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Im Nachsommer der Bühne

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Zwischen sehr, sehr leichten Dingen, die den Wiener Theatersommer in den Herbst hinüberführen, steht ein seltsame Geschöpf, die jüngste Kreation der Josefstadt, „Das Lied der Taube“ („The voice of the turtle“) von John van Druten. Dieser Amerikaner hatte bereits in dem gegenwärtig im Akademietheater laufenden Erfolgsstück, „So war Mama“, die beachtenswerte Fähigkeit erwiesen, ein Stück ohne Handlung, behängt mit dem Flickwerk banaler Gesten und Redensarten, scheinbar gänzlich unbekümmert um das ängstlich wartende Publikum, nur zum Ergötzen der Spieler und des Spielmanns, sozusagen sich selbst vorzuführen! Oh, der Listige! Er weiß genau, das Publikum schnappt begierig zu, wenn ihm nach nahezu zweistündigem vergeblichem Warten der Silberschimmer einer Hoffnung, der Silberfaden eines poetischen Flaumflugcss gezeigt wird. Erleichtert geht dann der Kartenbesitzer nach Hause: und sinnt lange noch dem geheimen Reiz dieses pointiert reizlosen Werkes nach …

So w a r „Mama“ — so ist auch „Das Lied der Taube". Nur daß hier, scheinbar wie au Versehen, ein sehr ernstes Zeitproblem den dunkel-lichten Hintergrund zweistündiger Nichtigkeiten erstellt: Begegnung, Kampf der Geschlechter, die Frage der intimen Sauberkeit im Verhältnis zwischen Mann und Frau — im Spiegel des Erlebens einer jungen Generation zwischen zwei Welten. New York, Frühjahr 1943. Eine junge Schauspielerin und ihre Freun din, die au di „vom Theater“ ist, ein junger Mann im Zeitkostüm des Soldaten. Er und sie — zwei junge Menschen, die zwischen den Malsteinen der Zeit zerrieben zu werden drohen; beide haben bereits ihre „Affären", wie sie es so nennen, gehabt. Soll es so weitergehen — von Zwischenspiel zu Zwischenspiel, bis der Rest innerer Substanz in kleiner Münze verausgabt ist…? Wieder scheint alles schief zu gehen. Kurzschluß; das Mädchen schämt sich — da reißt der Mann das Steuerruder entschlossen herum — nein, es soll kein Frühlingsflirt gewesen sein, gemeinsam wollen sie Sommer, Herbst und auch Winter ihres Lebens an- und aufnehmen. Sie werden also heiraten, „Das Lied der Taube“ (es ist, wie ausdrücklich im Text einmal vermerkt wird, die Turteltaube des Hohen Lieds der Liebe gemeint!) findet Erfüllung.

Ein ernstes, großes Thema, dieses Problem der Geschlechtlichkeit einer in vielen Beziehungen haltlos gewordenen jungen Generation — überall in der Welt erregt es die Aufmerksamkeit der Behörden, Kirchen, Erziehungsinstitute — nicht nur in Amerika, wo bekanntlich die diesbezüglichen Untersuchungen einer Gruppe Gelehrter vor kurzem erst wieder großes Aufsehen in der Öffentlichkeit erweckt haben. Nur ist es sehr die Frage, ob es in dieser Form zur Behandlung, zur Diskussion auf die Bühne gebracht werden soll. Mag sein, daß anderswo die zarte verhaltene Traurigkeit (die nur selten in Sentimentalität abzuglei-ten droht, trotz alledem…), die diese ungeschminkte Darstellung einer tausendfachen Wirklichkeit unsichtbar umflort, von einem zu innerlicher Resonanz befähigten Publikum erspürt wird — und vielleicht Anlaß zu einer Besinnung gibt (wohin gehen unsere jungen Burschen und Mädchen?), in Wien ist dieses Publikum kaum zu finden. Die derbe Lache, die immer wieder klatschend aufschlägt, ist Beweis genug: zur eindeutigen Drolerie, zur Pikanterie, ja zur Zote wird, was in seiner betonten Nüchternheit und Realität den Vielzuvielen die Transparenz, das Durchscheinen des tieferen Untergrunds nicht sichtbar werden läßt. — Ist das Garn des Ethischen allzu fein gesponnen? Vielleicht — daß es nicht wirksamer werden kann, liegt jedenfalls daran, daß das Garn des Poetischen zu dünn, zu schütter, zu flitterfertig ist. Nur einer Dichtung hätte dies gelingen können, das brüchige, oft stockende innere Gespräch zweier Menschen zum Lied der Taube läuternd auszusingen. Es bleibt also bei der „Komödie“ — seltsame Komödie unserer Zeit, die sich so gerne nüchtern, realistisch, gegenwartssicher gebärdet und dann, verlegen und stammelnd, uneingestan-' den tief wundgetroffen, sich auf das Hohelied beruft, um das kleine Schiff ihres sturmgepeitschten Lebens doch noch unter einer legitimen Flagge des Menschlichen in einen wirklichen Hafen führen zu können ..

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