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In memoriam

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Pötzleinsdorf! Hier ist es, wo der Riese Wien langsam seinen Dunsthauch verliert, wo seine Macht allmählich schwindet, wo Wald, Berge, Sonne und klare Luft über ihn triumphieren: wo der Wienerwald mit seinen Hängen lockt, wo Rebstöcke mit den Waldbäumen um Licht und Boden ringen, wo Dorfkirchen, kleine Häuschen und Weinschenken den Pulsschlag des Urwieners schlagen, ohne dem er gar nicht leben könnte. Hier hatten bereits andere große Künstler ihr Heim aufgeschlagen, denn hier locken tausend schöne Motive, hier lebt und webt Alt-Wien. Hier ist man ganz am Lande ... und doch in Wien! — Und da lebte auch er, der viel zu früh dahingegangene, einsame und geniale Maler August Rieger. Nur ein Zufall brachte mich (auf einer Suche nach einem Atelier) auf ihn. — Es ist kaum zu fassen, daß ein solcher Künstler ohne jede Schulung „wurde“, denn er hätte Priester werden sollen. Ein großes Füllhorn von Schätzen hat er gesdiaffen, das seine Frau heute noch ängstlich hütet, „damit man nicht auch noch mit den Augen kopiere .. .“ Es war sein Genius, der so rastlos zum Schaffen antrieb, dazu brauchte er keine Schule! Seine Eigenheit war das Undeutliche, etwas verschwommene, sammetartig-weiche, kurz in matten Farben gehaltene Landschaftsbild, beinahe Spiegelbilder Carl Molls, dessen Werke er nicht gekannt haben soll. Er hat im wahrsten Sinne des Wortes „aus sich selbst heraus gewerkt“. Was in ihm lebte, sprühte und in den herrlidisten Farben glühte, mußte aufs Papier, auf die Leinwand. Ja, sogar Kehrseiten der Bilder sind mit Landschaften versehen. Man ist beim Betrachten in Verlegenheit, welche eigentlich besser sei. Da gibt es unzählige Badeszenen an der Alten Donau, bunte Fährhäuser unter hohen, silbergrauen Weiden, von Kagran und der Lobau angefangen über Nußdorf, Sievering, Pötzleinsdorf nach Neuwaldegg hinein, tief in den Wienerwald bis Gutenstein, lauter wertvolle Schätze, ein Kranz, geflochten um die geliebte Heimat. — Fast scheint es, als ob der rastlos Schaffende mit seinen Werken bloß die Einsamkeit seiner Seele ausfüllen wollte. Nirgends tritt dies deutlicher hervor, als bei seinen hunderten Skizzen' aus Gutenstein und Umgebung: einsame, himmelanstrebende Föhren, die trotzig an Berghängen leuchten und stolz auf ferne Giebelhäuser hinabblicken, Sägemühlen und Einschichten, weidende Kühe auf im Dunst verschwimmenden Wiesenflächen und dann immer und immer wieder Winkel der Donau, mit Booten, Segelschiffen und alten, sparrigen Uferbäumen bei Schwechat und Liesing. Rings um Wien herum geht sein Wirken Die Landschaft, meisterhaft in der Beleuchtung, alles im sonnigsten Hell, mit weichen, verschwommenen Linien der Baumgruppen, die Personen nur durch kühne Striche und Lichter effektvoll hingeworfen — das ist August Rieger! Gesichter, klar oder mit verfeinerten Umrissen darzustellen, war durchaus nicht sein Fall. Da weiß er sich zu helfen. Auf seinem größten Bilde — zwei badende Mädchen — läßt er sie ganz einfach das Antlitz abwenden und mit den Händen plantschen. Doch eine hat das Gesicht teilweise gewendet und ist beinahe erschreckend ... häßlich.

Von den vielen hundert Kleinarbeiten — durchweg Temperastudien — liegen die besten vor mir. Sie weisen eine wahrhaft entzückende Fülle von Schönheit, Leuchtkraft und Mattweichheit auf, die Motive wetteifern an Wahl und Originalität. Da fragt man sich oft, warum man von diesem Manne noch so wenig gehört hat? — Weil er ein Abseitiger war, der jede Gesellschaft und laute Fröhlichkeit floh, ein Sonderling, ein Heiliger in seiner Kunst, der Kunst nur betrieb, um der Kunst zu opfern, der sie wie einen Tempel betrachtete, aber auch darin kein Feilschen und Marktschreien duldete ... Das haben mir alle Briefe, Schriften und Randbemerkungen bei Durchsicht seines Nachlasses offen gesagt. Auch hat er aus diesem Grunde nur sehr wenig zum Verkaufe angeboten und lieber bitterste Not auf sich genommen, „als daß er sein Heiligstes anderen hinwarf ...“. Trotzdem stellte er doch einiges von seinen Werken aus, wurde mit Verdienstmedaillen ausgezeichnet und der Jury beigezogen. Als ihm im Jahre 1937 der Preis der Stadt Wien einstimmig zuerkannt wurde, folgte gleich dem Erfolge das Unheil: Rieger erblindete auf einem Auge. Wilde Verzweiflung überfiel den auf der Höhe seines Schaffens Strebenden. Doch auch eine gewagte Operation half nicht mehr ...

Sein Leben wurde schwerer, von Tag zu Tag unerträglicher, ja zur Qual: zum Schlüsse überfiel ihn ein Schaffensfieber sondergleichen, ein inneres, loderndes Feuer schien ihn zu verzehren. Er aß nicht, trank nicht, er malte nur immerfort, auch mit dem einen Auge. Aber diesem rä?enden Tempo war der hinsiechende Körper nicht mehr gewachsen. Durch diese Lohe fuhr sein Genius über ihn hinweg .. . Noch warf er die letzten Schatten auf des Künstlers Geist... Im Jahre 1941 erlag Rieger seinen Überanstrengungen.

Auch für ihn gelten die wahren Worte, die ein österreichischer Fachkonsulent den Schaffenden widmete: „Wir Österreicher lieben mit Recht unsere schöne Heimat und lieben aber auch alle jene, welche gleich uns diese Schönheit bei uns suchen, finden und deren Ruhm in Wort und Bild weiterverkünden.“

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