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Die Tochter der Kathedrale

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Etwas spät kommt das Linzer Landestheater seiner Verpflichtung nach, der hundertsten Wiederkehr des Geburtstages Gerhart Hauptmanns zu gedenken. Dafür wartet es mit einer österreichischen Erstaufführung auf, der dramatischen Dichtung in fünf Akten, „D i e Tochter der Kathedrale“. Es ist ein typisches Alterswerk, reich an poetischer Schönheit, doch von eigenartiger Struktur. Realistik und Romantik, Geschichte, Sage und Mythos, Naturmystik und Magie sind engst miteinander ver-woben. Dem Vertreter der freien Geistkirche, P. Johannes, gab Hauptmann eigene Züge. Das Drama, eine Flucht aus der Weltsituation in eine Märchenwelt, ist eine Absage an den Krieg, ein Bekenntnis zum Frieden. Im Prolog macht uns der Dichter mit der zugrundeliegenden bretonischen Sage aus dem 13. Jahrhundert von zwei Zwillingspaaren und der Aussetzung des einen Mädchens bekannt, das Hauptmann allerdings nicht unter einer Esche (frene) daher ihr Name Frene — auffinden läßt, sondern in der Kathedrale. An Hand der Sage will der Dichter zeigen, wie sich Disharmonien in Harmonien verwandeln können. Mit der schwierigen Regie wurde Rolph d e 1 a C r o i x betraut, obwohl dieser bereits in Anouilhs „Ball der Diebe“ Schiffbruch erlitten hatte. Er begnügte sich, das Drama, oft recht unglücklich, zu kürzen und recht und schlecht ablaufen zu lassen. Nicht viel besser ist das Bühnenbild des aus Köln herbeigeholten Paul Haferung. Mit sehr guten Leistungen seien genannt als Trägerin der Titelrolle Christine Buchegger mit gewinnend

natürlichem, dabei eindrucksvollem Spiel und Elfriede Gollmann als Herzogin Ermelind, deren erschütternd dargestellte Schlußszene den Höhepunkt des Abends bedeutet. Gediegene, ausgeglichene Leistungen sind zu danken Berti Halovanic, Otto Burger, Isolde Stiegler und Martha Jenisch. Trotz Verzerrungen und , Scbwä-> chen bekam das PuhlikfamrheitVorstel-. lurig von der literarischen Bedeutung der Dichtung und dankte mit starkem Beifall.

Eine in jeder Hinsicht erfreuliche Begegnung bedeutete das Linzer Gastspiel des „Grünen Wagens“ mit Paul Claudels „Mi11agswende“ in der vom Dichter für Aufführungen vorgeschriebenen zweiten Fassung des Dramas. Hat durch die Bearbeitung das Werk zwar von seiner ursprünglichen Kraft eingebüßt, ist die abgeklärte Dichtung doch von hoher poetischer Schönheit und tiefem Gehalt. Es ist das stark autobiographische Drama eines Gottsuchers, der Gott nicht in sicherer Geborgenheit sondern nach Sünden und Wirrnis angesichts des Todes findet, nachdem Frau Yse als Gottes Werkzeug zu einer Mittagswende in sein Leben getreten war. Nach Thematik sowie Leistung in Sprache und Gestik steht unter der vorbildlichen Regie Wolfgang Liebeneiners Hilde K r a h 1 als Frau Yse im Mittelpunkt, bestens unterstützt von Pinkas Braun, Wolf A c k v a und Werner Schuhmacher. Sie alle konnten für ihre wertvollen künstlerischen Leistungen den verdienten Danlc des zahlreichen Publikums entgegennehmen.

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