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Ein deutscher „Kardinal“

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KRANICH MIT DEM STEIN. Roman. Von Josef Martin Bauer. Ehrenwirth-Verlag. München. 741 Seiten. Preis 24.80 DM

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KRANICH MIT DEM STEIN. Roman. Von Josef Martin Bauer. Ehrenwirth-Verlag. München. 741 Seiten. Preis 24.80 DM

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Die neue katholische Literatur, seit Bemanos sehr oft und intensiv beschäftigt mit der Gestalt und der inneren Problematik des Geweihten, und seit der Langgässer und Graham Greene noch mit den moraltheologischen Problemen der Sündenmystik und Situationsethik, hat einen Verlauf und eine Entwicklung genommen, die es kaum mehr erwarten ließen, daß auf einmal einer wieder ziemlich un bekümmert dort ansetzen würde, wo man vor mehr als 30 Jahren aufgehört hat. Das aber und genau das ist geschehen; denn Bauers „Kranich mit dem Stein“ ist ein Regreß. Er ist nicht, als was man ihn schon rezensiert hat, ein „Priesterroman“ (Priesterromane im eigentlichen und modernen Sinne gibt es erst seit Bernanos und seiner „Sonne Satans“), sondern er ist eine Klerikergeschichte und ein geistlicher Standesroman, Und das ist eben nicht dasselbe. Klerikergeschichten und geistliche Standesromane verbleiben im Vorfeld des Sazerdotalen; begnügen sich mit dem spezifisch Klerikalen, mit Prestige- und Standesangelegenheiten, dem Berufsgehaben und in gewissen Fällen mit der Karriere. Priesterromane aber haben es mit anderem zu tun, mit dem vor allem, was in den Klerikergeschichten abgeschirmt und unbeschrieben bleibt, mit den inneren Spannungen und mit dem, was unter der geistlichen Epidermis vor sich geht, mit den Versuchungen und

Gefährdungen des Priesters und mit den Differenzen zwischen klerikal und sazerdotal. Bei Bauer ist dergleichen nicht zu finden. Was sich in Priesterromanen nach innen wendet, geht hier nach außen, das Sazerdotale wird zum bloßen Epidermisphänomen und statt des geistlichen Individuums steigt der klerikale Typus herauf, der Typus des großen Herrn in der violetten und purpurnen Robe, die Exzellenz und Eminenz, der Kirchenfürst. Schließlich frißt die Karriere alles auf, was den Priesterroman seit dreißig Jahren spezifisch gemacht hat, und der Verfasser verausgabt sich (nicht immer, aber etwas zu oft) in Ad-limma- und anderen Besuchen, Repräsentationen und Szenen, die zu zeigen haben, was für ein großer, hochangesehener und Interessanter Herr seine Eminenz der Herr Kardinal-Erzbischof Martin von Petuel geworden ist. Denn ein Limonadenmacherssohn steigt hier zum Kardinal auf. In Priesterromanen aber ist kaum je eine Karriere in Betracht gezogen worden und die Pastor-bonus-Problematik ist nicht an Aufgestiegenen zur Sprache gebracht worden, sondern an denen der unteren und untersten Ränge, an kleinen Hilfspriestern und armen Landcurės, an Gestrauchelten und Hängengebliebenen, an Hochwürdigen vielleicht, die aber keine „Herren“ waren und die oft in speckigen Soutanen, mit ausgefransten Aermeln und genagelten Schuhen in der Welt herumliefen. Die Monsignori waren nicht mehr in Betracht gekommen, die höheren Ränge waren ausgefallen und statt mit „violetten" Herren hatte man es mit denen zu tun bekommen, die in den Ordinariaten kaum zu den Beliebten und Angesehenen gehörten. Bei Bauer aber kommt wieder ein Respektabler und Honoriger zum Vorschein, einer, mit dem Staat zu machen ist, wenn auch nicht unbedingt im Himmel, so doch mindestens auf Erden, und darum/ nimmt das Ganze dann auch einen anderen Verlauf. Aber Josef Martin Bauer hat es gelüstet, es noch einmal nach der alten Weise zu versuchen, und so ist denn sein Roman zumindest in dieser Hinsicht eine Ueberraschung.

