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Das Wunder von Barandov

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Dem „Wunder von Mailand" folgt in Wiens bisher sehr programmtreuem Art-Kino „Studio 1" ein neues, gleich irdisches Wunder: Tschechoslowakische Puppenfilme (farbig).

Sinfonia Barandova, quasi una fantasia in vier Sätzen. Allegro moderato: Die Geschichte vom König, der seine Eselsohren verbergen will; eine kräftige Anleihe bei „Des Kaisers neue Kleider" und von jenem sozial murrenden und grollenden Unterton, der echten Märchen so oft eigen ist (Märchen sind überhaupt Revolten: gegen den Verstand, gegen Mißstände, gegen die Unlogik und Unethik der Welt). Scherzo: ein reizendes Katz-und-Maus-Spiel von Puppen mit einer Katze; die tiefere Bedeutung: in der Eintracht liegt die Macht. Andante: Der Traum eines Glasarbeiters, etwas abstrakt verspielt, zauberhaft aber das Gesicht des Arbeiters hinter dem regentropfenverhängten Fenster. Presto: „Das Lied der Prärie", wohl die beste, volkstümlichste Travestie des Wildwesters, die wir kennen; mit Recht von internationalen Preisen überhäuft.

Die Puppen sind Kunstwerke mit sehr bezeichnender, slaw ch strenger, nur selten lieblicher Physiognomie (der Unterschied zu Walt Disneys Glamourgirls and -boys ist greifbar) und berückender Kostümierung. In der deutlich politischen Satire steigern sich die Kartoffelgesichter der Bösewichter manchmal zu dämonischer Fratzenhaftigkeit. wie überhaupt das ganze Reich dieser Marionetten in ein fahles Zwielicht getaucht erscheint. Es ist ein Geisterreich, bevölkert von menschlichen Abstraktionen und Komparativen, das hier einen beklemmend künstlerischen Ausdruck gefunden hat. Die „Katharsis" erfolgt auf komplizierten Umwegen. Die ganze höchst anspruchsvolle Gattung scheint uns vom üblichen Spielfilm weg zu einer eigentümlichen Mischform von illusionärer Dokumentarität hinzudrängen.

Eine sehr anständige österreichische Leistung auf dem Gebiete des Dokumentarfilmes zeigte die Erstaufführung des Films „Die Handelsakademien in Oesterreic h”. Eine an sich spröde Materie, ein bestimmtes Bildungsideal mit spezifischen Unterrichtsplänen und -mitteln, ist da unter den Händen kluger Schöpfer und Former (Hersteller: die Elternvereinigungen der Handelsakademien der Wiener Kaufmannschaft und das Unterrichtsministerium, Regie: Dr. Karl Koweindl und Dr. Wilfrieda Lindner, Kamera: Karl Reiterer) zu lebendigster Wirkung erweckt worden. Ansprachen des neuen Unterrichtsministers Doktor Drimmel, DDr. Felix Romaniks und Dr. Hans Wollingers gaben der Premiere den festlichen Rahmen.

Der neue Auftrieb österreichischer Kulturfilmarbeit und -förderung drückt sich netferdings in überaus verdienstvollen Kulturfilmabenden der Wiener Volksbildungshäuser aus. Der Stöbergasse folgt jetzt das Stammhaus selber: am 9. November findet in der Urania ein erster Kulturfilmabend statt. Die Normalkinos dagegen stehen noch immer im Schmollwinkel.

Der Spielfilm dieser Woche steht im Zeichen des deutlich erstarkten westdeutschen Films.

Da ist die „graue Eleganz", der Kavalier des deutschen Films, Willy Birgel, an dem 20 Jahre spurlos vorübergegangen sind, in dem sauberen Gesellschaftsfilm „Konsul Strotthoff“ ein nobler Verzichtet zugunsten der Jüngeren. Da präsentiert Käutner in „Bildnis einer Unbekannten" das deutsche Liebespaar, par excellence, Ruth Leuwerik und O. W. Fischer; sie erinnert an die Bergner, er an Wohlbrück, große Erinnerungen also und große Hoffnungen. Die Fabel des Films ist von echt Käutnerscher Verfänglichkeit, Riskanz und Amoralität; in Käut- ners Paradies ist der Apfel immer ab und die Menschen baden in unschuldiger Verruchtheit; ein Ehebruch ist folglich immer nur ein gesellschaftlicher, niemals ethischer Konflikt; überhaupt keinen Konflikt scheinen diese Dinge für die Wiener Jugendfilmkommission zu bedeuten, die solche Fabeln großzügig für jugendfrei erklärt.

Und da ist schließlich Kästners „Fliegendes Klas s enzimm e r", eine herzerfreuende Bubengeschichte voll strahlendem Humor und nobel getöntem Sentiment, ein Typus, den der ganze Film von heute nicht kennt. Man müßte Erich Kästners ganzes Oeuvre verfilmen. Es ist reicher, inniger, sauberer als das Wilhelm Buschs.

Gleich erfreulich, leicht faßlich und zauberhaft photographiert ist der russische Bubenfilm „Zwei Lausbuben auf Abenteue r”, die Erlebnisse zweier Kinder mit ihren Eltern auf einer sibirischen Forschungsstation. Prächtig im Vorprogramm der farbige Tierfilm „Im Urwald von Bjelowes h".

Filmschau (Gutachten der Katholischen Filmkommission für Oesterreich), Nr. 44, vom 4. November 1954: II (Für alle zulässig): „Das fliegende Klassenzimmer", „Zwei Lausbuben auf Abenteuer", „Das Lied der Prärie und andere Puppenfilme" — III (Für Erwachsene und reifere Jugend): „Konsul Strotthoff", „Wenn ich einmal der Herrgott wär’” — IV (Für Erwachsene): „Spur in der Wüste".

Die Evangelische FiIm g i I d e in Oesterreich empfiehlt als besten Film des Monats Oktober den englischen Film „Die Millionpfundnote".

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