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Mein erstes offentliches Auftreten

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„Gigerlfutter! Pomerantschen, Bamkraxler angenehm?“

„Zwa Kreitzer a Windradi I Zwa Kreitzer, gnä Frau!“ schnarrten die Standelweiber.

Heiß war die Stadt und leer. Kaisers Geburtstag. Erst mittags verstummten die Glocken. Halb Wien war im Prater.

„Vergelt's Gott!“ seufzte eine Zaundürre und ich hatte einen blauen Luftballon.

In einem sinnlosen Gedränge wurden Mutter und ich hin und her gestoßen. Schrittweise preßten wir uns durch die Menschen. Vor einer Prunkbude zielten viele auf weiße Scheiben, unausgesetzt knallte es. Im roten Ruderleibi brüllte ein fetter Kerl:

„Treten Sie näher, meine Herrschaften! Ein Fest, eine Osterfreude, ein Pfingstgeschenk! Einmal schießen der Kleine! Da freut sich der Papa, da amüsiert sich die Mama!“

Überall war Geschrei, Blechmusik und Staub. Vor einer anderen Bude fing einer zu schreien an: „Der Daucher! Der Daucher! Der Daucher! Hereinspaziert! Die größte Sensation des Jahrhunderts!“

Neben ihm stand ein Ungetüm mit Riesenstiefeln, in Gummikleidung, oben schaute ein ganz kleiner Kopf heraus.

„Hier sehen Sie den Daucher, den Daucher. Jetzt steigt er hinab! Er lacht, er raucht, er spuckt, er spaltet Holz unter dem Wasser. Kinder und Militär zahlen die Hälfte. Versäumen Sie es nicht! Ein Fest. Ein Feiertag!“

Es war eine mörderische Hitze, und ein ohrenbetäubender Lärm war um uns. Auf einer Scheibe schaukelten bemalte Holzpferde. Darauf schreiende, lachende, quietschende Menschen, die gedreht wurden. Ich sollte mit Mutter auf die große Platte, aber ich weigerte mich. Das Johlen und Kreischen der Leute war mir unerträglich.

Jetzt war mir klar, warum der Onkel Seipel nicht mit uns war. Er wollte seine Ruh' haben. Er saß in der Hauptallee im Zweiten Kaffeehaus bei einem Glas Bier und drei Scheiben Veroneser Salami. Die teilte er jeden Sonntag mit der Jetti-Tant'. Dort hatte er sein Plauscherl mit dem Salamutschi und dem Herrn Gotscheeber, die den echten Schweizer und die Veroneser so hauchdünn schneiden konnten, daß es „einmalig war“. Der Lanner spielte unter den schattigen Kastanien, und die Fiaker-Milli sang auf der Pawlatschen. Das war sein geliebter Prater, und sein Kaiser hatte Geburtstag.

Mutter und ich kämpften uns durch die Staubwolken und waren endlich frei. Eine breite Allee war vor uns. Rechts und Unk Schauhäuser in Reih und Glied, am Ende ein gröBes, fufldes Gebäude' mit 'einer hohen Kuppel. Hier war alles ganz anders. Wir waren unter großen Bäumen, in tiner kleinen Stadt, auf einem Marktplatz mit ganz alten und schmalen Häusern. Die hatten Türmchen und dunkle Tore. Die Leute saßen in Lauben und tranken Wein.

Ein Holzgerüst war in der Mitte aulgebaut. Da trieben sich farbige Gestalten herum mit angestrichenen Gesichtern und großen Nasen. Sie zwickten und pufften einander, gaben sich Ohrfeigen und purzelten übereinander.

Ein Mann ging mit einem Schild herum und läutete mit einer Glocke. Einige Worte schrie er immer, dann zeigte er auf das Schild. Darauf stand:

AUF DEM HOHEN MARKT DER HERRLICHEN RESIDENTZ STADT WIENN wird heute gezeigt das Große Spektakel in der Komedi-Hütt'nl HANNS WURST, der Vielfresser und Geister-Erlöser. Der Rächer der Witwen! Und schon ging es los. Mit Donner und Blitz! Die Witwen liefen über das große Gerüst als Geister, in weißen Leintüchern, sie prügelten sich und schrien:

„Auweh! Die Trud! Auweh! Die Trud!“ Dann kam ein Mann, ebenso breit wie hoch, der hatte ein Froschmaul und eine geschwollene Nase. Der strengte sich furchtbar an, bekam aber keine Luft. Er hatte einen hohen Tiroler Hut, einen roten Brustlatz (darauf ein gesticktes Herz). Im Gurt hatte er eine Holzpritsche wie ein Schwert. Der schrie die Geister an und verjagte sie mit der Pritsche. Dazwischen stöhnte er immer: „Heiß is! Heiß is!“

Zum Schluß kamen die Geister und prügelten den Dicken, setzten ihn in ein großes Faß, und da konnte er nicht mehr heraus, so viel Teig war drin. Er war ganz voll davon, daß er fast erstickte. Dazu spielte die Musik: Tarahda-Bumm-diaeh! Tarahda-Bunundiaeh! und immer beim Bumm wollte der Hanswurst aus dem Faß. Aber die Leute schlugen mit Stöcken den Takt, und das Froschtnaul mußte wieder in den Teig zurück. Er war ganz erschöpft, er keuchte und rasselte nur: „Heiß is! Heiß is!“ und dann rollten die Geister das Faß davon, und er schrie drinnen immer: „'s is zum Haarausreißen! 's is zum Haarausreißen! Schippelweis!“

Als wir die Ausstellung verließen, sahen wir ein prächtiges Zelt mit vornehmen Damen in weißen Spitzenkleidern und Hüten so groß wie ein Wagenrad. Die waren hinter einem langen Tisch. Eine große Radtrommel war da, Mutter kaufte Lose, und eine sehr feine, alte Dame, mit schwarzen Kirschenaugen und fleischigen Lippen nahm mich bei der Hand: „Was bist du für ein liebes Bubi“, sagte sie, „du hast ein so schönes Kostümchen an.“

Und ich sagte darauf: „Ja, Mami Böhmin, Rudi Steirer!“ Da lachten die vielen Damen, und die alte Dame fragte: „Bist du auch immer schön brav und machst du deiner Mutter Freude?“ Mutter lächelte und sprach ganz leise.

Die alte Dame freute sich, sie streichelte mir die Wange: „Und wenn du groß bist, was willst du dann werden, kleiner Rudi?“

Sofort war ich mit der Antwort da: „Komedi spieln oder Geischtler (Geistlicher)!“

Wieder lachten die Damen: „Der kleine Steirer ist ein Hanswurst! Hast du schon was gelernt? Zeig es uns doch!“ und gleich produzierte ich mich. Ich machte es genau so wie der Hanswurst. Wie einen Degen zog ich die Pritsche und schlug damit herum. „Heiß is! Heiß is! 's is zum Haarausreißen! Schippelweis!“

Das war mein erstes öffentliches Auftreten. Meine Partnerin war die Fürstin Pauline Metternich.

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