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Don Quixote aus den USA

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Nicht ohne Skepsis begab man sich vergangene Woche ins Theater an der Wien, wo die deutschsprachige Erstaufführung des Musicals „Der Mann von La Mancha" stattfand. Cervantes und Don Quixote als Helden eines Broadway-Stückes, das drüben, bei den Antipoden, seit mehr als zwei Jahren en suite läuft? Wie war es dazu gekommen?

Angeblich durch einen Zufall. Der amerikanische Stückeschreiber Dole Wasserman kam 1959 auf die Idee, als während seines Aufenthalts in Madrid eine dortige Zeitung meldete, er sei nach Spanien gekommen, um Material für eine Dramatisierung des „Don Quixote“ zu sammeln. Mister Wasserman kannte das Epos des Cervantes nur dem Namen nach, aber er dachte sich: Warum eigentlich nicht? Der Stoff fesselte ihn (Kunststück!), eine Art „totales Theater“ schwebte ihm für die szenische Gestaltung vor, ein Mr. Albert Marre meinte, das Stück müsse ein gutes Musical werden, ein Musiker fand sich, Mr. Mitch Leigh, es wurde erst ein Fernsehstück von 90 Minuten produziert, und am 22. November 1965 fand die Uraufführung in New York statt.

Das anfänglich als zu „intellektuell“, illusionär und idealistisch angesehene Stück wurde wider Erwarten ein durchschlagender Erfolg, einer der größten am Broadway, und der bereits zitierte Mr. Marre sagt vom dortigen Publikum: „Sie sehen nicht nur ein Theaterstück an — es ist ihnen ein religiöses Erlebnis.“

Man muß Mr. Wasserman bestätigen, daß er seinen Cervantes gründlich studiert und den Sinn des „Don Quixote“ gut erfaßt hat. Seine Dramatisierung ist mit großem Geschick gemacht, die einzelnen Szenen haben Stimmung, Poesie und Dra- stik. Für die Rahmenhandlung mußte Cervantes selbst herhalten: Er und sein Diener werden, bevor die Verhandlung stattfindet, zu den übrigen auf ihr Urteil wartenden Gefangenen gesperrt. Ihnen spielt Cervantes, der ja selbst Schauspieler und Dramatiker, Soldat, Sklave in Afrika und Steuereintreiber war, das Leben und die Abenteuer seines tragikomischen Helden vor: Er selbst ist Don Quixote, sein Bedienter — Sancho Pansa —, seine Widersacher und Partner sind die Mitgefangenen.

Die Musik schrieb Mich Leigh, ein talentierter Komponist mit viel Einfühlungsvermögen. Da sich die zeitgenössische spanische Musik (des 17. Jahrhunderts) als unergiebig erwies, griff er — ein wenig anachronistisch — auf Elemente des Flamenco zurück, der etwa vor erst 150 Jahren entstanden ist. Eigent liche Schlager enthält seine Partitur nicht, aber man vermißt sie keineswegs. Die Melodik ist nur selten banal, der Orchesterklang ausgesprochen apart: ohne Streichinstrumente, sondern nur Bläser, vielfältiges Schlagwerk, Glockenspiele, ein Kontrabaß und zwei (verstärkte) Gitarren, die den Klangcharakter bestimmen.

Die Bühne ist von bemerkenswerter Kargheit: monumental, wie beim epischen Theater, mit nur wenigen Kulissen und Requisiten. Den Kostümen fehlt glücklicherweise die beliebte Papageibuntheit des typischen Musicals. Die Ausstattung besorgten (nach dem amerikanischen Original von Howard Bay und Patton Campbell) Gerhard Hruby und Birgitt Hutter. Auch der Regisseur der Wiener Aufführung, Dietrich Haugk, dürfte sich ziemlich genau an seinen amerikanischen Vorgänger gehalten haben. Die Origmalchoreographie schuf Jack Cole, in Wien betreute sie die im Stüde als Maurin auftretende Farbige Lola Braxton.

Die Gesangtexte schrieb Joe Darion; ins Deutsche übertrug sie Robert Gilbert. Damit tim wir uns am schwersten, denn sie sind, innerhalb dieser Produktion, die unverdaulichsten, typisch amerikanischen Musical-Elemente, welche sich letztlich als diesem Stoff inadäquat erweisen. (Zum Beispiel: „Wo will er denn hin — mit dem Traum in ihm drin?“ Oder: „Sieht er denn nicht — jeder lacht ihm direkt ins Gesicht!“)

Die zwei Dutzend Schauspieler in größeren und kleineren Rollen werden durch die drei Protagonisten Josef Meinrad, Fritz Muliar und Blanche Aubry um mehr als Haupteslänge überragt. Meinrad bietet darstellerisch eine ganz großartige Leistung, seine Musikalität ist bemerkenswert, sein Gesang natürlich nur angedeutet. Obwohl er als Typus sehr gut der dargestellten Figur entspricht (was bei Schaljapin auch der Fall war), ist es doch zu viel „Meinrad“, was er bietet Muliar spielt den Sancho klug, sympathisch und glaubwürdig. Blanche Aubry ist als ordinäres Weibstück Aldonza überzeugend und umwerfend. Was ihr von der Regie zugemutet wird, geht bis an die äußerste Grenze. — Um so dezenter musiziert Johannes Fehring mit einem kleinen Ensemble, das aber leider nicht, wie’s die Autoren wünschten, auf der Bühne, sondern irgendwo unsichtbar im Hintergrund musiziert und durch Lautsprecher verstärkt wird. Viel Beifall, der durch geschickte Applausregie noch wesentlich verlängert wurde.

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