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Gute Ratsdiläge für Konzertbesudier

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1. Vor allem verschaffe dir eine Freikarte. Für die Kunst Geld auszugeben, ist altmodisch. Wenn schon, so für Sport. Hut, Überschuhe, allenfalls auch den Regenschirm stopfe in die Ärmel des Mantels, damit nur ein Stück berechnet wird. Sonst gehst du an den Garderobegebühren elend zugrunde.

2, Bevor du aus dem Hause gehst, mache dich so schön als möglich. Vor allem sei auf deine Rückseite bedacht, die den Blicken deiner gelangweilten Hintermänner und -frauen schutzlos preisgegeben ist. Wenn der Hemdkragen durch längeren Dienst etwas ergraut ist . und die Behandlung mit einem Radiergummi versagt, nimm einen weißseidenen Schal. Das wirkt apart und erweckt den Eindruck exotischer Nationalität. Taschentuch nicht vergessen!

3. Achte darauf, wann stark und wann leise gespielt wird, damit du zur rechten Zeit husten, schneuzen und niesen kannst. Wenn ein anderer hustet, mußt du nicht unbedingt mithusten. Bei atonaler Musik niese und huste, wann du willst. Da stört es nicht und wird häufig als Bestandteil der Musik empfunden. Rechtzeitiges Schneuzen zeugt von gediegener musikalischer Bildung.

4. Um zu wissen, wann stark und wann leise gespielt wird, empfiehlt es sich, eine Partitur mitzunehmen. Schon ihr bloßer Besitz erweckt Ehrfurcht. Etwas schwierig ist das richtige Umblättern. Lege daher den Zeigefinger dort ein, wo der Satz zu Ende ist und überzeuge dich zeitweise durch den Tastsinn, wie viele Blätter ungefähr noch zurückzulegen sind. Den nahenden Schluß erkennt man an einer gewissen Aufregung auf dem Podium und stärkerem Getöse. Da teile man sich die Sache so ein, daß nur mehr wenige Blätter umzuwenden sind. Auf zwei bis drei kommt es nicht an. Aber zwanzig bis dreißig sind zu viel und könnten bei einem sachverständigen Nachbarn diskretes Kopfschütteln hervtjrrufen.

5. Komm nicht zu spät. Aber wenn, co ausgiebig Eine neue Toilette oder

Da hatte schon zu Bruckners Zeiten ein Orchester seine fixe Vorstellung, wer ein Dirigent sei und wer nur ein Komponist. Meister Anton hat es bitter erfahren. Richter, Levi, Mottl, Schalk: das waren die Berufenen am Pult, während er für seine umkämpften Symphonien am besten keine Hand rührte.

Es ist ohne Zweifel ein Handwerk, das gelernt sein will: den Taktstock zu führen. Ob es auch ein Amt ist „von Gottes Gnaden", wie das Zepter, das dem König in die Hand gegeben ist, entscheidet sich ganz vereinzelt, von Fall zu Fall. Es verhält sich ähnlich wie mit dem Marschallstab im Tornister.

ein teurer Schmuck kommt eine halbe Stunde nach Beginn viel besser zur Wirkung als im Gedränge der normal Zuspätkommenden. Bleib in bescheidener und edler Haltung beim Eingang stehn. Wenn du nach Schluß des Satzes zu deinem Sitz gehst, wirkt ein kleines arrogantes Lächeln nicht schlecht. Manche werden dich bewundern, manche werden vor Ärger zerspringen. Beides ist angenehm._ .., ;

6. Der Musik folge mit leicht geneigtem Kopf und geschärftem Blick. Heute sieht man der Kunst mutig ins Antlitz, wie allen anderen Gefahren. Die Gesichtsmuskulatur ist entspannt, der Mund leicht sinnlich vibrierend, die Nasenflügel rassig gebläht. Mit dem Zeigefinger Takt zu schlagen, ist unsäglich ordinär, besonders wenn der Finger nicht bestens manikürt ist.

7. Am Schlüsse eines Tonstückes knalle nicht als erster mit dem Beifall los. Denn manchmal ist es noch nicht zu Ende, sondern es handelt sich nur um eine hinterlistige Fermate, und da wird vorzeitiger Applaus zu einer furchtbaren Blamage. Überlaß das Risiko anderen. Diese Maxime wird dir auch sonst im Leben nützlich sein.

8. Vermeide jedes eindeutige Urteil. Warte auf die Morgenblätter; du kannst dir dann aus den verschiedenen Meinungen der Kritiker die dir zusagende heraussuchen und verfechten. Beschränke dich vorläufig nur auf allgemeine Ausdrücke. Bei einer Neuaufführung kannst du ruhig sagen: „Na, ein Beethoven ist der Mann nicht" (das stimmt immer). Bei Sängern, die nur mehr wenig Stimme haben, lobe die geistvolle Auffassung. Ansonsten sprich über die Toiletten oder die Honorare.

9, Es ist vornehm, auf den Schluß des Konzertes zu verzichten. Man läßt ja auch im Gasthaus einen Brocken Gulasch auf dem Teller liegen, wenn man für nobler gehalten werden will, als man ist. Es ist am besten, aufzustehen, wenn der letzte Satz eben be

Wenn man zuweilen von zünftigen Leuten hört, was sie vom Geheimnis des Dirigierens denken, könnte einem der Mut zur Illusion für immer abhanden kommen. Der Zünftigste unter den „Freidenkern" dieser Art ist wohl Igor Strawinsky. Von ihm berichtet ein Freund das folgende bildhafte Urteil über das Verhältnis zwischen Werk und Wiedergabe: Er fuhr an einem Morgen mit dem Komponisten in einem Taxi stadtwärts. Als sie eine Strecke zurückgelegt hatten, begannen die Glocken einer Kirche zu läuten. Strawinsky neigte sich lauschend vor und ließ den Wagen halten. „Das ist eigentlich die idealste und einzige Möglichkeit, richtig zu reproduzieren“, sagte er. „Ein Mann zieht an einem Seil — das, was am andern Ende des Seiles geschieht, ist nicht von Bedeutung, es geht ihn weiter nichts an. Er hat nichts anderes zu tun, als an dem Seil zu ziehen — den Rest besorgen die Glocken. Der Mann am Seil aber ist der Prototyp eines idealen Dirigenten" Soweit Strawinsky. Ob das Seil für alle Geläute verwendbar ist? Und auch nicht jeder Glöckner hat die gleiche Wissenschaft von seinem Geschäft.

ginnen soll, wenn der Dirigent den Taktstock hebt, der Geiger das Instrument zwischen Kinn und Schlüsselbein klemmt, der Klavierspieler noch einmal auf dem Sessel wetzt, der Sänger den Brustkasten wölbt und die Mimik in Gang setzt. In diesem Augenblick erhebt sich deine hohe Gestalt wie ein Obelisk unter Schildkröten. Der Dirigent senkt ingrimmig den Taktstock, der Geiger den Bogen, der Klavierspieler die gezückten Hände, der Sänger Blick und Notenblatt. Unterdrücktes Sklavengemurmel begleitet deine Schritte. Du schlägst die Wimpern nieder und wandelst langsam hinaus wie ein Geist. Die bösen Blicke moussieren an deinem Leib wie eine Massage mit Champagner. Genieße es. Man hat das nicht oft.

10. Nach dem Verlassen des Konzerts überzeuge dich durch einen Blick auf das Programm, ob du wirklich im richtigen Konzert gewesen bist. In der Garderobe nimm nur dann den unrichtigen Pelz entgegen, wenn er besser ist als deiner. Zur Entspannung genügt nach leichter Musik ein Kaffeehaus. Nach ernster, zumal klassischer Musik ist jedoch unbedingt noch etwas Jazz und Schlagermusik notwendig, um den Anschluß an die Welt, wie sie nun einmal ist, wiederzufinden.

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