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Der rettende Knopf

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Seine Exzellenz der neuernannte Korpskommandant Svetozar v. Boroevic war zur Inspizierung angesagt gewesen. Normalerweise war dies schon ein ausgesprochenes Ereignis für ein armes Regiment, diesmal kamen noch erschwerende Umstände in Betracht. Seine Exzellenz, ein wilder Kroate, der damals noch als einer der wenigen in der alten kaiserlichen Armee eine Kriegsauszeichnung — das Militärverdienstkreuz aus dem bosnischen Feldzug — trug, war nicht nur als Soldat bewundert, sondern auch, besonders unter den älteren Stabsoffizieren, gefürchtet — da er ein Verfechter zur Verjüngung der höheren Kommandostellen war und eine ausgesprochene Abneigung gegen kleine, dicke und vor allem bebrillte Offiziere hatte.

Uns jungen Offizieren, die wir alle gertenschlank waren, ließ das kühl, aber wir bangten um unseren Abteilungskommandanten, den Oberstleutnant Maresch, der uns allen ein lieber und väterlicher Kamerad war und so ziemlich alle Mängel hatte, die den Zorn des allmächtigen Generals heraufbeschwören mußten. Klein und stämmig, hatte er ein wohlgerundetes Bäuchlein, war eisgrau und trug zu allem Uberfluß auch noch einen Zwicker.

Die Tage vor der Inspizierung glichen nun einem ununterbrochenen Wirbel, Tage, die selbstredend 24 Stunden hatten,

wo am Sattelzeug und an der Beschirrung jede Schnalle x-mal geputzt und ebensooft von einem immer höheren Dienstgrad besichtigt wurden. Aber auch dieses Leid, das sich hauptsächlich auf uns Subalterne auswirkte, hatte ein Ende, als der Tag der Inspizierung kam.

An einem herrlichen Morgen stand nun das Regiment in Paradeaufstellung in geschlossener Linie auf dem Exerzierplatz. Im Galopp näherte sich eine erlesene Reiterschar, vorne die Exzellenz, gefolgt von unserem Regimentskommandanten und einem kleinen Stab. Kommandos erschollen, alle Trompeter schmetterten den Generalmarsch, und schon war der Allgewaltige vor uns. Unser Oberstleutnant erstattete die Meldung und machte auf seinem Riesengaul einen ganz passablen Eindruck, um so mehr, als er den Zwicker eingesteckt und den denkbar engsten Waffenrock angezogen hatte.

Nachdem der Herr Korpskommandant die Front abgeritten und hie und da einmal wohlwollend mit dem Kopf genickt hatte, befahl er, das Regiment in verschiedenen Gangarten vorzuführen. Stundenlang wurden wir nun in der Batterie, der Abteilung und schließlich im Regiment auf dem großen Exerzierplatz im Trab und Galopp herumgejagt, um endlich, umgeben von einer Wolke von Staub und Dunst, in unserer alten Paradeaufstellung zu landen. Und nun kam die Feldübung an die Reihe. Man kann wohl sagen, „die Übung“. Wir bezogen zuerst im Trab eine Bereitstellung, um dann im gestreckten

Galopp in die .eben erkundeten“ Feuerstellungen einzufahren. Man hatte damals keine Kriegserfahrung, die Hauptsache blieb das schöne Bild, besonders wenn der Inspizierende von der anderen Fakultät“ — in diesem Falle ein gebürtiger Infanterist war.

Die Sonne brannte uns fast das Gehirn aus, als endlich abgeblasen wurde: Regiment einrücken, die Herren Offiziere zur Besprechung! Geschlossen galoppierten wir dem Feldherrnhügel zu, wo uns General Boroevic schon erwartete.

