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Entsüclcencle Ausgrabungen

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Die Ämsterdapier Kirmes kommt nach gut dreiviertel Jahrhundert wieder zurück! Du lieber Himmel, welch eine Seligkeit… Dennoch müssen wir den Kopf nicht verlieren. Wer in Holland den Kopf verliert, schaut fremd drein. Denn er behält wenig übrig, das der Mühe wert geachtet wird. Um so erfreulicher darum die Reaktion des bekannten Archäologen Prof. Dr. T. Ff. Kwak- kernaat, der, sobald er die Nachricht erfuhr, ohne zu zögern, den Spaten zur Hand nahm und sich schweigend nach seinem Hintergarten begab. Dort angelangt, zog er den Rock aus und begann zu graben. Drei volle "Lage grub Prof. Kwakkernaat weiter, während die angrenzenden Nachbarn erstaunt zusahen, deren Blicken er allmählich entzogen wurde. Erst bei einer Tiefe von 30 Metern stieß Prof. Kwakkernaat auf die Ueber- bleibsel eines vorgeschichtlichen Karussells. Hier sehen wir deutlich, was Ausdauer vermag. '

Nachdem der Gelehrte sich von seiner ersten Freude ein wenig erholt hatte, aß er die Butterbrote auf, die seine Frau hinuntergeworfen hatte, und betrachtete seinen Fund einmal genauer. Es war noch ein Karussell aus der Quarzperiode, wovon man bis jetzt nur eins gefunden hat (Riga). Die Kähnchen waren nahezu vermodert, dafür stellte es sich heraus, daß die Pferdchen, wiewohl sie einigermaßen von Feuchtigkeit angegriffen waren, sich noch in ausgezeichnetem Zustande befanden: die‘Hufe dieser Quarztiere waren dreizehig geformt und auch der Schwanzteil wich einigermaßen von dem unserer heutigen Zugtiere ab.'Sonst waren es die üblichen Kirmespferdchen, eine Aufschrift in Keilschrift auf ihren Bäuchen tragend: „Für Arbeitslose und Militär halber Preis.“

Prof. Kwakkernaat grub unverzüglich tiefer und durfte die Genugtuung auskosten, seinen Fleiß mit drei sich noch in herrlichem Zustande befindenden „Lukassen“ aus dem Diluvialen belohnt zu sehen. Der gelehrte Graber schätzte das Altertum auf 400 Milliarden Jahre. Wiewohl, wie er später in einem Vortrag erklärte, man in diesen Dingen immer vorsichtig sein muß. Ein Jahr jst vorüber, ehe man es merkt. Fest steht jedenfalls, daß, noch ehe die Germanen bei Lobith in unser Land kamen und sich bei Pannerden verzweigten, die Kirmes schon geraume Zeit bestand und sogar auf einer sehr hohen Entwicklungsstufe gepflegt wurde. Man hat in den Wurtcn von Friezenveen Restbestände von Flohzirkussen mit versteinerten Flöhen ausgegraben, deren Haltung eine staunenerregende Höhe von Dressur vermuten ließ. Es wurden sogar Teile von Rutschbahnen und fröhlichen Küchen gefunden, und dies in bestürzenden Mengen. Es scheint, daß unsere Vorfahren ein schalkhaftes Gemüt besaßen, mit einer starken Neigung, das eintönige Leben in ihren Grotten durch Scherze zu ermuntern.

Die Rede, in der der Archäologe in der Aula der Leidener Universität seine Funde naher erklärte, war ein klares, durchsichtiges und gediegenes Meisterwerk. Der Redner fing, wie es unter Archäologen üblich ist, mit den Assyriern und Babyloniern an, fuhr dann mit den Aegyptern fort und ging schließlich auf die Griechen über. Lei cjiesen erfolgte ein Niedergang der Kirmes. Aber siehe, da fassen die Römer die Sache an. Nero führte die Kirmes mit kräftiger Hand ein, Trajanus schürt den Ofen und Hadrianus kann nicht damit aüfhören. Unter Pipin dem Kleinen und den Karolingern geht es wieder bergab. Hier und dort sprechen gotische Waffeleisen und Pfüfferchenpfannen noch ihre stille Sprache, dann .schließt das Mittelalter sich definitiv über den alten Brauch. Aber kaum bricht das Barock an, und da fangt es richtig wieder an.

Sehr alt ist, wie der Redner ausführte, die Gewohnheit, kleine Mengen Teig auf Häuflein zu gießen und dann von Pfüfferchen zu reden. Man hat in Tibet Pfüfferchen gefunden von gut 750 Trilliarden Jahren her, die selbstverständlich Ziemlich hart waren, doch sich übrigens sofort als Pfüfferchen verrieten. Waffeln sind späteren Datums. Die Aegypter kannten sie noch nicht, aber die Griechen bekamen davon schon Wind, wiewohl die Einführung auf dem Lande ein wenig schwer ging. Eine herrliche Waffelkultur blüht erst unter den Römern; auf. Vor allem während des Konsulats und unter den ersten Kaisern wurde hierin Schöne, saubere Arbeit geleistet. Mit Trajanus beginnt der Niedergang. Man begann das Gefühl für die Waffel zu verlieren, das Formbewußtsein wurde allmählich schwächer, um schließlich ganz zu verschwinden. Karl der Große machte noch einen kindischen Versuch, der Waffel neues Leben eihziihatichen, es war aber ein totgeborenes Kind. Man begriff die Waffel nicht mehr. Und es dauerte bis zur Renaissance, ehe die Einsicht, daß hier ein altes Kulturgut verlorenzugehen drohte, unter den Besten unseres Volkes erwachte. Mühsam werden die alten Formen zurückgewonnen, doch erst in den letzten Jahren wird man sich dank der kräftigen Aufklärung von Staats wegen der Gefahr bewußt. Auch „Heimschutz“ und der „Verein Heinrich der Kaiser“ gingen in diesem Erwachen bahnbrechend voran. Wir können jetzt ruhigen Herzens . feststellen, daß die Waffel sich aufgerichtet hat und kräftig in unser Volksleben eindringt.

Salzbrezeln werden schon während der Eiszeit ertappt. Etwas später kommen die verschiedenen Sortep Lakritze vor, bei denen vor allem die Phönizier bahnbrechend sind. Es ist staunenerregend, was ihr spielerischer Geist hier mit einfachen Mitteln zustande gebracht hat. Der Redner beschloß seine Ausführungen mit einer Ueberraschüng. Plötzlich führte er seine Zuhörer in einen Nebenraum ein, in dem ein vollständiges Karussell aus dem alluvialen Zeitalter aufgestellt war. Ein Teil des Auditoriums konnte der Versuchung nicht widerstehen, in dem Apparat Platz žii nehmen und unter den geborstenen Tönen einer indogermanischen Orgel herumzuschweben. Die Anwesenden gingen reicher weg, als sie gekommen waren, und zeigten sich äußerst zufrieden über das Gebotene.

Aus dem Niederländischen übersetzt von A. F. C. Brosens.

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