6698164-1963_16_11.jpg
Digital In Arbeit

Kardinäle und Großmeister

Werbung
Werbung
Werbung

DIE VERSUCHUNG DES KARDINALS. Von Jean-Jacques T h i e r r y. 230 Seiten. Preis 17.80 DM. - DIE SÖHNE DES LICHTS. Von Roger Peyrefitte. 535 Seiten. Preis 22.80 DM. Beide 1962 im Stahlberg-Verlag, Karlsruhe.

In der Behandlung gewisser Stoffe zeigt sich das Auf und Ab der dem Publikumsgeschmack Rechnung tragenden Mode, was die Priesterromane anbelangt. Nach der Zeit des altliberalen Antiklerikalismus (von „Zwei Menschen“ bis zum „Pfaffenspiegel“) kam die neuromantische Weih-rauchliferatur, den wilden Ausfällen der zwanziger Jahre und den Pamphleten der NS-Zeit folgte die Mode der idealisierenden Priesterromane, der pretiösen Betulichkeit. Zur Zeit scheint wieder ein despektierlicher Ton, eine Art gehobener „Spie-gel“-Stil beim Publikum Chancen zu haben. Sei's dtum! Die Kirche hat schon so manchen Hutten, so manchen Claudel kommen und gehen gesehen. Weder ihre Hasser noch ihre Verherrlicher haben ihre Substanz von außen her zu ändern vermocht.

Der Stahlberg-Verlag scheint sich auf diese Art romanhafter Enthüllungsliteratur — zumindest seit Peyrefittes fatalen „Schlüsseln von St. Peter“ — spezialisiert zu haben. Jean Jacques Thierry nennt sein fingiertes Tagebuch „Die Versuchung des Kardinals“. Der etwas knallige Titel verspricht dem Unkundigen handfeste Sensation. Aber dasi.Buch enttäascht in angenehmer Weise. Der „Kardinal“, der hier seine miterlebten Beobachtungen unter den Pontifikaten Leos XIII. und Pius X. aufzeichnet (in den Jahren von 1883 bis 1914), ist eine erdachte Figur.

Man erkennt allerdings unschwer die kirchengeschichtlichen Ingredenzien, aus denen er sich zusammensetzt: Die dominierende Hintergrundgestalt selbst nach seinem dramatischen Sturz ist Kardinal

Rampolla. Und eine verborgene Randbemerkung weist auf Kardinal Kopps Brief an den Reichskanzler Bülow hin, der als Stimmungsdokument des nachvatikanischen deutschen Reformkatholizismus (um nicht zu sagen: „Modernismus“) typisch ist. Mit den Augen dieser beiden Männer sieht der Held Thierrys die Entwicklung der Kirche. Er macht keinen Hehl daraus, daß er — immer im Gewand des Kardinals — zur Ära Leos XIII. mehr Sympathie empfindet als zum Pontifikat des neuen Papstes, Pius X. Mit einem gewissen historischen Recht sieht er in dem einen einen erklärten Freund der Franzosen, in Sarto, schon seiner Wahl wegen (mit dem demonstrativen Veto Franz Josephs gegen Rampolla) den Papst des „Dreibundes“. Vor diesen kirchenpolitischen Akzenten treten bei einem Fürsten der „ältesten Tochter der Kirche“ die rein religiösen zurück.

Wir wissen nicht, ob jedes Detail der päpstlichen Hofgeschichte stimmt. Aber der Autor beherrscht die Kunst, verbürgt Wahres, wie etwa die Vorgänge beim Vetokonklave von 1903, mit ebenso sicher Erdachtem zu vermischen, so daß am Ende eines jener fingierten Memoirenwerke entsteht, die zu den Spezialitäten der Franzosen zählen.

Auch Roger Peyrefitte stellt sich mit einer Neuerscheinung ein: Nach den Prälaten um Pius XII., den Diplomaten der Ära Bidault und den Maltesern unter der Ägide des Kardinals Canali sind jetzt die Freimaurer dran: „Die Söhne des Lichts.“ Besser gesagt, ein großes Potpourri, in

dem sich nun alle durcheinander und umeinander bewegen: die Freimaurer halten *s selbstverständlich mit den Jesuiten, die amerikanischen Militärdiplomaten korrespondieren mit der Hocharistokratie, am Ende erscheint sogar der gütige Nuntius Roncalli in bengalischer Schlußbeleuchtung als heimlicher Gönner der Loge.

Ein ausführliche historisches Schlußkapitel behandelt die Gründe, die den greisen und erblindeten Clemens XII. aus dem Haus Corsini 1737 dazu bewogen hatten, die Freimaurerei, die damals in erster Blüte stand, abrupt zu verbieten. Bei Peyrefitte ist die alleinige Ursache „natürlich“ ein Intrigenspiel der Florentiner Aristokratie und ebenso „natürlich“ ein homosexuelles. Nun sind wir seit geraumen zwei Jahrhunderten mit einschlägigen

Informationen darüber, wer alles der Log angehört, so ausreichend und so buntscheckig versorgt, daß es selbst Peyrefitte schwer ist, hier etwas Neues zu servieren. Aber es gelingt ihm hier und da noch. Vor allem merkt man diesem Enthüllungsbuch bei allem Zynismus, bei aller Freude am skandalösen Detail, die eben einmal sein Lebenselement ist, etwas an, was man früher nicht gewohnt war: eine Spur echter Ergriffenheit, einen Ausdruck echter Begeisterung für die Idee der freimaurischen Menschheitsbrüderschaft. Sollte Peyrefitte am Ende gar selber. ..? Auf alle Fälle liest man das Buch eben doch bis zum Schluß. Und ist schon neugierig, welche „geschlossene Gesellschaft“ als nächst drankommt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung