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Am 16. Juni erhält Paul Wühr den Ernst-Jandl-Preis. Wendelin Schmidt-Dengler hat seinen jüngsten Band gelesen: "Dame Gott".

Er wird am 10. Juli dieses Jahres achtzig Jahre alt; er erhält am 16. Juni in Neuberg an der Mürz den Ernst-Jandl-Preis für Lyrik. Eine hochverdiente Auszeichnung, deren schönstes Ergebnis es wäre, dass dieser Autor vom Geheimtipp zum festen Bestandteil des literarischen Diskurses in Österreich würde. Leicht macht es sich Wühr nicht, aber er macht es auch uns nicht leicht, ihn zu würdigen, denn seine lyrische Produktion entwaffnet selbst den gutmeinenden Rezensenten, ja vor allem diesen.

Für seine bislang umfänglichste Publikation mit dem programmatischen Titel Salve res publica poetica (1997) hat er unter anderem ein Motto von Flaubert gewählt: "In Gedichten muss man nicht träumen, sondern Faustschläge austeilen." Faustschlägen sah ich mich ausgesetzt, als ich versuchte, die Gedichte seines neuesten Werks Dame Gott zu lesen: Dauernd wurden mir meine Rezensionssätze aus den Händen geschlagen, denn die Verse Wührs bieten keinen Halt, dafür aber eine Unmenge an mehrfachem Gehalt. Das ist ein Verfahren, das Wühr schon in seinen früheren Gedichtbänden praktiziert hat. Man sucht nach den Enden der einzelnen satzzeichenlosen Perioden, und merkt dass man einem Irrlicht gefolgt ist. Man kehrt wieder zum Anfang zurück, konstruiert wieder eine neue Möglichkeit des Zusammenhangs und wird aufs neue irritiert.

"Rhythmische Energie"

Franz Josef Czernin hat sich in seiner einleuchtenden Studie Dichtung als Erkenntnis. Zur Poesie und Poetik Paul Wührs (1999) redlich geplagt und gezeigt, wie "erst im Zusammenspiel von akustischer Tatsache und syntaktischer Vorstellung … die rhythmische Energie dieser Verse" entstünde. Man muss ihn also hören. Das ist eine Erfahrung, die man - mutatis mutandis - bei vielen Lyrikern der Gegenwart machen kann, bei Robert Creeley, bei Franz Josef Czernin, Ferdinand Schmatz und eben auch bei Ernst Jandl. Doch Dame Gott enthält nicht nur diese Herausforderung unserer Lesekapazität, die den Zusammenprall von lyrischer Devianz und grammatikalischer Norm voll auskosten kann, sondern lässt durch den Titel aufhorchen. Ja, "Frau" oder selbst "Weib" wäre weniger provokant als "Dame". Paul Wühr - ein Kryptotheologe? Er bestätigt es uns selbst, und zwar in dem von Lucas Cejpek aufgezeichneten Selbstgespräch Was ich noch vergessen habe (2002): "Mein Bruder hat ja Theologie studiert, und der hat mir immer bewiesen, was ich da gedichtet hab, ist alles Theologie. Allerdings eine teils laszive, teils negative Theologie, wütender Hass drauf - das war schon alles drin."

Den Hass spürt man in diesem Buch weniger, das Laszive schon. Es geht in dem ganzen Buch - etwas vereinfacht formuliert - um die Weiblichkeit Gottes. Wer das erste Gedicht genau liest, der kann die Programmatik des Ganzen herausdestillieren:

Ich

sage zu ihr jetzt wird begonnen

und nicht mehr aufgehört damit

aus aller Welt

Material herbeizuschaffen das

zur Herstellung eines weiblichen

Gottes also

der Dame Gott dient ohne

Rücksicht auf die heilige

Homogenität gegen

das abgestimmte Werk gegen

alles was Einheit schafft

und strahlt

es lebe die ausgesprochene

Bricolage […]

Und dann beginnt ein Parforceritt durch die deutsche Syntax, die Mythologie, durch die deutsche und griechische Literatur, durch die Theologie und Geschichte. Ein Abschnitt heißt Madame Pompadour, andere wiederum Bordell, Medusa, Andromeda, Baubo oder Seila Jephta. Jedes Gedicht beginnt mit einem einsilbigen Wort, meist mit einer Konjunktion, einem Artikel, Adverb oder Pronomen, von dem dann die folgenden Verse abhängig sind, eine Manier, die nicht manieriert wirkt. Das ganze will als ein Stück neuer Theologie verstanden werden. Die Dame lässt sich Gott nennen, heißt es in einem der letzten Gedichte, und dieses schließt: "Und mir muss es / nur recht sein // bei meiner Liebe zur Theologie". In der Tat verrät sich in allen diesen Sprachspielen doch auch ein sehr ernsthaftes Erkenntnisinteresse: "Lust als Erkenntnis und / die Erkenntnis als / Lust zu erkennen wie / schrecklich Gott ist / wozu soll das gut sein / sie lässt uns den / Herrn vergessen so / ist es."

Lustgärten der Theologie

Wir werden in diesen Gedichten ebenso strapaziert wie auf hohem Niveau unterhalten, wir werden provoziert durch Blasphemien und Banalitäten, wir werden erhoben durch Sublimes und Bizarres aus den Lustgärten der Theologie und Philosophie. Wir sammeln Aphorismen, die ein Problem einzugrenzen scheinen und doch zugleich entgrenzen: "Wir finden eine positive Identifikation mit dem / Mann-Sein // eigentlich noch über den / Mann in der Frau es ist / also eine // völlig entfremdete vor allem / entleibte Identifikation / kein Wort von // Wiederbelebungsversuchen." Oder: "Wir gehen immer davon aus dass / es Gott // als einen männlichen Gott / lange genug // gegeben hat sie ist dran / die wir // weiblichen Gott nennen / um festzuhalten // wie durchaus männlich / die Dame Gott / immer bleibt auch."

Das Schöne ist, dass Wühr keine Reime macht und wir uns auf seine Pointen keine machen können und sollen, sondern weiterdenken müssen und dürfen. Eine Anstrengung, gewiss, aber wem das nicht behagt, der lasse die Finger davon. Der Schaden ist auf seiner Seite.

Dame Gott

Von Paul Wühr

Hanser Verlag, München 2007

332 Seiten, € 27,90

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