Es zeigt sich aber, daß die abgedankte Klerikergeschichte doch noch einige Entwicklungsmöglichkeiten besitzt, vorausgesetzt, daß sich ein gescheiter Mann daran versucht, und einer, der jenes Quentchen Ironie mitbringt, das früher fehlte. Früher hat man nur hochgelobt und die schuldigen Ehren erwiesen. und die Monsignori und Exzellenzen wurden monolithene Säulen der Frömmigkeit und Tugend. Kirchenväter im Ornat, und das Menschlich-Allzu-

menschliche schien sie nicht mehr zu berühren. Bauer aber (denn schließlich schreibt man 1959) hat seinen hohen Herrn auch aus der kritischen Distanz betrachtet, ohne eine Spur von Aggressivität, ohne Malice und auch ohne das Satirisch-Witzige (mit dem sich Bruce Marshall bis zur Manier vergnügt hat): aber er unterschlägt nicht, daß sein Martin Petuel ein steifer, herrischer und kalter Mann war. Er gibt uns zu verstehen, daß er aus jenem Holz gewesen ist, das man zum Drechseln brauchen konnte, und dann zeigt er, daß man sich das Drechseln nicht entgehen ließ. Er wurde glattgehobelt und geschliffen und mit Ueberkompensationen ausgerüstet, die ihn brauchbar machten, aber doch nicht unbedingt erfreulich, und dann wurde er rasch in die Karriere entlassen. Von da an war es zu Ende mit der inneren Entwicklung, von da an hatte man den Mann vor sich, der seine Pflicht erfüllte, klug war, eisern, straff und stramm, unantastbar, fleißig, deutsch, zuverlässig und vertrauenswürdig. Er stieg von Sprosse zu Sprosse, machte sich zwar nicht beliebt, aber unentbehrlich und verwaltete sein Reich wie einer von jenen, von denen Bernanos im „Tagebuch eines Landpfarrers“ geschrieben hat: „Zu meiner Zeit hatte man noch Männer der Kirche ... Herren, ja Leute, die zu herrschen verstanden. Die konnten ein Land regieren und brauchten nur das Kinn zu heben." Von dieser Art war Petuel. Eine imponierende Figur, großartig, streng, gerecht und autokratisch, aber nicht ganz sicher in sich selbst. Und das ist das Bemerkenswerte. Denn Bauer läßt uns spüren, daß sein so wohlgelungenes Produkt aus Vererbung, Milieu und Erziehung etwas in sich hatte, das ihm wie ein Propfen im Halse saß: die Herkunft. Er wurde zwar ein Herr von Petuel, Exzellenz und Eminenz, führte ein Wappen und hatte den Vorrang vor den Prinzen des königlichen Hauses, aber das Savoir-vivre eines Herrn von Geblüt erreichte er trotz allem nicht. Wenn er es mit Leuten von wirklich blauem Blut zu tun bekam, benahm er sich leicht manieriert und unter seinesgleichen stelzte seine Sprache sehr rhetorisch. Er blieb trotz allem nur der Typ des avancierten deutschen Honoratiorenpriesters, für den das „In-Form-Bleiben“ die heimliche Sorge war und der sich keine Lässigkeiten mehr erlauben konnte. Niemand durfte ihn je schlafend sehen, niemand eine Schwäche spüren. Was er zustande gebracht hatte, war ein Erkrampftes und Gewölkes, in zu kurzer Zeit Erzwungenes. Denn vieles läßt sich anerziehen und vieles kann der Drill zustande bringen, und ein furibunder Ehrgeiz ist zu vielem fähig; aber etwas ist mit all dem doch nicht zu erreichen, sondern nur mit Generationen, vielen, vielen: die aristokratische Noblesse. Petuel bekam das sehr zu spüren, und der adelige Tic, der ihn befallen hatte, machte ihm das Leben manchmal ziemlich sauer. Es gehört zu den Vorzügen dieses Romans, das deutlich gemacht zu haben, sehr behutsam und sehr nuanciert, aber leicht ironisch.

Sonst allerdings entgleitet uns das Innere Petuels und es spannt sich über ihn die straffe Haut des hohen Klerikers wie eine Maske. Nur andeutungsweise spüren wir hin und wieder leise Erschütterungen, aber wir sehen nicht, woher sie kommen und wohin sie gehen und was sie zur Folge haben: so beispielsweise vor dem Tod der Ebba Schmalstichs so bei einem abendlichen Essen mit der Fürstin Geyerstein. Aber diese Vibrationen wachsen nicht zu Problemen aus, sondern verbleiben im Rahmen einer mehr nur melancholischen Idyllik.

Es wäre noch verschiedenes zu sagen, aber das würde zu weit und vielleicht auch in etwas zu heikle Zonfen führen, und so wollen wir uns hier damit begnügen, auf einiges hingewiesen zu haben und auf einen Roman, der zwar mit Robinsons „Kardinal“ vergleichbar ist (als Klerikergeschichte), aber doch auf einer höheren Ebene liegt.

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