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Der Engel der Verl ietten

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Ein englischer Lord, Sir John Whitaker, hat unlängst sein Landgut zur Verfügung gestellt, und zwar ausschließlich an — Verliebte. „Belebte Plätze", so der Edelmann, „sind für Liebende ungeeignet. Früher, als ich selbst auf Freiersfüßen ging, wählte ich einsame Pfade."

Beginnen wir damit, diesen Lord einen Engel von einem Menschen zu nennen. Wenige Menschen, außer Verliebte selbst, nehmen das Ver- liebtsein ernst. Die meisten Erwachsenen lassen sich geringschätzig darüber aus, ohne Verständnis dafür, daß sie ihm nicht nur ihr eigenes Ei wachsensein, sondern auch ihre Familie verdanken. Der Vater, der daheim bei der Teekanne und inmitten von Frau und Kindern seinen ältesten Jungen einen Gimpel nennt, weil dieser verliebt ist, macht sich einer groben Undankbarkeit schuldig Denn er verleugnet den Ursprung all dessen, wovon er umgeben ist, einschließlich des Gimpels selbst. Er vergißt gleichzeitig, daß er sein eigenes Entstehen den eigenartigen Gefühlen dankt, die seinen Vater und seine Mutter einander in die Arme getrieben haben. Kurzum: Verliebte gehören zu den vergessenen Volksgruppen. Aber sie unterscheiden sich von diesen in einem wesentlichen Punkt: daß sie diesen Zustand als erwünscht erachten. Und hier sind wir beim Irrtum unseres edlen Lords angelangt. Sir John hat wie folgt argumentiert: Verliebte suchen die Einsamkeit, also: öffne ich ihnen mein Landgut. So auf den ersten Blick ist diese Argumentation vollkommen logisch. Aber die Logik steht mit Amor auf gespanntem Fuß. Zärtlichkeiten sind eine Angelegenheit, die sich nicht vorher ankündigen läßt. Wer ein eigens dafür bestimmtes Stück Grund betritt, gibt damit zu erkennen: ich werde jetzt zärtlich. Er beraubt diese herrliche Tätigkeit eines ihrer unentbehrlichen Elemente: der Improvisation. Derselbe Laubengang, den man früher quasi zufällig eingeschlagen hatte, dieselbe Bank, die sich überraschend hinter einer Wegbiegung darbot, sie bekommen nun etwas Nachdrückliches, das die Fiktion eines aufkommenden Einfalls stört. Im Betreten dieses Parks liegt nun etwas Peinliches, weil die llltt- sion der Arglosigkeit ersetzt ist durch das Vorauswissen von etwas, das nur aus der Spontaneität geschehen kann. Man darf zwar vermuten, daß es so kommen wird. Man darf notfalls beinahe sicher sein, daß das Glück hinter der folgenden Wegbiegung verborgen liegt. Aber das Voneinanderwissen, daß diese Sicherheit da ist, und das gemeinsame Daraufhinmarschieren, das geht gegen die Lehre der Gnade.

Diese Einwände gelten in noch stärkerem Maß für das Stadium der Verliebtheit, welches noch vor der früheren Phase der verspielten Liebelei liegt. Das ist eine sehr zerbrechliche Angelegenheit. Das Mädchen weiß nicht, ob es geliebt wird, der Junge ist genau so wenig überzeugt davon, daß sie ihn nett findet. Sie gehen befangen nebeneinander her, in einer Art Götterdämmerung der sich nähernden Seligkeit. Ihr Gespräch springt nervös von einem Thema auf das andere, außer auf das eine, das beide erfüllt. Es wird geführt in einer stümperhaften Munterkeit, die die tiefsten Folterungen verbirgt. Wer kennt diese Peinigung nicht? Sie hat ihre Ursachen in dem Aufeinanderprallen von zwei Verlangen, des der Selbsterhaltung und des der Hingabe. Nichts wäre einfacher als zu sagen: ich hab’ dich lieb. Aber die entsetzliche Drohung der Entgegnung „ich dich nicht“ macht die Aussprache unmöglich. Die Antwort muß also geraten werden. Die Situation ist zu vergleichen mit einem Feldzug in unbekanntes Gebiet. An einem Augenaufschlag, an einem kleinen Zögern der Stimme, dem Dulden einer Hand auf einer Schulter, muß der Junge seine Erkundung ablesen. In diesem Zustand in Sir Johns Landgut einzurücken, ist strategisch ein äußerst untaktisches Manöver. Es würde bedeuten: ich bin deiner sicher. Die Arroganz einer solchen Tat würde, selbst wenn die Vermutung zu Recht bestünde, alles verderben. Dieser Ort muß also dringendst gemieden werden.

So sehen wir das Paradox entstehen, das Sir John dadurch, daß er sein Landgut den Verliebten öffnet, es hermetisch verschlossen hat. Früher, als es noch nicht vom Jawort des Besitzers besudelt war, hielten sie unbekümmert ihren Einzug. Aber durch dieses Wort sind sie daraus vertrieben. Sir John ist in der Tat ein Engel von einem Menschen. Aber er steht am Eingang seines Paradieses mit einem zweischneidigen Schwert von Ja und Nein. Es wird von nun an still sein. Denn die Verliebten bleiben draußen.

Autorisierte Uebertragung aus dem Holländischen von Marga E. Thiersfelder

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