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Ein origineller Film

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Vor ein paar Tagen traf ich den bekannten Gog — den verrückten Millionär, dem ich in ganzes Buch gewidmet habe. Er wollte mir sein letztes Erlebnis berichten.

„Das schreckliche Wetter und ein Anfall von Trübsinn haben mich gezwungen, das Haus zu hüten“, begann Gog. „Ich benützte das, mir im Schwarzen Saal meiner Villa einen Streifen vorführen zu lassen, zu dem ich vor einiger Zeit das Drehbuch geschrieben hatte.

Die in allen Ländern erzeugten Filme gehen mir nämlich schon längst auf die Nerven. Man sieht nur als Helden verkleidete Verbrecher, Mörder, die am Galgen oder Traualtar enden, Trugbilder von falschen Unschuldsengeln, dermaßen idiotische Scheusale, daß es gar nicht mehr zum Lachen ist, Hans- wurste, die sich bis zur völligen Entwürdigung gemein machen, Männchen und Weibchen, die mit geschlossenen Augen ihre gemalten Lippen aneinanderfügen, um so die unbefriedigte Lust der vom Dunkel geschützten Zuschauer zu kitzeln.

Mein Aufnahmeleiter hat den Film erst vor wenigen Tagen abgeliefert, denn die Ausführungsschwierigkeiten sollen ihm zufolge fast : unüberwindlich gewesen sein. Viele Monate kostete es, die Tausende von Dollar nicht gerechnet, bis er die Schauspieler und Schauspielerinnen gefunden hatte, die imstande waren, meine Absichten zu begreifen und ins Werk zu setzen. Ich habe den Streifen heute gesehen und bin recht zufrieden.

Es ist ein eigenartiger Film, ganz verschieden von den üblichen. Ohne einen einzigen Mord oder Raubüberfall, ohne einen Revolverschuß, ohne Flucht zu Pferde oder im Automobil. Es erscheinen auch keine Wilden, keine Gangster, Raubkatzen und Spaßmacher. Die Hauptgestalten sind ehrliche Leute, die ruhig und friedlich ihrer Arbeit nachgehen und nicht wie besessen darauf aus sind, anderen Böses anzutun oder sich in ihre Angelegenheiten einzumengen. Sie bringen es fertig, mit ihrer Frau glücklich zu sein und begehren nicht des Nächsten Weib, sie unterhalten sich heiter mit ihren Kindern, betrinken sich nicht und spielen nicht. Sie erfreuen sich lieber am Anblick der Bäume und Blumen, des Himmels und der See, als sich mit Opiumrauchern in Varietes und Kneipen einzuschließen.

In meinem Film gibt es weder Ehebrecher beiderlei Geschlechts noch Damen, die lieber Kurtisanen wären, Dirnen, die wie anständige Frauen aussehen möchten, Mädchen, die sich von Gaunern entführen lassen, dämonische Frauenzimmer auf der Jagd nach einem Mann amt Bankkonto, Vamps und blutdürstige Weiber. Meine Frauen sind ausgezeichnete Familienmütter, gute, im Haushalt tätige Gattinnen, sind junge Dinger, die fleißig arbeiten oder studieren, herzensgute alte Damen, die ich mit der Jugend ausgezeichnet verstehen, die lächeln und lachen können, ohne gegen den Nebenmenschen Gift zu spritzen.

Die Handlung spielt in einer Kleinstadt, in der keiner Hunger leidet, niemand daran denkt, Banken auszurauben oder Neger aufzuknüpfen, in der die Politik die Gemüter nicht erregt und niemand abgeschlachtet oder gevierteilt wird. Alle Häuser sind luftig und blank, die Gesichter still und heiter, die Jungen gesund und friedfertig, die Alten nachsichtig und hilfsbereit.

Die Feiern arten da nicht in Schlägereien aus, nicht jedes Fest in Orgien. Liebe schlägt nicht in Haß um, führt nicht zum Tode, ein Abenteuer nicht ins Gefängnis oder zur Katastrophe. Der gefährlichste Mann der Gegend ist ein dilettierender Chemiker, der ab und zu die Straße, wo er wohnt, mit Knall und Rauch erfüllt. Als lasterhaftester Mann gilt ein leidenschaftlicher Sammler von Gipsabgüssen antiker Bildwerke, weil er die Statuen splitternackter Menschen im Hause hat. Für den grausamsten wird der presbyterianische Pastor gehalten, weil er den Kindern, die in seinem Garten Kirschen oder Aepfel klauen wollen, mit der Hölle droht.

In der ganzen Stadt gibt es weder Heilige noch Helden, doch auch keinen Unhold. Es handelt sich also um einen Streifen, viel erstaunlicher und phantastischer, als es die von bedenken- und einfallslosen Produzenten täg-

lieh zusammengebräüten sind. Ich gebe zu, er reizt nicht auf, flößt weder Lüsternheit noch Schrecken ein.

Er bietet der Schaulust oder der Sinnlichkeit so wenig, daß er idyllisch und unwirklich anmutet, hat aber jedenfalls ein ungeheures Verdienst; er gleicht in nichts den schon gesehenen, stellt weder Schufte und Schurken noch Betrüger und Bluthunde heraus. Er zeigt die Menschheit, wie sie sein soll, und ist infolgedessen durchaus originell und radikal unwahrscheinlich.“

Ich sagte meinem Freunde Gog, er werde mit einem solchen Film angesichts der Geschmacksrichtung der meisten Zeitgenossen nicht viel Glück haben.

Er erwiderte:

„Vielleicht täuschen Sie sich. Es könnte sein, daß die Leute, der scharfen Würze satt und müde, wieder an einem Glas reiner Milch Geschmack finden.

Wir stehen heute am Vorabend furchtbarer Ereignisse. Unsere Aufgabe ist es, die Kräfte des Guten mit allen Mitteln — und das Kino ist eines der machtvollsten — zu stärken, zu zeigen, daß es auf Erden noch eine ansehnliche Zahl ,menschlicher Menschen' gibt, und daß, gäbe es sie nicht, die Welt schon eine viel höllischere Hölle geworden wäre, als sie ohnehin ist. Mein Film mag ein schlechtes Geschäft sein, er ist aber jedenfalls eine gute Tat.“

Aus „Narreteien”, Verlag Herold, Wien

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