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Das Kosalcenpferd

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Seit Wochen hatten wir keinen russischen Flieger mehr über unseren Stellungen am versumpfen Styr bei Bordulaki gesehen, und nur ganz selten noch kam ein Artilleriegeschoß herüber und explodierte weit hinter unseren Linien. Allmählich verstummte die gegnerische Front beinahe vollständig, und nur hin und wieder krachte der Gewehrschuß eines Nachtpostens, ungezielt, hoch über den Wald hin, und das niederfallende Geschoß richtete keinen Schaden an. Dann begannen die Russen ihre Gräben zu räumen und mit uns lebhaften Tauschhandel zu treiben. Wir waren ausgehungert, drüben gab es noch Speck, Mehl und richtiges Kornbrot. Später kamen Waffen an die Reihe, Uniformen, sogar Pferde. Die Russen fahndeten hauptsächlich nach Browningpistolen, und auch Feldstecher waren sehr beliebt. ■

Oberleutnant Haubenlechner, der die Nachbarkompanie befehligte, erstand damals für eine Taschenpistole ein prächtiges Kosakenpferd samt Sattel und Zaumzeug. Der Rappe war ein junges, kräftiges, gängiges Tier, und sein neuer Besitzer wurde nicht wenig beneidet. Gab es doch im ganzen Regiment kein einziges Reitpferd mehr; erst beim Brigadekommando und bei der Division waren noch Pferde zu finden. Seine Freude war aber nicht ungetrübt. Wie konnte er, der Oberleutnant, hier ein Pferd halten, wo nicht einmal die Stabsoffiziere Pferde hatten? Und im Hinterland war es erst recht dem Zugriff der Pferdeassentkommission ausgesetzt. Trotzdem entschied sich Haubenlechner dafür, das Tier in seinen Heimatort zu schaffen, und er betraute mit dieser Aufgabe seinen Diener Hassan.

Hassan war kein Moslem; sein richtiger Name lautete Vratislav Navratil. Aber Haubenlechner nannte seit seinen ersten Leutnantsjahren, die er bei den Viererbosniaken in Mostar abgedient hatte, alle seine Diener Hassan, als könnte er in jedem neuen Burschen mit diesem Namen die trefflichen Eigenschaften jenes Hassan Ljubibratie wachrufen, der ihm einst wie ein Sklave ergeben gewesen war und doch auch seinen Einfluß wie ein älterer gütiger Bruder auszuüben verstanden hatte.

Der jetzige Hassan war ein Jugendfreund Haubenlechners gewesen und hatte sich in seiner Vaterstadt Beneschaü zu einem wohlhabenden Klempnermeister emporgearbeitet. Bei der Mobilmachung war er zu seinem Dragoner-Tegiment eingerückt, aber nach der ersten Verwundung und Heilung war er zur Infanterie in Haubenlechners Regiment eingestellt worden, und auf seinen eigenen Wunsch wurde er Diener seines einstigen Schulkameraden.

Als sich Hassan in den Sattel schwang, um zur nächsten Bahnstation zu reiten, schaute eine ganze Gruppe junger Offiziere zu. Der Rappe, gut geputzt, sah noch prächtiger aus als am Tage vorher, da ihn Haubenlechner am Halfter herangeführt hatte, und Hassan freute sich, wieder einmal ein richtiges Reitpferd zwischen den Schenkeln zu haben. Er saß im Kosakensattel wie ein unverfälschter Windischgrätzdragoner.

Es gelang Hassan, den Rappen in der Bahnstation auf der Strecke nach Lemberg einzuwaggonieren, und dann wich r nicht von der Seite des Pferdes, bis sie am heimatlichen Bahnhof hielten. Dort stieg er in den Sattel und wollte vor allem zu seinem eigenen Heim reiten. Er war erst vor einigen Wochen auf kurzem Urlaub dagewesen, und sein Besuch sollte daher eine große Überraschung werden. Sein Haus lag am Ende der Stadt, und schon von weitem konnte er vom Rücken des Pferdes aus bis in den Garten hinter sein Hau hineinsehen. Ja, ja, er sah die Frau auf der kleinen Bank beim Wasserbottich sitzen, und auch die Kinder waren bei ihr.

Der Rappe war unruhig. Er war seit Tagen nicht geritten worden, und auch die Bahnfahrt hatte ihn nervös gemacht. Er gab dem Reiter soviel zu schaffen, daß der eine Zeitlang gar nicht mehr nach den Seinen blicken konnte. Aber er legte sich im Kopf zurecht, daß er keinesfalls vor das Haus reiten würde, sondern von rückwärts an den Gartenzaun heran, um die Überraschung von Frau und Kindern noch besser auszukosten.

Endlich hatte er das Tier so weit beruhigt, daß es in einem gleichmäßigen, kurzen Galopp zu zügeln war. Da konnte Hassan wieder in den Garten schauen. Jetzt sah er seine Frau schon viel deutlidier, und er konnte auch ausnehmen, daß neben ihr ein Mann saß in feldgrauer Uniform, den er früher von weit her nicht wahrgenommen hatte. Ganz nahe aneinander saßen die zwei auf der kurzen Bank, auf der so wenig Platz war, daß der Mann den linken Arm um sie gelegt halten mußte, damit nicht eines von ihnen seitwärts hinunterfiele.

