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Der „schweigende Stern“

19451960198020002020

Jenseits des schweigenden Sterns. Roman. Von C. S. Lewis. Deutsch von Ernst Sander. Im Verlag von Jakob Hegner, Köln & Olten. 233 Seiten. Preis 14.80 DM

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Jenseits des schweigenden Sterns. Roman. Von C. S. Lewis. Deutsch von Ernst Sander. Im Verlag von Jakob Hegner, Köln & Olten. 233 Seiten. Preis 14.80 DM

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Dieser erste Teil 'einer interstellaren Romantrilogie erschien', schon einßial, vor zehn Jahren, in .einer deutschen Uebertragung von Else v. Inhasz in der Wiener Amandus-Edition. Aber damals war Lewis im deutschen Sprachraum noch fast unbekannt, und in jener Zeit schockierten uns andere Bücher. Man las Orwells „1984", Huxleys „Schöne, neue Welt", Gohdes „Der achte Tag“ und die makabren Versuche über die bevorstehende Zukunft von Rex Warner, Kuehnelt-Leddihn und Van de Velde und den Rororo- Druck der utopisch-satirischen „Zeitmaschine" von H. G. Wells. Brillant geschrieben, aber grimmig, beschäftigen sich diese Bücher moderner Eschatologen mit dem kalten Krieg auf den Verlängerungslinien der Zeit, mit dem drohenden Koloß im Osten, den Konsequenzen eines totalen Totalitarismus, mit der Exstirpation des Humanen und dem entfesselten Leviathan. Sie zielten in die Mitte unserer Angst und waren weniger utopisch als zeitanalytisch. Ihr Raum blieb unsere Welt, und über unsere Wolkendecke ging es nicht hinaus. Die unendlichen Räume jenseits blieben kalt und stumm und unbeteiligt, und nur die Gohdesche Menschheit befürchtete vom Mars her eine vernichtende Invasion. In dieser Hinsicht fiel nun Lewis aus dem Rahmen, denn er war auf eben jenen Mars entwichen und hatte den entfernten Standort gewählt. Sein Unternehmen war weder Kulturkritik noch Analyse unserer Zeit noch ein sardonisches Gelächter über die Utopisten alten Stils mit ihren, Phantasien ypn einer , herrlichen Zukunft, sondern ein theologisch-romantisch-mythologischet Versuch, das luziferische Motiv der apokryphen Apokalypsen zu interpretieren. Im Bug, seines Raumschiffes, könnte man sagen, standen weder Ortega y Gasset noch Spengler, sondern der syrische Baruch und Henoch; und der Text, den er für seine romaneske Exegese mitbenützt zu haben scheint, war das 11. Kapitel der syrischen „Schatzhöhle".

Darum wurde bei ihm auch vieles anders. Er verlor sich nicht in der Ausgestaltung entsetzlicher Perspektiven, und das manchmal pedantisch-exakte Phantasieren über den Zustand unserer Menschheit in fünfzig oder zweihundert Jahren war kaum seine Lust. Er führte zwar ziemlich defekte Exemplare unserer Generation auf den Mars — einen Gelehrten, der über Leichen zu gehen bereit war im Namen des Fortschritts, und einen Manager von quälender Primitivität —, aber damit begnügte er sich und strapazierte seine Phantasie nicht weiter. Es ging um anderes.

Es ging ihm darum, uns zu sagen, daß man auf Mars-„Malakandra“ den Zustand unserer Erde sehr bedenklich fand. Sie galt in den außerirdischen Weiten als der „verstummte Planet“, als der „schweigende Stern“. Unter ihrer trüben miasmatischen Hülle hatte sie der „Große Krumme" umschlungen, Satan, Luzifer, der gefallene Engel, und in seinem Reich herrschten Haß und Gier, Tod, Neid und Verderben. Sie war zur Hölle geworden. Jenseits des schweigenden Sterns aber war „Maleldil“, der Schöpfer aller Welten, schwebten die „Eldil", die Lichtwesen, in der Harmonie der Sphären und lebten Menschen in einer noch immer paradiesischen Gemütsverfassung. Sie sahen zwar sonderbar aus, hatten die Gestalt der Wellsschen „Morlocken“, aber die Seele der Wellsschen „Eloi“ und schienen dem Mereschkowskischen Atlantis zu entstammen. Denn irgendwie ist in diesem Roman verschiedenes ineinandergeflossen: altorientalische Visionenliteratur und ein wenig Rosenkreuzerei, und das ganze kann man verstehen als einen Traum, als eine neue Himmelfahrt und als einen Nachhall der altkeltischen Imrama.

Darüber ist wohl nichts zu räsonieren und über den Gehalt ist kaum zu streiten. Solche Romane haben stets ein Alibi: die Phantasie und die poetische Lizenz. Es ist höchstens zu sagen, daß sich auch hier wieder zeigt: paradiesische Zustände sind schwerer zu beschreiben als höllische; und was spannend wirkt und faszinierend ist weniger das himmlische Gold als das irdische Schwefelgelb.

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