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Des Kaisers neue Kleider

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Zwei Schwindler — so erzählt uns Andersen in seinem Märchen „Des Kaisers neue KleideT“ — nützten die Sucht des Kaisers nach immer neuen Kleidern und versprachen ihm etwas ganz Besonderes. Sie nahmen reichlich Geld und den feinsten Stoff dazu, fuhren mit Schere und Nadel wild in der Luft herum, kurz: taten so als ob. Als sie „fertig wäre.“, taten sie selber ganz berauscht davon. Dem Kaiser aber redeten sie ein, die neuen Prachtkleider seien unsichtbar für jeden, der für sein Amt nicht tauge, und für alle Dummen. Wer aber will schon dafür gelten? Und so geschah es, daß der Kaiser selber, der in Wirklichkeit bloß in Hemd und Unterhose einherschritt, ab*r auch alle Höflinge in Begeisterung über seine neuen Kleider ausbrachen.

Zwei französische reine Ästheten, der Schöpfer des „Neuen Romans“, Alain

Robbe-Grillet, und Alain Resnais, legitimes Mitglied der Neuen Filmwelle, nützten die Sucht des Films nach immer neuen Stilen und drehten „Letztes Jahr in“ Marienbad“. Sie nahmen reichlich Geld und den feinsten Stoff dazu, fuhren mit Objektiv, Subjektiv und Schere wildt in der Luft umher, kurz: taten so als ob. Als sie fertig waren, taten sie selber ganz berauscht davon. Den Kritikern und Festspieljuroren aber redeten sie ein, die letzten Feinheiten des Films verschlössen sich grundsätzlich jedem, der für sein Amt nicht tauge, und allen Dummen. Da erhob sich ein gewaltiges Rauschen im Blätterwald, und von Venedig und Paris über Hannover und Mexiko bis Neulengbach regnete es Preise und Auszeichnungen — wer will schon amtsuntauglich oder gar dumm erscheinen?

In Andersens Märchen gibt es einen Zwischenfall. Im Spalier des Volkes erhob sich plötzlich die Stimme der Unschuld und rief ein kleines Kind: „Aber er hat ja gar nichts an!“ Der Ruf pflanzte 6ich fort, und alsbald rief alles Volk: „Er hat nichts an, er hat nichts an!“ Das verdroß den Kaiser sehr, denn es schien ihm, als ob sie recht hätten. Aber er dachte: Nun muß ich es aushalten I und nahm eine noch stolzere Haltung an, und die Kammerherren schritten noch feierlicher hinter ihm und trugen eine Schleppe, die gar nicht da war.

Auch übeT den Film „Letztes Jahr in Marienbad“ sagen Kind und Volk, es sei gar kein Film, es sei gar nichts da. Aber seine Schöpfer können nicht mehr zurück und reden und schreiben noch stolzer und noch gescheiter über ihr Werk, und die Höflinge und Lobsäner schreiten noch feierlicher hinter dem Film her und tragen eine Schleppe, die gar keine ist. ^

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Auch die Schöpfer des Wiener' Films ..Die Fledermaus“ nahmen viel. V'?l GeH und einen ganz, ganz feinen Stoff: die Operette der Operetten. Ach, hätten

sie doch mit der Schere nur in der Luft umhergefuchtelt! Aber sie verschnitten den feinen Stoff, das heißt sie verstümmelten das Libretto, verjazzten die Musik und , zogen so dem ungekrönten König Johann gänzlich neue Kleider an (nicht Fisch noch Fleisch, nicht Walzer noch Cha-Cha-Cha, nicht Fiederbaron noch Zigeunermaus). Hier biegt die Story stark aus Andersens und Marienbads Märchen. Was für scheußliches Kleid, rufen die Kinder. Das Volk aber ist taub, hört nicht und trägt viel, viel Geld herbei, damit noch viele, viele neue scheußliche Kleider für Kaiser und König genäht werden können.

Sommerolympiade 1960 in Rom, nacherlebt 1962 auf farbiger Leinwand: „Die großen Spiele“. Zeitlupe und Zeitraffer enträtseln die letzten Geheimnisse menschlicherHoffnuiigen und Enttäuschungen und entdeckten die verborgensten Schönheiten der Bewegung. , Schade, daß die deutsche Fassung des italienischen Films so großdeutsch und für uns Österreicher so unhöflich ausgefallen ist.

Ein sympathisches italienisches Lustspiel „Der Arzt und der Hexenmeister“ schmunzelt über einen menschlichen, im Grunde todernsten Tatbestand: Höllerhansls Chancen gegenüber dem sauberen Landarzt. Vittorio de Sica erspielt sich mit dem Honorar für sein brillantes komödiantisches Porträt das Kapital für seinen nächsten kapitalen Regiefilm.

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Filmschau (Gutachten der Katholischen Filmkommission für Österreich): I (Zu empfehlen für alle, ab 10): „Pro mundi vita“ “) — III (Für Erwachsene und reifere Jugend, etwa ab 16): „Die Fledermaus“ — IV (Für Erwachsene): „Caf£ Oriental“, „Die Irrfahrten des Herkules“, „Nicht schießen, Liebling, küssen!“ — IV a (Für Erwachsene, mit Vorbehalt): „Mädchen mit Vergangenheit“, „Betrogen bis zum Jüngsten Tag“ — IV b (Für Erwachsene, mit ernstem Vorbehalt): „Chi-kita“. „Die Stunde, wenn Dracula kommt“ — **) = empfehlenswerte Filme.

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