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„Dieses Haus wird demoliert“

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Das alte Haus steht in der Hernalser Hauptstraße. Noch! Es trägt die Nummer 73 und ist laut Grundbuch identisch mit dem Hause Ortliebgasse 37, Nähe Elterleinplatz, schräg vis-a-vis der „Bezirksvorstehung“. -r- Was dort geschieht, kann als Symptom für die Pflege und Erhaltung unserer Stadt überhaupt gelten.

Wieder so ein vertrackter Fall wie Pötzleinsdorf! Ehemals ein Jagdschloß der Kaiserin Maria Theresia, danach mehrfach wechselnder Privatbesitz, gerät das Haus über — Max Schmidt (!), der auch Testator des Pötzleinsdorfer Schlosses war, laut Beschluß des Amtsgerichts vom 28. Dezember 1939, GZ: 26 A 47/40—118, in die Eigentumssphäre der Stadt Wien.

Arme Gemeinde: Immer muß sie erben! Dann das übliche: Im Krieg sind keine Mittel vorhanden, den Bau zu retten. Nach dem Krieg auch nicht. Und das Schloß verkommt. Nichts anderes bleibt übrig, als abzureißen, was morsch wurde. In absehbarer Zeit wird nun ein Neubau aufgeführt werden. Augenblicklich halten wir kurz vor dem Abriß mitten im Zustand einer hoffnungslosen Verpölzung. Hat man das Haus aber jemals retten wollen? Muß — nicht nur in diesem Falle — immer so lange gewartet werden, bis das Objekt fast zusammenfällt, wenn im Stiegenhaus jemand niest? (Wer’s nicht glaubt, überzeuge sich selbst!)

Seit einiger Zeit fällt, man möchte fast sagen: die Methode auf, mit der man alten Besitz — zugestanden, teils verhängnisvoll geerbten Besitz — verfallen läßt und lieber abreißt, als beizeiten für seine Restaurierung zu sorgen. Hier aber stoßen zwei Ansichten, ja zwei Weltanschauungen hart aufeinander. Die eine wünscht die Verwurzelung im Boden der Tradition, in dem Fundament jeden kultivierten Lebens; die andere ist allzu leicht bereit, ‘auszulöschen, was an die Vergangenheit erinnert, um an ihrer Stelle ein Denkmal der Gegenwart, das zugleich auch ein Propagandagebilde eigener Tüchtigkeit ist, aufzuführen. Als ob es keine anderen Baugründe gäbe!

Notwendigkeit und Vorteile des modernen Baues sind uns nicht fremd, die Unverwendbarkeit oder Schwerverwendbarkeit mancher alten Gebäude sogar einleuchtend; aber schließlich formt sich aus dem Mosaik der „alten Kisten“ nicht ganz zufällig das Bildnis unserer Stadt. — Wir sind mit älteren, ja wertvolleren Häusern gesegnet als das strittige; das wohl! Gibt uns das aber das Recht, unseren Reichtum „kleinweis“ zu zerbröseln? Nicht Überschätzung des Objekts, nicht falsch verstandene Pietät, gewiß nicht Mangel an Anpassungsvermögen an die sozialen Verhältnisse ist die Triebfeder dieser Zeilen, sondern allein die Erkenntnis, daß verantwortungslos handelt, wer auslöschen will, was mit einem Lande, mit einer alten Stadt und ihrer Bevölkerung organisch, geschichtlich verbunden ist.

Zum Schluß würde uns nämlich nichts anderes übrigbleiben als, bildlich gesprochen, das Leben auf einem Pfahlbau, im hochmodern eingerichteten ersten Stock, unter dem das Erdgeschoß, das Fundament mutwillig eingerissen worden wäre; ganz abgesehen von der Frage, wie lange sich wohl überhaupt eine Welt auf Pfählen, nur dem Heute und Morgen hingegeben, zu halten vermöchte …

Kehren wir aus der Theorie nach Hernals zurück! — Es ist wahrscheinlich kein Zufall, daß ein Angestellter der Bezirksvorstehung von Hernals dem Autor dieser Zeilen erklärte, es wäre wichtiger, mit den Steuergeldem für die Jugend etwas zu tun („Wem die Jugend gehört, dem gehört die Zukunft“, unbekannter Autor), als eine alte Krax’n wiederaufzubauen. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: seine „persönliche“ Ansicht! — Und er hat recht. Nämlich bei dem Zustand, in dem sich das Jagdschloß der Kaiserin Maria Theresia nach zwölf Jahren städtischen Eigentums, städtischer Verwaltung befindet, trifft er den Nagel auf den Kopf.

Und dann: Ob man nicht die Verpflichtung hätte, beispielsweise in der Häuseröde von Hernals einen Wurzelsträng der Tradition zu hegen! Denn unsere Kultur ist ja mit Fug und Redrt ebensogut von Hernals zu beanspruchen wie von Floridsdorf oder sonst einem Stadtteil. Oder nicht? Wenn nein — warum nicht?!

Eben noch berät und verwirft man das Anbauprojekt an der Stelle des ausge- bombten Flügels des Palais Harrach. Die Kosten sind daran schuld, daß man für einen der markantesten Punkte der Stadt Wien, für die Freyung, keine Lösung findet. — Der Geldgeber streikt natürlich, wenn sich die. „ Investition “nicht „lohnt“, wenn der Anbau nicht Raum genug bietet, die aufgewendeten Mittel wieder hereinzubringen, ja mit Profit „auszusteigen“. Von dem Vorschlag eines mehrstöckigen Hauses — nur dies würde die Kosten decken — wollen wir lieber nichts gehört haben. Und das Burgtheaterensemble spielt in einem minderwertigen Ersatzhaus!

Apropos, Sparsamkeit: Noch ist der Scherz nicht vergessen, wie in einer heimischen Stadt ein unter staatlicher Regie, also von Geldern der öffentlichen Hand aufgeführtes Gebäude während des Bauvorgangs, den Plänen entgegen, mehrfach „umgestaltet“ werden mußte, weil es sich mehrfach, nicht nur einmal, als zu klein erwies. Ja, wie man zum Schluß die technischen Einrichtungen nicht zur Tür hereinbrachte, weil sie (als laste der Fluch der Beschränktheit auf der ganzen Sache) — ebenfalls zu klein war! — Nun, man riß schließlich die ganze Wand ein, und da ging’s! Recht war das wohl nicht. War es aber billig? Man verstehe richtig: Wir würden von Herzen wünschen, diese Geschichte wäre erfunden, ein Witz! Aber sie steckt uns leider ein Licht auf. Und im Scheine dieser Leuchte finden wir dann auch den wohl nicht ganz verwerflichen Gedanken, Staat und Stadt sollen einspringen, wenn solche Gefahr im Verzug ist, daß wir — sagen wir: aus Armut — das Gesicht verlieren!

Im Falle Hernals sind wir selbstverständlich zu spät dran. Im unvergleichlich wichtigeren Fall Harrach noch nicht. Der Magistrat nehme die Versicherung entgegen, daß die Hernalser Sache keineswegs über schätzt, die prinzipielle Frage jedoch ebensowenig unter schätzt wird.

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