Hassan mühte sich, diesen feldgrauen Mann zu erkennen, aber es schien ihm, daß er ihn nie im Leben gesehen hatte. Je näher er herankam, desto weniger sicher wurde sein Auge; wohl weil ihn das Reiten auf dem unruhigen Tier zu sehr erhitzte. Nun, so würde er eben ganz nahe heranreiten, und dann würde er genauer sehen können. Voll Ungeduld ließ er dem Rappen immer mehr die Zügel nach und lenkte ihn von der Straße weg über das Feld geradewegs auf den Zaun zu. Er sah, wie sich die zwei eilig von der Bank erhoben; er gab dem Pferd die Sporen, und schon hob es sich steil empor, als wollte es mit einem einzigen Satz bis zu der Bank hinfliegen. Aber der Zaun war zu hoch. Das Pferd riß ihn mit sich und überschlug sich über den krachenden, splitternden Brettern.

Hassan fühlte einen brennenden Schmerz in der Hüfte. Ihm schwindelte, als er sich mühsam erhob, und der Garten drehte sich vor seinen Augen. Aber er sah, daß die Frau mit entsetzensweiten Augen auf ihn zueilte, wogegen die Kinder sich erschreckt hinter dem Wasserbottich versteckten, und er sah, daß der fremde Mann in der andern Gartenedce hastig über den Zaun kletterte, und ebenso sah er, daß der Rappe das linke Vorderbein unter dem Knie gebrochen hatte. Da zog Hassan den Revolver aus der Tasche, legte die Mündung dem daliegenden Pferd ganz nahe an die Schläfe, wartete noch ein wenig, bis sich das Zittern seiner Hand einigermaßen beruhigt hatte, und drückte los. Das Pferd zuckte, wollte aufspringen, ließ aber gleich wieder den Kopf sinken, streckte sich und rührte sich nicht mehr.

Da hockte er nun neben dem toten Pferd, und sonderbar redselig erzählte er der Frau, wie es sein Herr erstanden hatte, wie er beneidet worden war, wie er ihn mit der schwierigen Aufgabe betraut hatte, es ins Hinterland zu bringen, und daß der Oberleutnant ihm den Verlust des Tieres nie verzeihen werde.

Die Frau hatte sich neben dem Mann hingesetzt und berührte ihn immer wieder ängstlich und unbeholfen zärtlich mit den Händen. Sie schien gar nicht zu hören, was er sprach, schien gar nicht zu wissen, daß sie an seine Rede anknüpfte, als aus ihrer angstgeschnürten Kehle sich endlich die Worte preßten: .Gewiß wird er dir verzeihen... er ist doch ein guter Mensch ... wie sollte er nicht verzeihen können? ... das Leben ist so schwer, ich bin ganz sicher, daß er dir verzeihen wird ... wer kann dafür, wenn so etwas geschieht... wenn man ein Herz im Leib hat, muß man verzeihen können ...“

Haubenlechner wartete vergeblich auf eine Nadiricht von Hassan; er erfuhr nur, daß der Soldat Navratil kurze Zeit mit einer Hüftverletzung im Militärspital seiner Heimatstadt gelegen und dann an die Isonzofront eingerückt war.

Als nach dem Zusammenbruch Haubenlechner einmal in die Heimat kam, sudite er den Klempnermeister auf. Der empfing ihn freudig. Er sei glücklich, endlich den Schaden gutmachen zu können. Er hätte den Tod des Rappen verschuldet und sei bereit, den Preis zu zahlen, den ihm Haubenlechner nennen würde. Nur möge er ihn nach nichts fragen, und vor allem dürfe er vor seiner Frau auf keinen Fall des Rappens Erwähnung tun. Aber Haubenlechner weigerte sich, für den längstverschmerzten Verlust eine Entschädigung anzunehmen. Viel lieber hätte er gewußt, was sich denn mit seinem Pferd damals begeben hätte.

Sie blieben bis in die Nacht hinein beisammen, und der Wein löste allmählich Navratils Zunge. Nachdem Haubenlechner mit Handschlag versprochen hatte, zu der Frau niemals von dem Pferd zu sprechen, begann er ihm von jenem Erlebnis zu erzählen. Und da erfuhr er nun, wie der Sturz des Tieres und der Schuß in die Schläfe des Pferdes ihn davor bewahrt hatten, seinen Kindern die Mutter zu nehmen, 'ja sie vielleicht ganz elternlos zu machen. Weder er noch seine Frau hätten jemals wieder von dem Rappen gesprochen, und er glaube, von diesem Schweigen hänge ihr Glück ab. Ja, er könne sagen, erst seit jenem Schuß seien sie wahrhaft glückliche Eheleute geworden.

Aus „Slawische Weisen“, Paul-Zsolnay-Verlag, Wien

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