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Eine Episode

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„Jetzt müßte die Welt versinken, jetzt müßte ein Wunder geschehn …”

Das „Wunder” geschieht. Aus dem goldenen Zeitalter des Films taucht, zweiundzwanzig Jahre alt, alle Staub- und Moderschichten der äußeren Drapierung mühelos abschüttelnd, der Walter-Reisch-Film, der Paula-Wessely-Film „Episode” in einer relativ guten Kopie (Studio I) wieder auf. Die Wiederbegegnung ist erschütternd, faszinierend, sensationell. Freunde, Mitbürger, Römer — Autoren, Spielleiter, Akteure, zerreißt eure Kleider, schlagt eure Brust und stimmt mit ein in die Klage: Wir waren auf dem richtigen Weg. Aber wir haben ihn verlassen.

Autoren, nehmt diese „Episode”-Story, aber faßt sie behutsam und ehrfürchtig an, dieses zarte Gespinst von der jungen Kunstgewerblerin Valerie Gärtner, die in verlorener Zelt (der ersten Wiener Inflation) sich nicht verliert, nicht an den grauhaarigen Mäzen (mit und ohne Anführungszeichen), nicht an die Zeit, ja nicht einmal an sich selber. Spielfilm-Regisseure, die ihr je nachher der Meinung gewesen seid, einmal das süße Zwielicht unter den Dächern von Wien eingefangen zu haben, seht hier die Liebesszene beim Maronibrater, hört, wie delikat und bedeutungsvoll hier das Lied vom Wunder gesetzt und zelebriert wird (nur Renė Clairs Pariser Stadtmusikanten sind so fröhlich-schwermütig durch die Straßen gezogen). Akteure und Akteusen, mit und ohne Sex, verhüllt trauernd euer Haupt und eure sonstigen Reize und lasset diese „Valerie”, diese Paula, diese Wessely schluchzen und jubeln, flüstern und schreien, spielen und sie selber sein. Und dann sagt — besonders ihr Buchautoren —: „Mein Gott, was haben wir an dieser Frau, was haben wir an dem Film verbrochen, daß sie nie mehr hat sein dürfen, was sie damals gewesen ist.”

Jetzt müßte die Welt versinken… Ein paar Tage, bestenfalls ein paar Wochen Erinnerung in Wiens Artkino: und Welt, Wunder, Wien versinken wieder im Moder der Vergangenheit.

Jetzt müßte ein Wunder geschehen… Im Film geschehen keine Wunder. Dieser Wien-Film, dieses Film- Wien ist uns unwiderbringlich verloren. Es war nur eine Episode. (Worüber an anderer Stelle des Blattes ausführlicher die Rede ist.)

Die Vergesellschaftung des alten Alraune-Märchens durch einen umstrittenen deutschen Literaten unseres Jahrhunderts und die paar deutschen Filme darnach, denen Künstler von Rang und Namen ihre Kräfte liehen, mögen vielleicht nicht zu den künstlerischen Schöpfungen des Säkulums zählen; ohne Zweifel aber hielten sie noch samt und sonders ein Zipfelchen des tiefsinnigen heidnisch-magischen Zaubers der Ursage in der Hand. Da nunmehr ein neuer Film, „Et dieu erės la femme” (der deutsche Schmock persönlich übersetzte ,,Und immer lockt das Weib”), nach dem Happen schnappt, ist Magie zu Dienstmädchenphantasie und Eva-Alraune zu Brigitte entartet. Sie heißt jetzt Juliette, ruiniert zwei Brüder und beinahe auch einen reichen Spekulanten (nur beinahe, denn Curd Jürgens in der Rolle des letzteren besitzt einige Erfahrung darin, solche Versuchungen auch wieder abzuschütteln). Juliette ist Brigitte Bardot. Das Publikum schwankt noch, ob es dieses schreitende, wandelnde, wackelnde Symptom unserer sinnlich müden, aber sexuell überheizten Zeit nur vulgär oder auch komisch befinden soll. Die Kritik dagegen hat schon entschieden: komisch ist sie eigentlich nicht.

Filmschau (Gutachten der Katholischen Filmkommission für Oesterreich), Nr. 17, vom 27. April 1957: II (Für alle zulässig): „Tom und Jerry und Kumpane” — III (Für Erwachsene und reifere Jugend): „August, der Halbstarke”, „Saison in Oberbayern”, „Schicksal am Matterhorn” — IV (Für Erwachsene); „Feuertaufe” — IVa (Für Erwachsene mit Vorbehalt): „Folies Bergere”, „Das große Manöver”, „In den Fängen des Teufels”, „Kinder unserer Zeit”, „Skandal um Dr. Vlimmen”.

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