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DAS UNBEHAUSTE BUCH

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Bei der Gestaltung und Einrichtung von privaten Räumen war früher neben Zeitstil, Zweckmäßigkeit und den technischen Möglichkeiten hauptsächlich der persönliche Geschmack des Hausherrn beziehungsweise der Hausfrau bestimmend: ihr Verhältnis zu den Dingen fand sich in der Wohnung widergespiegelt. Heute steht ein Beruf in Blüte, der das Geschmacklich-Persönliche der Raumgestaltung fast ausschließlich besorgt, sei es direkt, sei es indirekt durch Geschmacksbildung in Form von zahllos und überall verbreiteten Abbildungen: der Innenarchitekt.

Seiner Wertung und seiner Anordnung unterliegen alle Einrichtungsgegenstände, also auch, wo es da ist, das Buch. Wie sieht er, wie schätzt er es ein? Ist ihm, wie Cicero, „ein Zimmer ohne Bücher wie ein Körper ohne Seele”? Beileibe nicht. Die Bücher will er wohl nicht missen, er sieht in ihnen aber nicht die Seele des Raums, sondern nur das schmük- kende Beiwerk, das Dekorationsmittel.

Man muß heute oft feststellen — Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel —, daß der bildende Künstler (der Innenarchitekt als Vertreter einer angewandten Kunst rechnet sich dazu) nicht mehr dasselbe enge Verhältnis zum Buch, zur Literatur, zum Wort hat, das der Dichter und Schriftsteller meist der Malerei, der Plastik und der Architektur entgegenbringt. Allenfalls Modeautoren sind ihm geläufig. Das Wort ist vor dem Bild auf dem Rückzug.

So sieht auch, wie gesagt, der Innenarchitekt nur noch das Dekorative des Buches, sei es im Schutzumschlag, sei es im Einband, sei es, aufgeschlagen, in der Bebilderung. Verleger und Buchkünstler scheinen ihm zu folgen: „Auf dem Weg zu einer optischen Literatur?” — diese Frage wird heute immer wieder gestellt. Vielleicht muß man das Hofmiller- Wort von den „Buchkünstlern mit ihrem veredelten Tapezierergeschmack” heute ganz wörtlich nehmen, denn auch diese scheinen bei der Buchgestaltung vorwiegend an die Raumdekoration zu denken. Könnte Georg Brittings Lesebehaglichkeit in einem mit Büchern dekorierten Zimmer auf- kommen?

„In einem niederen Sessel zu sitzen, in einem niederen, schwarzen Ledersessel, und Kaffee zu trinken und ein Buch in der Hand zu halten, ein aufreizendes, begehrlich machendes, ein verwegenes Buch, und an den Wänden, ringsumher an den Wänden Bücher, Bücher, Bücher, braune, rote und gelbe Bücherrücken, zusammengewachsen zu einem großen Tier, das dampfend lauert und gestreift ist wie ein Tigertier!” Nein, denn sie verlangt ein Zusammenwachsen der Bücher zur Seele des Raumes. Im modern gestalteten Bücherzimmer fallen sie auseinander: Auf einem in der Mitte des Raumes hängenden Regal — es kann auch halbhoch an der Wand stehen — sind sie mit attraktiven Schutzumschlägen ZVT Schau gestellt (früher machte der Bücherfreund die Umschläge gleich ab, heute sind sie ein wesentliches Schmuckelement), gemischt mit Vasen und Plastiken und Stäbchen und freien Durchblicken. Alles in allem ein wohlarrangiertes Durcheinander, in dessen Formen- und Farbenspiel das ganze Mobiliar mit einbezogen ist. In einer solchen Atmosphäre wird nicht mehr richtig gelesen, da wird nur noch geblättert!

Nichts gegen die Innenarchitekten, ohne die man heute nicht mehr auskommt, nichts gegen die moderne Wohnkultur! Im Gegenteil, es ist zu begrüßen, wenn Staub und Düsterkeit und Bücherschrankungetüme verschwinden.

Aber es ist bedrückend, daß das Buch, auch dort, wo es Heimstatt hat oder haben sollte, zum Dekorationsmittel erniedrigt wird, daß das Wort nicht mehr die ihm gebührende Behausung findet und immer mehr dem Bild weichen muß, daß die stille Schönheit eines geschlossenen oder aufgeschlagenen Buches, die Reinheit seiner Proportionen, sekundär geworden ist gegenüber dem Plakathaften des Umschlages. „Gibt es ein Ding auf Erden, das schöner ist als ein Buch? Seine Gestalt, ausgezeichnet, wenn auch auf ungefähre Weise, durch den Zauber des Goldenen Schnitts, vielsagend, jedenfalls mehr, als in den Umrissen seiner Gegenständlichkeit zu erkennen ist — denn daß es einen Text hat, davon kann man ja nicht absehen —, diese Gestalt besitzt die geheimnisvolle Einfachheit und Bedeutsamkeit eines Symbols.” An dieses Wort Hans Egon Holthusens sollte immer gedacht werden, wenn Bücher und Bücherräume gestaltet werden.

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