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Expressionismus im Rampenlicht von 1948

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Massen. Schreie. Verzerrte Gesichter. Knattern von Maschinengewehren. Revolution. — Das Publikum sitzt müde in seinen Fauteuils, applaudiert, um den Schauspielern Anerkennung zu zollen, lächelt vielleicht ein wenig blasiert — und geht nach Hause. „Das wirkt nicht mehr”, meint irgendeiner, „der Expressionismus ist nichts mehr für unsere Zeiten.” Und bei den nächsten Aufführungen wird es im Zuschauerraum öder und öder, endlich verschwindet das vor zwanzig Jahren so aufsehenerregende Werk „Gas” von Georg Kaiser wieder aus dem Spielplan des Grazer Schauspielhauses. Nicht viel anders ergeht es dem „Bergwerk” von Hans Kalt necke r, welches das Grazer Studio der Hochschükrschaft mit verblüffend einfachen Mitteln auf seiner kleinen Bühne herausbrachte.

Wir sprachen vom Publikum, jener skeptischen, müden, von Vorurteilen beschwerten Masse, die leider für das finanzielle Gedeihen eines Theaters , maßgeblich ist. Es gab aber ab und zu auch Menschen im Zuschauerraum, und die gingen nach Hause mit einer heimlichen Freude, mit Hoffnung und Glauben, daß es noch Wege gibt, heraus aus dem Dunkel und Irrsal unserer Zeit. Wege, wie sie der menschenfreundliche Milliardärssohn in „Gas” seine Arbeiter führen will, aus dem Wahnwitz der Selbstvernichtung heraus nach neuem selbstbebautem Menschenland, oder wie sie der Bergwerker Michael in Kaltneckers Trauerspiel seine Arbeiterbrüder weist, da er den Menschen predigt wider die Masse, den Menschen, der nicht aus Haß, sondern aus Liebe Teil einer Gemeinschaft wird’! ’ Und darin lag das Erlebnis des Expressionismus 1948. Nicht in den äußeren Formen, in der geballten Sprache, dem Schreien, dem bewußt Verzerrten, das alles früher einmal so viel Aufsehen erregt, nein, in dem inneren Erlebnis dieser Dichter, in ihrem begeisterten Glauben an das Gute im Menschen und an den Sieg dieses Guten. Man verwirft heute oft den Inhalt mit der Form, noch dazu, weil man zumeist nur an die Extreme denkt, an die sinnlosen Auswüchse, die das Positive dieser zweifellos ursprünglichen Bewegung so rasch überwuchert haben und mit vollem Recht der Vergessenheit verfallen mögen. Daß der Expressionismus aber, wie seine besten Werke beweisen, ein Ringen um die freie Seele war, ein Wiederfinden des inneren Menschen nach Jahren, in denen das Äußerliche, das Häßlichste ebenso wie das gewollt Schöne zum Götzen des Geisteslebens erhoben gewesen, das wird uns vielleicht nunmehr erst klar, wenn wir die Dramen seiner Dichter im Lichte der Gegenwart sehen.

Im besonderen sprach Kaltneckers „Bergwerk” junge Menschen an. Kaltnecker war ja selbst erst zweiundzwanzig Jahre, da er sejn Drama schrieb, rin Wegsucher aus dem schier undurchdringlich gewordenen Dickicht seiner Zeit. Aber daß er den Mut hatte, nicht nur in besserer oder schlechterer

Form, die Verworrenheit seines Zeitalters darzustellen, sondern selbst den Weg zu weisen, seinen eigenen Fragen selbst Antwort zu geben, darin ist er — und auch Georg Kaiser in seinem „Gas” — den Dichtern und Dramatikern von heute weit voraus. Das war es auch, was wenigstens einigen der Zuseher neue Kraft und neuen Glauben gab und sie sie nicht wie bei den meisten Gegenwartsstücken nach zwei Stunden Mitgerissenwerden unbarmherzig in das Dunkel des Unentwirrbaren zurückstieß.

Kaltneckers Michael, der Held seines Dramas „Das Bergwerk”, fällt durch die Kugel eines fanatischen Revolutionärs. Selbst einst Fanatiker, wurde er durch ein grauenvolles Unglück im Schacht geläutert. Er stirbt von allen verlassen. Während die blutige Revolution um ihn her brüllt, weist er mit der Hand über die Stürmenden hinweg, eine Bewegung, die sagen soll:

Darüber hinaus. „Darüber hinaus”, das ist sein Vermächtnis, das auch der Dichter den Zusehern mitgeben will, denn aus ihnen sollen die neuen Menschen kommen. Michael muß sterben, denn er haßt die Gewalt. Aller Widerstand gilt ihm als sinnlos, denn er ruft nur neue Gewalt hervor. Nur auf das innere Gutsein kommt es an. Wenn wir die Liebe haben, kann nichts wider uns sein. Und auf einmal wird es ihm klar, daß er Christ geworden ohne äußere Einflüsse, nur durch die Gnade des LeiderlebnisSes. Nun wird seine Lehre wider die Gewalt kraftvoller und stärker. Wenn er das Individuum wider die Klasse predigt, so predigt er die Liebe wider den Haß. Und so muß er seinen Weg gehen, unbeirrt bis zum Opfertode, der erfüllenden Tat. Kaisers Milliardärssohn spricht noch nichts von Christus, obwohl auch er aus der Katastrophe heraus zum Geist seiner Lehre findet, Michael ringt bereits um den Glauben, aber auch Kaltnecker streift das bewußt Religiöse nur in einer Szene, denn das unbewußt Zu-Gott-finden, Zu-Christus-finden, das ist das große Erlebnis in diesen Werken. Es muß nicht immer genannt werden, was wir anbeten sollen, es muß erlebt sein, wenn auch selbst der Dichter seinen eigenen Weg erst ahnt.

Was aber ist wesentlicher für unsere Gegenwart und ihre Menschen, die allem Bewußten mißtrauisch gegenüberstehen und den kalten Verstand als Riegel vor ihre Herzen geschoben haben, als dies unbewußte, aus der Notwendigkeit und der Not ‘der Zeit heraus Zurwahrheitfinden? Von innen her, vom Erlebnis, muß die Befreiung kommen, die die Ketten emanzipierter Skepsis zerreißt und uns wieder das Wunder der Gottesgeburt in uns schenkt.

Es waren nur wenige, die dieses Rufen aus den Werken Kaisers und Kaltneckers gehört, aber um dieser wenigen willen muß den Initiatoren der Aufführungen wärmstens gedankt werden.

Die Inszenierung von „Gas” im Schauspielhaus war zum Teil rin Versuch, die schroffe expressionistische Form besonders sprachlich ins Natürliche zu mildern. Die Undiszipliniertheit der Komparserie zeugte von wenig Gemeinschaftsgeist, während die Einzeldarsteller viel Persönliches in ihre oft nur angedeuteten Rollen hineintrugen. Das Hochschulstudio hat mit seiner Inszenierung des „Bergwerks” einem mit Unrecht wenig bekannten Werk eines österreichischen Dichters eine würdige Aufführung geboten.

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