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Die Rückkehr

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Es fällt schwer, diesem Buch gerecht zu werden, es fällt nidit einmal leicht, es Seite für Seite zu lesen. Denn es behandelt in einem Mischstil von. Roman, Reportage und Polemik eo ziemlich alle die fürchterlichen und tragischen, selbst im Banalen und Privaten noch unentwirrbaren Probleme, die Nationalsozialismus und Krieg geschaffen und hinterlassen haben: das Problem der kollektiven und der individuellen Schuld, der Reue des einzelnen und der Gesamtheit, das Problem des Emigranten, der nicht mehr weiß, wo seine Heimat liegt, des Remigranten, der angesichts der Not, die er bei seiner Rückkehr vorfindet, schwankt, ob er sich noch für einen Gerechten halten muß oder schon ein Pharisäer ist; das Buch nimmt Notiz von der inneren Emigration“, behandelt die Frage eines möglichen Neofaschismus und die der Liebe und des Ver-stehens inmitten der Verwüstung, zwischen der alten und der neuen Welt ... Allzu viele Fragen, allzu viele Probleme, zwischen denen die effektvolle Handlung ins Gedränge kommt. Werden sie gelöst? Nein! Es sei denn, man nehme die abschließende Oratio pro domo Austriae, gehalten vom Helden des Romans und seinem Autor, als allgemein verbindliche Lösung an. In ihr wird der Grundriß eines wahrhaft neuen, nicht in der Realität, sondern im Begriff, in der Sehnsucht und im Geist wirklich existierenden Österreich entworfen. Mag sein, daß dieser schöne und würdevolle Abschluß wenigstens im literarischen Zusammenhang Befreiung und Entlassung des Lesers aus aller aufgeworfenen Problematik bedeuten könnte — käme er nicht unvermutet und unvorbereitet, stünde er nicht im Widerspruch zu allem Vorhergegangenen. An der Ernsthaftigkeit der Rede für Österreich zweifeln wir nicht — so wenig übrigens wie an dem guten Willen des Autors, aufrichtig und rückhaltslos auch dort zu sein, wo es ihn selbst schmerzen muß. Aber im ganzen des Buches wirkt sie als Notlösung, als Versuch, den österreichischen Leser zu versöhnen, dem man auf 500 Seiten teils bereditigte, teils sehr unberechtigte und darum verletzende Vorwürfe gemacht hatte.

Denn es stimmt einfach nicht, daß Yehudi

Menuhin, der große Geiger, in Wien anläßlich eines Konzerts schlechte Kritiken erhalten hätte, weil er ein Amerikaner oder weil er ein Jude ist; im Gegenteil: Kritik und Publikum waren damals von ihm und seinem Spiel enthusiasmiert. Es ist unmöglich, daß ein Wiener jemals einem Amerikaner den guten Ernährungszustand vorgeworfen hätte; aus dem Buche Lothars könnte man entnehmen, daß die Wiener den Amerikanern ob der Zerstörung ihrer Oper hintergründigen Haß entgegenbringen, was nicht stimmt. Es ist nicht richtig, daß österreichische Richter zugunsten ehemaliger Nazis gegen Emigranten unverhüllt Stellung nehmen. (Uber diesen Angriff auf unsere Justiz wäre mehr zu sagen.) Und es ist auch nicht wahr, daß die Studentenschaft mit nazistischen und neonazistischen, weiß-bestrumpften Krakeelern gründlich durchsetzt oder unsere Universitätsprofessoren von faschistischen Ideologieresten nicht gänzlich frei sind. Es ist vieles nicht richtig gesehen, gehört und beobachtet in diesem Roman. Sein Tenor ist falsch. „Der Mann neben ihm schien um etwas gebeten zu haben. Felix bot ihm Zigaretten an; meistens war es das, was die hier haben wollten. Der Ton solcher Bemerkungen ist ungut, wenn auch menschlich begreiflich. Er zieht sich durchs ganze Buch. In ihm wird der Charakter der Wiener Bevölkerung, der österreichischen Justiz und Intelligenz, die Zustände in den Universitäten und Kunstinstituten geschildert. Gewiß, 1946 war eine böse Zeit, in der es an Charakterlosigkeiten nicht mangelte. Aber auch damals waren schäbige Zigarettenspekulanten, Künstlerinnen und Aristokratinnen, die sich für ein Mittagessen zu Konzessionen gegen den Anstand bereit fanden, waren Neonazis äußerst rar. „Die hier ...“, nein, das sind böse Verallgemeinerungen, schlimm, weil sie in der Reportagetechnik Lothars den Wert der „typischen“ Beobachtung zuerteilt bekommen. „Die“ Juden, „die Nazi, „die“ Deutschen, „die“ Amerikaner, „die“ Wiener, „die Emigranten, „die hier und „die“ drüben ... nein, dies ist nicht die Grammatik einer Sprache, die zum Verständnis führt.

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