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Die Bühne als Beobachtungsfeld

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Schon anläßlich der Uraufführung seines ersten Stückes, „Das Nest”, hatte Johann A. Boeck beteuert, daß er beim Schreiben keinerlei Tendenzen verfolge, nur den dramatischen Gesetzen gehorche und keinen anderen Auftraggeber habe als die Vernunft und das Herz des Menschen. Das sei festgehalten und anerkannt. In dem klugen und für Boeck sehr charakteristischen Aufsatz „Von der Dramaturgie der Kollektive” im Programmheft ist von „neuen Dramaturgien” die Rede, die von der „Ihdividualistenbühne ins Theater der Kollektive hinüberzuwechseln” helfen sollen, damit „die Bühne mehr als bisher zum Beobachtungs- feld” werde, „auf dem wir zusätzliches Wissen über uns selbst gewinnen”. Es ist anzunehmen, daß Boecks neues Stück, „Jeanne 44”, bereits im Zeichen dieser „neuen Dramaturgien” geschaffen wurde.

Eine Gruppe junger Schauspieler führt in dem Haus einer reichen Mäzenin Probeszenen aus einem Stück auf, das zwei von ihnen verfaßt haben. Ein jüdisches, in jungen Jahren getauftes Mädchen vernimmt (gleich der historischen Jeanne d’Arc) die Stimme des Erzengels Michael, stellt sich während der deutschen Besetzung in Frankreich an die Spitze einer Bewegung, „Die weiße Lilie”, die im Sinn der Bergpredigt nur Liebe predigen, für die Verfolgten wie die Peiniger beten, im gewaltlosen Widerstand den Krieg besiegen und die gepanzerten Herzen der Menschen rühren möchte. Der Marquis ist dagegen. Das Mädchen wird gefangen, in ein Irrenhaus gesperrt und mit Drogen behandelt, worauf es sich in jähem Gesinnungswechsel der französischen Widerstandsbewegung zur Verfügung stellt. Aus der „weißen” ist die „rote” Lilie geworden, die mit der Maschinenpistole sehr wohl umzugehen versteht. Zweifel an dieser Umkehr verwirren sie wieder, und am Ende fällt sie unter den Kugeln der deutschen Verfolger. In diese Handlung ist eine zweite verflochten. Moira, die junge Schauspielerin, identifiziert sich sot leidenschaftlich mit ihrer „Traumrolle”, daß sie Jeanne, die Befreierin, nicht nur spielt, sondern ist und erlebt. Die zwei feindlichen Brüder der Mäzenin sind heftig in Moira verliebt, und als das „Stück im Stück” zu Ende geht, hait der eine von ihnen aus Eifersucht wirklich geschossen. Moira ist tot. Soweit die manchmal das Kolportagehafte streifenden Handlungen.

Große Fragen werden aufgeworfen: Der Mensch, „das Staubkorn”, und sein Gott, der einzelne und das Kollektiv, Gewalt und Widerstand, Krieg und Frieden, Kritik an den Mächtigen und auch den Stellvertretern Gottes in dieser Welt — um nur die wichtigsten zu nennen. Aber sie sind nur aufgeworfen, zuwenig ins Szenische, ins Dramatische umgesetzt. Es bleibt bei der Rhetorik, die Lyrisches, Hymnisches mit Nüchternem und manchmal auch Plattem mengt. Selbst über die vielen Vorbilder könnte man hinwegsehen, wäre nur auch die sprachliche Form, die so sehr den Kunstcharakter eines Werkes bestimmt, adäquat.

Die Inszenierung von Ulrich Erfurth im Akademietheater bringt durch den turbulenten Kulissenwechsel (Bühnenbilder Lois Egg) andauernd Bewegung auf die Bühne und damit oft mehr Lebendigkeit, als in der Szene an sich vorhanden ist. Die Darsteller boten gutes Ensemblespiel. Else Ludwig gab die Moira mit bemerkenswerter, wenn auch etwas unterkühlter Intensität. Von den zahlreichen Mdtwirkenden seien Hilde Wagener als Mäzenin und die Herren Auer, Wolf, Jost und Wilke genannt. Das Publikum, von dem geistigen Emst des Autors sichtlich beeindruckt, bedachte ihn und die Darsteller mit lebhaftem Beifall.

Das Theater in der Josefstadt spielt „Die inneren Stimmen” von Eduardo De Filippo. „Tarantella in drei Akten” nennt er sein Stück, der als Autor ebenso berühmt ist wie als Schauspieler, von Pirandello her kommt und aus dem neapolitanischen Volksleben schöpft.

Wie schön, wenn Filippo mit seiner Truppe wieder einmal mit dieser oder einer anderen Komödie nach Wien käme, um zu zeigen, wie man so ein Stück im vollendeten Gleichgewicht von lebendigem Humor und tieferer Bedeutung spielt.

Die Aufführung in der Josefstadt (Inszenierung Heinrich Schnitzler) war zu schwerfällig geraten, wenn auch Leopold Rudolf in der Hauptrolle brillierte und unter anderen Luzi Neudecker, Karl Fochler, Kurt Sowinetz und Michael Toost gut gefielen. Gottfried Neumann-Spallarts Bühnenbild (ein Magazin, bis zum Schnürboden hinauf mit Stühlen und anderem vollgepfropft) erntete Sonderapplaus. Das Publikum unterhielt sich gut.

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