stavja-nik als Gerstein, Egon Jordan al6 Syndikus, Hans Rildgers als Kardinal, Viktor Gschmeidler als Pater General, Aladar Kunrad als teuflischer Doktor, Albert Rolant, Fritz Muliar, Herbert Probst als entsetzlich echte SS-Typen, Julia Gschnitzer als ergreifende jüdische Mutter. Das zweckmäßige und wirkungsvolle Bühnenbild stammt von Rudolf Schneider Manns Au. Die Reaktion des Publikums: Betroffenheit und Ergriffenheit, die sich in lebhaftem, lang anhaltendem Beifall, unterbrochen von heftigen Protestrufen, äußerte.

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