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In memoriam

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Am 23. Juni 1942 starb in Vn Dominikanerklosterdon, zu Ilanz in Graubünden Momme Nissen, der große Maler, der ebenso bedeutend als Schriftsteller war, einer, der hart am Scheidewege des deutschen Volkes an der Seite des Rembrandt-Deutschen als Richtweiser und Warner gestanden hatte. Kaum daß die Presse des Dritten Reiches seines Heimganges geachtet hätte. Ohne daß ein Dankeswort von ihr gekommen wäre, schloß sich das Grab über diesen Mann, dessen Name einst durch ganz Deutschland gegangen war. Er war der Begleiter, Mitarbeiter und literarischer Interpret jenes eigenartigen Erzieher- und Kulturphilo-sophon Julius Langbehn, der, lange unter seinem bürgerlichen Namen unbekannt, als „Der Rembrandt-Deutsche“. in die Geiste geschichte Deutschlands eingegangen ist. Mit diesem teilt Momme Nissen das Verdienst, lauter Rufer gegen die materialistischen Zeitströmungen gewesen, zu sein. In der sittlichen Erstarkung des Volkstums, seiner seelischen Umkehr zu Schönheit und Kunst unter der führenden Macht christlichen Glaubens sah der Rembrand-Deutsche die Rettung des deutschen Menschen vor den in seinem eigenen Hause drohenden Gefahren. Das große Werk, das 1890 in erster Auflage unter dem Titel „Rembrandt als Erzieher“ erschien und dadurch dem noch anonymen Verfasser selbst zum Namensverleiher wurde, wurde epochemachend, als 1926 seine 50. Auflage, von Momme Nissen redigiert, herauskann, schien es, als ob diese hinreißend vorgetragenen Ideen noch einen Kurs niedriger Erdverhaftung und rohen Machtstrebens korrigieren könnten. Die dann immer heftiger einsetzende politische Entwicklung hat alle guten hoffnungsvollen Ansätze zerstört. Das Verdienst der beiden hochgesinnten Kämpfer gegen den materialistischen Ungeist, Langbehn und Momme Nissen, kann deswegen nicht geringer sein.

Eigenartige Schicksale umwebten den Lebensgang des jungen nordfriesischen Maliers Momme Nissen, der schon als Neunzehnjähriger mit seinen Bildern auf Ausstellungen Aufsehen erregt hatte. In dem väterlichen Postmeisterhause seines Heimatdorfes empfängt der junge Künstler, der in Weimar und München seine Ausbildung erhalten hatte, eines Tages den Besuch eines Fremden. Er erfährt, daß er in dem Gast aus Nordschleswig den gefeierten Verfasser des Swdus vor sich hat, das ihn begeistert hatte.Das Gespräch zwischen dem Philosophen und dem Maler wird für diesen zu einer Lebens-wende. Es hat in beiden Teilen einen tiefen Eindruck hinterlassen. Eine Korrespondenz' beginnt sich zu entwickeln, die für den jugendlichen Brausekopf zu einem Höhenwege wird. Und schließlich kommt an ihn der Ruf aus Wien des im praktischen Leben so gar nicht beheimateten Langbehn, er entbehre der Pflege und suche vergeblich persönlichen Beistand, ob seine Sendung deshalb zugrunde gehen solle?!

Momme weiß, wem er da vom Schicksal beizustehen ausersehen ist. Ohne viel zu überlegen stellt er die künstlerischen Aufträge, die der Ausführung harren, zur Seite, verläßt die Staffelei, nimmt von den Seinen Abschied und folgt dem verehrten Freunde in eine gänzlich ungesicherte Zukunft. Demütig dient er dem Kunstgelehrten • wie ein Famulus, und wenn er täglich dessen Lager richtet, so ist es dann sein Pinsel, der Brot schafft für das Nötigste; denn die Armut ist fast ihr ständiger Gast draußen im Wiener Ober-Sankt Veit, wo die beiden ein Landhaus in der heutigen Trazerberggase 1893 bis 1895 bewohnten. Aber es gab in dieser Armut Genüsse, die den Jüngling begeisterten.

