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Keine Geborgenheit, wenn die Flut kommt

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Über die Flut des Nichtgesagten und Unaussprechlichem, unartikulierte Wut und dem Ertrinken einer Beziehung.

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Über die Flut des Nichtgesagten und Unaussprechlichem, unartikulierte Wut und dem Ertrinken einer Beziehung.

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Es ist der Charakter des alten verkommenen Hauses, der das junge Paar zum Kauf verführt: Wie eine Arche sitzt es auf einem Hügel und strahlt Geborgenheit und Unerschütterlichkeit in einem ständig von Hochwasser bedrohten Landstrich Irlands aus. Die junge Frau ist auf der Suche nach einem Ort, wo sie endlich hingehört und ignoriert die Baufälligkeit und die bedrohlichen Spuren alter Hochwasser im Garten und am Haus. „Wir waren seinem Zauber erlegen im Eifer, unsere Wahl zu recht-fertigen." Viele Monate lang wird gesägt und gehämmert, gestrichen und repariert, um das Haus nach den eigenen Vorstellungen wieder Instand zusetzen.

"Nun würden die Jahre sich gleichen"

Alten Erzählungen von der steigenden, alles verwüstenden Flut schenkt das junge Paar wenig Glauben. Zu beschäftigt ist es mit dem Erforschen des großen Grundstückes und der Rekultivierung des Gartens voller Obstbäume und Sträucher.

Irgendwann sind alle Wege gekiest, die alles überwuchernden Brombeerhecken gezähmt, der Reiz des Unerforschten und Neuen ist einer steten Zufriedenheit gewichen und es kommt die Einsicht: „Nun wurden die Jahre sich gleichen."

In einer angrenzenden Scheune entdeckt die junge Frau ein Bündel alter Briefe und sie beginnt die Spurensuche nach der Schreiberin und deren Leben. Sie erfährt, dass in diesem Haus in der Zwischenkriegs- und Nachkriegszeit schon einmal eine Frau eine „ Arche" für sich, den geliebten Mann und die Kinder finden wollte. Das blühende fruchtbare Tal und das glückliche Leben der jungen Familie wurde von der Flut hinweggespült. D

er schlammige Boden konnte nur mehr mühsam drainagiert werden und die Ertrage aus dem Obstanbau wurden so gering, daß der Mann die Familie verlassen musste, um sie in der Stadt mit Fabriksarbeit zu ernähren. Die helle sonnige „Arche" wurde im Laufe der Jahre zur düsteren Insel für eine traurig wartende Frau. In der Flut des Nichtgesagten und später Unaussprechlichen ertrank die Beziehung.

Wie eine Antwort ertragen?

Erzählungen von Dorfbewohnern und Spuren von alten Gemäuern am Gartengelände bringen die junge Frau auf ein zweites Frauenschicksal, das sich zu Beginn dieses Jahrhunderts auf dem Anwesen vollzog. Diese Frau übernahm den Knecht und Liebhaber der Mutter nach deren Tod irgendwie selbstverständlich, nachdem die Schwester nach einer Vergewaltigung ins Kloster floh. Und auch diese einfache Frau sehnte sich nach Glück und Geborgenheit, wenn auch unter viel einfacheren Vorzeichen.

Ihr Gefährte baute aus Angst vor dem Hochwasser die „Arche", die er dann alleine bewohnte. Sie blieb voll Groll in der Scheune, weil es ihr nicht gelang, ihre Wut zu artikulieren und ihr Becht einzufordern. „Wie sollte sie seine Antwort ertragen, ohne von dem Verschwiegenen überschwemmt zu werden." Noch im Ertrinken machte sie Pläne, wie sie im nächsten Jahr die Flut eindämmen könnte.

Die junge Frau ist eifrig beschäftigt, ihr Haus und das dazugehörige Land zu beleben und den Spuren der früheren Generationen zu folgen. Erst als sie über Nacht von ihrem Freund verlassen wird, erkennt sie die steigende Flut im eigenen Garten, die sich bedrohlich ihrem Lieblings-Sitz-platz nähert. „Ich hatte gedacht, wir konnten das Vergangene allmählich erkennen, wenn wir nur lange genug am Ufer stünden, doch dann schwammen wir selbst in den Wellen ..."

Gabrielle Alioth, die seit über zehn Jahren in Irland lebt, versteht es in diesem Roman, die Gegensätzlichkeit von Sanftheit und Bedrohlichkeit der irischen Landschaft, und die darin verborgene Hoffnung und Resignation auch sprachlich zu vermitteln. Die fließenden Übergange dazwischen sind nur ganz verschwommen wahrzunehmen. Anhaltspunkte schon in der nächsten Generation von schwellenden und sinkenden Fluten sind verwischt. Die Metapher für das Leben wird selbstverständlich und mit sprachlicher Leichtigkeit erkennbar.

DIE ARCHE DER FRAUEN

Roman von Gabrielle Alioth. Verlag Nagel & Kimche,

1996
226 Seiten,
geb.,
ÖS 258,-

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