6713745-1964_32_27.jpg
Digital In Arbeit

Ein prophetisches Stück

Werbung
Werbung
Werbung

„Ein Bruderzwist in Habsburg” —Grillparzers Tragödie des österreicher- tums —, vermittelt vom Wiener Burgtheater, ist die nicht mehr überbietbare Peripetie der Bregenzer Festspiele 1964.

Ünfaßbar, daß dieses Werk schon um 1848 abgeschlossen war. Ist Grillparzer ein Seher in die Zukunft gewesen? Die Worte von der anonymen Masse, die einst die Meinung bilden werde, klingen heute wie aus der Erfüllung gesprochen und sind doch zu einer Zeit zu Papier gebracht worden, da wenige bestimmten, was recht und gut schien. Oder des Kaisers Weissagung über Prag, das seine Berufung verspielte? Als nach einem Jahrhundert der böhmische Raum mit seiner goldenen Hauptstadt aus Europa herausgebrochen und in den Osten geholt worden war, hatte Rudolf II. recht behalten. — Rudolf II. ist Grillparzer selbst. In ihm kämpft die Gewalt des Geistes gegen den Geist der Gewalt, den Ferdinand II. verkörpert. Siegen werden immer die Ferdinande, aber ihr Sieg bedeutet Krieg und Elend; dann haben die Rudolfe recht behalten, aber die Erkenntnis kommt für sie und für die anderen zu spät.

Die Gestalt des Kaisers verlangt einen Interpreten von einmaliger Größe. Attila Hörbiger ist ein solcher Interpret. Ob im Monolog oder in der Konfrontation, erhob sich Hörbiger über sich selbst.

Neben ihm hatten Robert Lindner (Mathias) und Gerhard Geisler (Max) einen schweren Stand. Achim Benning war als Ferdinand ‘ ein Fanatiker von sympathischen Zügen, während sich Heinz Ehrenfried (Leopold) und Alexander Trojan (Don Cäsar) bemühten, die Schwere der Handlung durch das Feuer der Jugend aufzulockern. Dank der Regie von Kurt Horwitz und Fram Reichert, daß sie die einzige Frauenrolle (Erika Pluhar) nicht gestrichen haben, Glanzleistungen boten Heinz Mooį (Khlesl), Heinz Woester (Herzog vor Braunschweig) und Hans Thimig (Kam merer).

Das Bühnenbild von Clemens Holz meister führte mit wenigen Strichen in eine Zeit, die sich mit ihren Glaubens kämpfen selber zerbrach und doch letz ten Endes überzeugt war, der Konstellä tion der Gestirne nicht entrinnen zi können. Alles in allem gehört dieses Spiel von geschichtlicher Größe in di reiche Theatergeschichte von Bregenz.

Die Gäste der Bregenzer Festspiel haben Gelegenheit, nicht weniger als vier bemerkenswerte Ausstellungen zu besuchen. So zeigt das Vorarlberger Landesmuseum unter dem Gesichtspunkt „Brigantium und sein Territorium” Zeugnisse der ersten vier nachchristlichen Jahrhunderte auf dem Boden des heutigen Vorarlberg.

Ganz großen Stiles ist die Ausstellung „Barockplastik am Bodensee” im Taxis- Palais. Noch stärker als in den früheren Jahren offenbarte sich das umfängliche Wissen des Bregenzer städtischen Kulturbeamten Dr. Oscar Sandner und sein organisatorisches Können. Plastik an Altären, Kanzeln, Chorgestühlen usw. wurde aus einem weiten Raum nach Bregenz geholt. Die technische Arbeit war verständlicherweise wesentlich schwieriger als im Vorjahr bei der Malerei. Von den hier vertretenen Namen seien nur Zürn, Schenck, Kuen und Feuchtmayer erwähnt: Zeitlich wandern wir durch die beiden Jahrhunderte von 1600 bis 1800. Es spricht eine Zeit gesteigerter und dabei vergeistigter Lebensfreude zu uns, eine Epoche, die gerade unserer Zeit viel zu sagen hat. Der Besuch der heurigen Bregenzer Sommerausstellung ersetzt die Reise zu vielen kirchlichen und weltlichen Kunststätten.

Dem Facharzt Dr. Fuchs verdanken wir die Ausstellung phantastischer Malerei im Tscharner-SchlöBchen in der Oberstadt. Wer glaubt, eine Art Quadratur abstrakter Kunst vorgestellt zu bekommen, ist angenehmst enttäuscht. Das scheinbar Unwahre beinhaltet meistens sehr kräftige Aussagen, vor allem einen fast grenzenlosen Einfallsreichtum. Welche Erfassung der Wirklichkeit liegt doch, um nur ein einziges Beispiel zu nennen, in den beiden israelischen Kibbuzbauern von Erich Bauer, deren Gesichter die gesamte Strukturwandlung des Judentums unserer Tage offenbaren! In dieser Halle wird das Unwirkliche wirklich und das Erfundene zur Tatsache.

Abschließend seien zwei Bregenzer Künstler erwähnt, die im Martinsturm, hoch ober der Festspielstadt, ausstellen: der Maler Hubert Berchtold und der Bildhauer Herbert Albrecht. Berchtold hat sich in die Welt der Insekten verliebt; die Käfer hat noch kein Maler der Kunstgeschichte mit o offenen Augen gesehen wie er: der „Käferbaum”. der „Käfer in Weiß” und die „Insektenmauer” sind Unika ihrer Art.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung