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GRABSPRÜCHE UND LETZTE WORTE

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In einer Betrachtung. über die Philosophie als die Lehre von der Überwindung des Todes las ich den Satz, daß ein toter Bauer mehr wisse, als ein lebender Philosoph. Dieser habe nur dann etwas vor jenem voraus — und auch nur zeitlich —, wenn er ein wehig von dem, was der Bauer, nachdem er gestorben ißt, in Erfahrung bringt, schon vorher mit einiger Sicherheit vermutet habe.

Der italienische Dichter Stecchetti, dessen Sonette Anton Wildgans übersetzt hat, läßt uns die Stimme aus einem Grabe der Via Appia vernehmen. Der hier vor Hunderten von Jahren lächelnd zu den Körperlosen Hinübergegangene ruft dem Gräbersucher zu:

... Weinlaub und Blüten habe ich getragen Beim Tanz der Bacchusfeste in den Haaren. Doch nie wie du mit einsamem Gebaren Irrt' ich des Nachts, um Gräber zu befragen, Nie hab' ich grübelnd mich herumgeschlagen

Mit Jenseitsrätseln, die wir nie erfahren...

Und in seinem „Testament“ wünscht der Dichter weder Myrte noch Efeu oder Zypressen auf sein Grab: Nein, pflanzt mir eine Rebe, daß mein Staub Die Traube nähre und das Purpurlaub Der Edelfrucht, die Duft versprüht und Funken! So bring ich noch als Toter Dank und Preis Dem Leben dar und gebe tropfenweis' Der Welt den Wein zurück, den ich getrunken!

Sokrates, dem der Tod als Eingang in das Nichts oder als „UbersiedQ.ung der Seele von hier an einen anderen Ort“, jedenfalls als Erlösung und Genesung erschien, trug seinen Freunden, als das Gift seine tödliche Wirkung spüren ließ, auf, jenes Opfer zu vollziehen, das die Hellenen als Dank für erfahrene Heilung darzubringen pflegten: „Wir schulden dem Asklepios einen Halhn.“

An der Schwelle des heidnischen und christlichen Säku-lums, vom mittelalterlichen Abendland als Prophet des Got-

tessohnes gepriesen, von Dante zum Führer durch das Inferno und Purgatorio erwählt, steht der vates Vergül, der sein Leben und Werk klassisch einfach in seiner Grabinschrift zusammenfaßt: „Manitua hat mach geboren, Kalabrien hinweggerafft, jetzt birgt mich Parthenope. Besungen habe ich Hirten, Bauern und Helden.“

Ovid mußte sein Leiben ferne dem Glänze der urbs im trostlosen Barbarenlande der „Tristia“ beschließen. „Ich, Naso, der ich hier liege, ein Dichter, der mit zarten Liebesworten getändelt hat, bin an meinem ingenium zugrunde gegangen. Aber dir, der du vorübergehst, wenn immer du geliebt hast, sei es nicht schwer zu sagen: Des Naso Gebein möge ruhen in Frieden.“

Ist es Weisheit und Überwindung der Kluft von Sein und Nichtsein oder Resignation und Verzweiflung, wenn ein Römer der Antike auf sein Grab die Worte setzen ließ: NON FVI — FVI NON SVM — NON CVRO (Einst war ich nicht, dann war ich, jetzt bin ich nicht mehr, das berührt .mich nicht) — Vielleicht war er bei Epdkur oder Lukrez.in die Schule gegangen: Der Tod geht mich nichts an. Solange ich bin, ist er nicht;, und wenn er ist bin ich nicht mehr.

-Das Christentum hat die Menschen durch seine Osterbotschaft und die Verheißung seliger Unsterblichkeit erlöst: Der Tod hat keinen Stachel mehr, der Stein ist weg, das Grab ist leer. — Doch, bleibt den Lebenden die Aussicht wach Drüben „verrammelt“, und sie, deren Geist vorwiegend aus der Hinterlassenschaft großer Toter gespeist wird, können kaum oder nur sehr vage den Sinn der letzten Worte von Sterbenden erforschen, denen, wie wir wissen, da sie den Fuß an die Schwelle gesetzt haben, eine Helle des Geistes zuteil wird, wie sie keinem Lebenden je widerfahren ist.

In einem Essay über die Freundschaft schildert Michel de Montaigne das Sterben seines Freundes La Boetie: „Mein Bruder, mein Freund“, hauchte der vom Astitälglänz des

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