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Mein tum Film

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Als ich sieben Jahre alt war, beging jemand die Unvorsichtigkeit, mir die Nibelungensage vorzulesen. Daraufhin inszenierte ich eine Hunnenschlacht in den Münchner Isaranlagen. Ein hübscher kleiner Junge war Hagen, und ich war Kriemhild, die Hunnenbraut, und rächte Siegfried an ihm.

Von da an habe ich mit meinen Spielgefährten immer solche Geschichten gespielt. Rückblickend bin ich mir heute bewußt, daß unser Spiele eigentlich nichts anderes waren als dreidimensionale Raumton-Breitwand-Farbfilme. Wir wußten es nur damals noch nicht, weil sie noch nicht erfunden waren. Wir waren Avantgardisten. Ich erinnere mich an einen dieser gespielten Filme, bei dem ich zugleich Rasputin und die Zarin darstellte, was einige technische Schwierigkeiten mit sich brachte — und an einen anderen, in dem Cesare Borgia Napoleon von der Insel St. Helena befreite. Wir waren historisch wie Hollywood.

Meine kindlichen Spiele werden, wie es sich gezeigt hat, meistens eines Tages unerbittlich zur Wirklichkeit.

Die Geschichte von Ludwig II., dem Bayernkönig, haben die Söhne Max Reinhardts, Wolfgang und Gottfried, und ich schon während eines Sommers im Engadin gespielt. Die beiden sind ja bekanntlich aus Preußen, aus Berlin sogar. Aber ich war ein sehr bayrisches Kind. Ich weiß nicht, wann ich anfing, König Ludwig zu lieben. Vielleicht als ich mit sechs Jahren zum ersten Male in Schloß Linderhof war, Vielleicht als die Lehrerin in der ersten Volks-schulklasse erzählte, sie könne sich noch erinnern, wie er in der Hofkutsche mit schwar: verhangenen Fenstern durch München gefahren sei. „So menschenscheu war er, der arme König“, sagte sie und weinte beinahe.

Ein buntes Bild des jungen Königs hing in jenen Jahren über meinem Bett. Und als wir in die Sommerfrische nach Hohenschwangau fuhren, war es vollends um mich geschehen. Ich lernte dort von der Sängerin einer Jodlergrupoe jenes berühmte Lied, das so beginnt:

„Auf den Bergen wohnt die Freiheit, auf den Bergen ist es schön, wo dem Bayernkönig Ludwig alle seine Schlösser stehn.“

Von Hohenschwangau fuhren wir ins Engadin und trafen Reinhardts. Wolfgang und Gottfried hatten damals schon eine langjährige Karriere als Direktoren eines Puppentheaters hinter sich. Noch häufig sprach man von einer Vorstellung der „Räuber“, bei der die Brüder sich hinter den Kulissen geprügelt hatten, und Wolfgang, der Aeltere, schließlich vortrat und sagte: „Ich kann nicht weiterspielen, mein Bruder ist ungezogen.“ Das Eintrittsgeld mußte zurückgegeben werden. Es war sehr peinlich.

Bei unserem Film hatten wir kein Publikum außer den Engadiner Kühen und gelegentlichen Spaziergängen:, die nicht wußten, was sie denken sollten. Es war wirklich Kunst um ihrer selbst willen. Wolfgang spielte den König Ludwig. Gottfried, der ein halbes Jahr älter war als ich — damals, denn inzwischen bin ich natürlich mindestens um zehn Jahre älter geworden —, spielte die Rolle Richard Wagner? und ich die Kaiserin Elisabeth von Oesterreich. Gleich zu Anfang gab es Streit, weil selbstverständlich ich den König Ludwig spielen wollte und beide Brüder empört erklärten, das ginge nicht.

Besonders Wolfgang war dagegen. Da ich aber seit meinem vierzehnten Geburtstag die glückliche Besitzerin eines weißen Matrosenanzuges mit langer Hose war, durfte ich wenigstens Ludwig als Kind spielen.

Da König Ludwig bekanntlich in einem vergoldeten Schlitten spazierenfuhr, entwendeten wir einen goldverzierten Schaukelstuhl aus dem Musiksalon des Hotels. Wir haben wirklich keine Mühen und Kosten gescheut. Besonders schön war die Begegnung König Ludwigs und der Kaiserin Elisabeth auf der Roseninsel. Dabei ruderten Wolfgang und ich in zwei Kähnen von den gegenüberliegenden Ufern des Silser Sees nach der kleineren der beiden Inseln. Wolfgang ruderte aufrecht — wie ein Gondoliere. Die Sonne sank. Das Alpenglühen begann. Auf der anderen Insel saß Richard Wagner und pfiff. Er war ungezogen.

Als wir uns jetzt nach Jahren wiedersahen, sprachen wir von unserem einstigen Ludwig-Film und wie schön es wäre, dergleichen wieder zu machen, genau wie in alter Zeit. Und dann kam es dazu. Einer der berühmtesten Regisseure wurde engagiert. Der beste und beliebteste Schauspieler spielte den Ludwig. Erlaubnis und Beistand der königlichen Familie wurden eingeholt. Die Aufnahmen wurden in den Schlössern gemacht. Die echten Kostüme, Uniformen und Requisiten wurden aus dem historischen Museum entliehen. Wieder wurden keine Mühen und Kosten gescheut.

Aber Kunst um ihrer selbst willen war es natürlich nicht mehr. Solcher Luxus ist nur Genies vorbehalten und Kindern. Von den Erwachsenen wird er meistens gar nicht gerne gesehen...

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