Abgesessen hatten wir Aufstellung genommen und jetzt vernahmen wir die ersten an uns gerichteten Worte des Generals: „Bitte, meine Herren, kommod zu stehen, Karten heraus und —“, zu unserem lieben Oberstleutnant gewendet — „bitte mit der Besprechung zu beginnen.“

Der Arme, der uns gegenüber neben dem Allgewaltigen stand, bot jetzt „zu Fuß“ das ausgesprochene Bild des Jammers. Der Schweiß rann ihm über das gerötete Gesicht und auf den engen Waffenrock, der fast zu bersten schien. Die Stiefel hatten sich in Falten über die Waden gesenkt, und als er noch den Zwicker langsam aus dem Futteral zog, und zitternd aufsetzte, war es uns nach dem Blick, den der General auf sein Opfer warf, klar, daß jetzt auch die beste Besprechung nicht mehr viel nützen würde.

Unser väterlicher Kamerad tat noch einen vorschriftsmäßigen Bliek auf die Karte — dann ließ er sie sinken, ergriff mit der Linken den Säbel und tat noch vor Beginn seiner Rede einen tiefen Atemzug — und den hätte er nicht machen sollen. Denn diesem Seufzer hielt der vorletzte Knopf seines Waffenrockes nicht mehr stand. Mit einem deutlich hörbaren Knall sprang er fast horizontal ab und landete nach Absolvierung einer ziemlich rasanten Flugbahn, ein paar Meter vor Seiner Exzellenz, wo er glitzernd im Sande liegenblieb. Aber das Fürchterliche kam erst jetzt. Die solange zusammengepreßte Mitte hatte endlich den Durchbruch erzwungen und quoll direkt aus dem immer größer werdenden weißen Schlitz heraus, da konnte sich niemand mehr des Lachens erwehren. Seine Exzellenz hatte das natürlich auch gesehen, aber nachdem er prinzipiell nicht lachte, oder in diesem Falle nicht lachen wollte, so wandte er eich brüsk ab, flüsterte seinem AdjuJanten ein paar Worte au und ging ohne Gruß zu seinen Pferden.

Der Korpsadjutant verkündete uns nur, daß Seine Exzellenz entschieden habe, daß die Besprechung „später“ stattfinden werde, aber mit uns zu speisen wünsche. Unser Oberstleutnant war zuerst blaß wie eine Limonade geworcfehV dieser plötzliche Abbruch der Besprechung bedeutete das Ende seiner militärischen Laufbahn. Aber dann begann er fast hysterisch zu lachen. Da so schon alles aileseinS war, machte er sich auch noch den letzfen Knopf seines Waffenrockes auf, und 21 uns gewendet sagte er: „So, meine Herren, aufsitzen, und jetzt madien wir noch einen festen Galopp — wird wahrscheinlich so mein letzter sein,“

Zuerst ritt er aber nach Hause, um sich seinen weitesten Waffenrock anzuziehen und dann kam er ins Kasino zu seiner Henkersmahlzeit. Das Mah! verlief trotz allem ganz heiter — ja, der Herr Korpskommandant taute sogar langsam auf, und bei den Klängen seines ehemaligen Regimentsmarsches und einem Glas Wein vergaß er sogar auf die noch zu haltende Besprechung.

Als ihm sein Adjutant nach paar Stunden meldete, daß die Wagen, die ihn zur Bahn bringen sollten, schon vorgefahren und es langsam höchste Zeit sei. verabschiedete er sich von uns mit den Worten höchsten Lobes für das Regiment, und unserem Oberstleutnant gab er nicht ur freundlich lächelnd die Hand, er klopfte ihm sogar auf die Schulter und meinte: „Mein lieber Maresch, es ist alles sehr gut gewesen — und für das nächste Mal laß dir deine Knöpfe halt ein bißl besser annähen.“

Unter den Klängen des „Prinz Eugen“ rollten nun die Wagen zum Kasernentor hinaus, wir aber saßen noch lange im Kasino beisammen, um unsern alten, lieben Kameraden zu feiern.

Das nächste Verordnungsblatt brachte nicht seine Pensionierung, sondern seine Ernennung zum Kommandanten eines anderen Feldkanonenregiments, mit dem er auch in kurzer Zeit in den Krieg zog.

Was mit dem Knopf geschehen ist, weiß ich nicht — kh an Stelle unseres Oberstleutnants hätte ihn als Talisman aufgehoben und in einer Vitrine verwahrt, denn der allein hatte ihm sein militari-siehe Leben gerettet.

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