6639226-1957_34_14.jpg
Digital In Arbeit

Kein Platz für gute Reportagen?

Werbung
Werbung
Werbung

Der Dokumentarfilm ist in einer Krise begriffen, unabhängig von Ländergrenzen, politischen Anschauungen und wirtschaftlichen Erwägungen. Eine Krise, deren beide Brennpunkte Wissenschaft und Geschäft heißen. Es wäre sicherlich verlockend, hier, historisch lotend, von Anfang an der Sache auf den Grund zu gehen; für uns genügt es zunächst, diese beiden Brennpunkte festzuhalten; denn zwischen ihnen und rund um sie spielt sich diese Krise des Dokumentarfilms, des ernsten Kulturfilms somit, ab.

Walt Disney drängt sich hier wohl als erster Name dem nachdenkenden Zeitgenossen auf. Schöpfer zahlloser Trickfilmfiguren, der seit neuestem unter die Kulturfilmproduzenten gegangen ist und (vielleicht in den länderkundlichen Vorfilmen noch mehr als in den tier- kundlichen Hauptfilmen) buchstäblich demonstriert, wie man Dokumentarfilme machen kann. Nicht unbedingt: wie man sie machen sollte; gerade die ersten Filme haben da ihre Schwächen und ihre ausschließlich auf Publikumswirksamkeit abgezirkelten und berechneten Trickaufnahmen. Sie sind doppelt gefährlich, weil sie mehr oder weniger nahtlos in die sonstige, tatsächlich dokumentär gefilmte Umgebung eingefügt werden und dadurch dem Uneingeweihten mitunter sehr einseitige, ja falsche Eindrücke vermitteln. Es wäre aber unfair, hier nicht festzustellen, daß der letzte bisher gezeigte Film, „Geheimnisse der Steppe”, erfreulicherweise wieder ganz zur “Natur zurückgekehrt ist; und siehe da: auch die reine, unverfälscht gefilmte Natur verkauft sich herrlich, ist auch ohne Schnulzenromantik ein blendendes Geschäft. Was allen jenen ins Stammbuch geschrieben sei, die immer noch glauben, nicht ohne sentimentalen Kitsch auskommen zu können.

Der italienische und der französische Unterwasserfilm: sie haben das ehrliche Bestreben gemeinsam, bewußt alles Falsche, Gefälschte zu vermeiden und verzichten auch auf eine gewaltsam aufgezwungene, in Selbstbeweihräucherung „machende” Spielhandlung ä la Hans Hass oder Hans Erti.

Hans Erti: da sind wir schon in nächster Nähe der Klippe „Geschäft”. Nichts gegen den Bergsteiger und Menschen Hans Erti; seine bergsteigerischen Leistungen in Asien und Südamerika sind unvergessen. Der Alleingang auf der Eisflanke des Illimani-Südgipfels, die Verfilmung des Nanga-Parbat-Unternehmens bis zum letzten Hochlager hinauf, das war ehrliche Leistung. Aber auch nur das. Hans Erti ist mit seinem Film „Vorstoß nach Paititi” an der Klippe „Geschäft” gescheitert. Eine Expedition, die einer besseren Sache und eines besseren Ergebnisses, auch eines besseren Films wert gewesen wäre. Was bleibt als Gehalt, als Inhalt? Eineinhalb Stunden zum Teil ausgezeichneter Landschafts- und Stimmungsaufnahmen aus dem südamerikanischen Busch und Urwald, ein paar nette Tieraufnahmen. Die Funde von Paititi wurden, wenn man der Filmstory Glauben schenken soll, wegen gespensterangst-übervoller Beinkleider wieder in einen Fluß versenkt, nachdem man sie für den Film in Groß- und Nahaufnahme gefilmt hatte. Ob man’s glauben darf?

Wir wollen hier nicht als übereifrige Köche unsere Suppe als die beste loben, aber „Das heilige Erbe” hat das Dilemma mutig und aufrichtig gelöst — wenn er auch mehr Heimat- als Dokumentarfilm ist —, und es ist schade, daß ein historisch sein sollender Film diese österreichische Mutleistung von einem internationalen Filmforum verdrängen konnte. Was hier von Jagd und Weidwerk gezeigt wird, kann wohl viele begeistern.

Jagd und Weidwerk: schon stehen sie sich gegenüber, die beiden Antipoden: Grzimek und Zwilling. Grzimek: geistiger wie materieller Vater des Films „Kein Platz für wilde Tiere”, in summa ein flammender Angriff gegen das Ausrotten vieler Tiere im afrikanischen Wildgebiet und voll der schwersten Angriffe gegen die Jägerschaft. Gegen ihn wendet sich in seinen Vorträgen aufs schärfste E. A. Zwilling: er wirft ihm Kampf mit unlauteren Mitteln vor, der Film sei in einem sicheren Wildpark gedreht worden, der „angeschossene” Elefant sei in Wirklichkeit aus einer Wildfalle der Eingeborenen ausgebrochen und nicht von weißen Jägern zuschanden geschossen worden. Aber: sind die Aufnahmen Zwillings ebenfalls restlos in freier Wildbahn gemacht, hält sich Zwilling ebenfalls restlos an die ungeschriebenen Gesetze des Weidmannes aller Länder und Erdteile? Doch selbst, wenn hier und dort etwas zu bemängeln wäre, hat Zwilling anderen eines voraus: er ist hundertprozentig Jäger, wo er es ist, und er ist hundertprozentig Forscher, wo er es sein kann. Bezeichnend manche seiner Aussprüche in engerem Kreise anläßlich einer Vortragstournee durch Niederösterreich: das Zum-Schuß-Kommen sei gar nicht das Wesentliche, ein guter Schuß mit der Leica und dem Teleobjektiv sei ebenso genußreich und wertvoll; ein Schießer ist, wer von jedem Gang mit einer Trophäe heimkommen will, und vieles andere mehr.

Gerade der Jagd-Naturfilm befindet sich in einem sehr großen Dilemma, und dieses Dilemma wird wohl nirgends deutlicher als angesichts des großen „Filmdreiecks” „Kein Platz für wilde Tiere”, „Das heilige Erbe” und den Filmen von E. A. Zwilling.

Gerade der Jagd-Naturfilm könnte aber bewußt auf alles verzichten, was gefälscht oder nur des großen Geschäfts willen da ist. Und wo er es tut, dort wirkt er am stärksten.

Krise des Dokumentarfilms? Sicher. Aber es sind seine Schöpfer, die ihn in diese Krise bringen. Die Natur befindet sich niemals in einer Krise in diesem Sinne; die Natur ist immer natürlich, und was natürlich ist, ist immer eindrucksvoll.

Es gibt nur einen einzigen Weg, um den Naturfilm aus dieser Krise herauszuführen: bewußter Verzicht auf Selbstbeweihräucherung, größtmögliche Ausschaltung des Menschen im allgemeinen und des geistigen Vaters im besonderen aus dem Bildraum (und Text), bewußter Verzicht auf alles Gefälschte, Unehrliche, Halbe; bewußter Verzicht auf alle Beschönigung von Mißerfolgen.

Non ölet; Geld stinkt nicht, sagten die alten Römer. Sicher, es stinkt nicht. Doch haben Unehrlichkeit und Eigenlob seit alters her höchst unangenehmer Geruchseigenschaften, um derentwillen es sich empfiehlt, sich von ihnen fernzuhalten.

Zumal beim Dokumentarfilm… .

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung