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Die Überraschung blieb aus

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Die Wiener Kellertheater begannen das neue Jahr ohne Ueberraschung. Ein Lustspiel, ein Schwank, eine Tragikomödie, alle drei älteren Datums und jetzt mehr oder weniger aufpoliert, standen auf dem Programm. Man konnte sich also wie in einer der repräsentativeren Wiener Bühnen kurz vor Beginn der Theaterkrise fühlen; nur daß damals die Aufführungen ganz andere Besetzungen hatten. Man muß kein Prophet sein, um sagen zu können, daß diese Entwicklung, die dem Wesen der Kellerbühne so sehr zuwiderläuft, zu keinem guten Ende führen wird. Aber nehmen wir die Stücke einstweilen nur als Silvester- oder vorweggenommenen Faschingsscherz und warten ab.

Im Casanova hat sich nun noch ein B o u 1 e v a r d-theater etabliert, offenbar in der Annahme, daß Boulevardtheater eher verlangt wird und weniger verlangt als Kabarettdarbietungen. Das bleibt aber Ansichtssache. Als erstes Stück sah man das Lustspiel „Die Großfürstin und der Zimmerkellner“ von Alfred Savoir, in der deutschen Bearbeitung und Regie des Theaterkritikers Peter Loos. Den Humor hat die „Großfürstin“ nicht aus Rußland mitgebracht, den hat sie erst in der Emigration bekommen. Es isf nicht schwer, zu lachen, wenn man in der Schweiz oder in Frankreich lebt und der Zimmerkellner der Sohn des Hotelbesitzers ist. Da lassen sich sogar ein paar freundliche Worte über die Bolschewiken sagen, die einem das schöne Exil ermöglichten. Unerfindlich bleibt nur, warum dies durch die Hauptdarsteller in einem ohrenbetäubenden Kauderwelsch geschehen muß.

Das Theater am Parkring hält Frank Wedekinds Schwank „Der Liebestrank“ für geeignet, zur Feier der 90. Wiederkehr des Geburtstages des Dichters wiederaufgeführt zu werden. Wir halten ihn für gänzlich ungeeignet. Schon aus Pietät hätte man diese Jugendsünde, die stellenweise ausgesprochen peinlich wirkt, ruhen lassen sollen. Die nervöse, zerfahrene Geschichte des Artisten Fritz Schwigerling und seiner Abenteuer bei dem russischen Fürsten Rogoschin bringt zwar schon einige der typischen Wedekindschen Charaktere, die immer wieder schöne, wilde und dressierte Tiere sind, läßt aber jegliche Handlungsführung vermissen. Von Wedekind hätten wir lieber etwas gesehen, das sein Ringen um geistige Klarheit, um die es ihm im Grunde in allen seinen Verstrickungen ging, erkennen läßt. Das Programm nennt keinen Regisseur. Mit Recht. Georg Hartmann und Robert Werner zeichneten gut Figuren aus der Wedekind-Atmo-iphäre des Fin de siecle.

Die relativ beste Wahl traf noch das Theater der Courage, das die Tragikomödie „S o n k i n und der Haupttreffer“ von Semen Jusch-k e w i t s c h aufs Programm setzte. Das Stück schlachtet alle Möglichkeiten und Pointen, die sich aus dem langersehnten Gewinn eines Haupttreffers ergeben können, bis zut letzten Kopeke aus. Der junge Regisseur Bruno Dallansky erkannte ganz richtig den psychologischen Charakter des Stückes, das kleine Leute vor und nach dem Lotteriegewinn vorführt, gab der Inszenierung aber zuwenig Leichtigkeit. In den Hauptrollen brillierten Kurt Radlecker und Ellen Nowak. —

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