„Mich packte am stärksten die Wiener Musik“, gesteht er in seinem Bekenntnisbuch. „In Wien erst habe ich erkannt, was die Tonkunst dem Menschen zu bieten, wie sie seine Seele zu beflügeln vermag. Wird anderswo Musik ,gemacht' — hier ist sie der erhöhte Puls des Lebens. Hier fand ich sie von Menschen so selbstverständlich gepfleg' wie von Singvögeln, die dafür geboren sind Nirgends habe ich eine höhere Weihe der Musik empfunden als in den Hochämtern der Hofburgkapelle, wo Meister Bruckner den Taktstock schwang. Ein Grundklang war es, der aus den Geigenspielern des einfachen Volkes wie aus der meisterlichen Kammermusik, wie aus den Kirchenchören Wiens zu unsern Herzen sprach.“

Es waren unauslöschliche Eindrücke, die der Kulturphilosoph und' sein Famulus in Wien aufnahmen. Ähnlich den Dichtern der Romantiker wurden beide 1900 und 1902 in die katholische Mutterkirche geführt. Die materiellen Verhältnisse hatten sich mählich für beide gebessert. Vierzehn Jahre lang bot Momme Nissen in schrankenloser Hingabe dem Rembrandt-Deutschen Halt und Stütze. Trotz des Altersunterschiedes von* fast zwei Jahrzehnten, der zwischen ihnen lag, und seiner bescheidenen Rolle in diesem Zweierpakt, war er zu oft der Gebende, immer aber der Repräsentant bei Verlegern und Behörden. Als. Langbehn im Jahre 1907 seine Augen für immer geschlossen hatte, weinte. Momime um ihn. An ihm hatte er seinen anfangs etwas überheKlichen Charakter, den allzufrühe Erfolge beirrt hatten, gründlich abgeschliffen und durch ihn wurde er zuletzt der demütige und selbstlose Mensch, der nur darum leben will, um anderen dienen zu' dürfen.

Schon all Langbehn zu kränkeln begann, hatte Momime Nissen sich zuweilen mit dem Gedanken beschäftigt, 3er so mannen grow ßen Maler schon zur Klosterpforte gelenk* h#t in der Sehnsucht nach der ewigen Schön* heit. Noch während des ersten Weltkrieges trat er bei den Dominikanern ein und'wurde im Jahre 1922 im Kölner Dom zum Priester geweiht. Ein reifer Mann, der des Lebens Last und Härten, aber auch seine ganze Schönheit kannte, wirkte er nun in stiller Bescheidenheit als ein Priester. Seine Freistunden gehörten den Arbeiten und Ideen seines großen Freundes und ihrer Verbrei-' tung. So verfaßte er zunächst das auf* schlußreiche Buch „D er R e m b r a n d t-Deutsch e“, in dem er das Leben und Wollen Langbehns schilderte, und dessen Erscheinen in aller Welt Einladungen an ihn zu Vortragsreisen veranlaßte. Darauf folgte seine eigene Lebensgeschichte: „M ein SeeleinderWel t“, die in ihrer offenen Art manchmal wie eine Beichte klingt.. Er nannte sie auch ein Bekenntnisbuch.

Die Fortsetzung „M eine Seele im Reiche Gotte s“, vermochte er nur mehr zu zwei Drittel vollenden. Das Herz versagte.

Am 23. Juni Heß er des Morgens melden, daß er keine heilige Messe lesen könne, weil ihm nicht gut sei. Die Nonne, die an seinem Bette wachte, hörte, wie er das Verslein wr sich hinflüsterte:

„Ein Häuflein Elend nur Mn ich in meiner Armut und meiner Not. O lieber Heiland, blick' auf mich und hilf mir zw einem guten Tod!“

'Am gleichen Tage — es war am Vorabend ks Fronleichnamsfestes —, während die jl der das „Salve Regina“ anstimmten, ent-st ilummerte der Pater Benedikt Nissen. '

Fast drei Jahre ruht er nun auf dem Friedhofe zu Ilanz, den er so oft betend und sinnend durchwandert hatte, dabei an ein fernes Grab denkend, dem er treu geblieben war.

Viele seiner Gemälde hängen in vornehmen Häusern; aber noch glänzender ist sein Name mit dem Werke des edlen Kulturphilosophen verbunden, dessen bürgerlichen Namen er der Vergessenheit entriß. Man wird, wenn man vom Rembrandt-Deutschen spricht, Momime Nissens gedenken, obwohl dieser Künstlermönch für sich gar nichts anderes wollte, als gut sein zu' dürfen.

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