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Menschenherz gegen Maschinenherz

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DIE FRAU UND DIE TECHNIK. Von Gertrud von Le Fort. Die kleinen Bücher der Arche, Nr. 290/291. Im Verlag der Arche, Zürich. 72 Seiten. Preis 25.85 S. - DIE LETZTE BEGEGNUNG. Novelle von Gertrud von Le Fort. Insel-Verlag, Wiesbaden. 40 Seiten. Preis 3.80 DM

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DIE FRAU UND DIE TECHNIK. Von Gertrud von Le Fort. Die kleinen Bücher der Arche, Nr. 290/291. Im Verlag der Arche, Zürich. 72 Seiten. Preis 25.85 S. - DIE LETZTE BEGEGNUNG. Novelle von Gertrud von Le Fort. Insel-Verlag, Wiesbaden. 40 Seiten. Preis 3.80 DM

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In einer der autobiographischen Skizzen, die sich mit mehreren Buchbesprechungen, Rundfunkvorträgen und Bucheinleitungen an den bedeutenden Aufsatz „Die Frau und die Technik“ Gertrud von Le Forts in dem obengenannten gleichnamigen Arche-Band anschließen, sagt die Dichterin von sich selbst: „Man sagt mir, daß in meinen Dichtungen das weibliche Element besonders hervortrete. Ich finde das nicht nur richtig, sondern es freut mich auch. Ich ... bin mit dem großen russischen Philosophen Berdjajew der Ansicht, daß die Frau in Zukunft eine größere Bedeutung als bisher gewinnen muß.“ Auch in „Die Frau und die Technik“ selbst steht ein Berdjajew- Wort: „Die Frau hat sich auf einer größeren Höhe gezeigt als der Mann — sie ist enger mit der Welt seele und den Urwesenheiten verbunden. Die männliche Kultur ist zu rationalistisch, zu weit entfernt von den unmittelbaren Mysterien des kosmischen Seins. Durch die Frau allein kann der Mann zu ihnen zurückkehren." Es ist nicht das erstemal, daß Deutschlands größte Dichterin in schönem Selbstbewußtsein das Thema aufnimmt, aber kaum jemals ist es einer Feder überhaupt gelungen, darüber in gedrängtester Form (der ganze Aufsatz umfaßt nicht mehr als zwölf Druckseiten) so Gewichtiges zu sagen. Der weitum unbeherrschten Technik unseres Zeitalters, der Grausamkeit der Kriege, der Verstädterung, dem „Maschinenherz" wird das „Menschenherz“ der Frau entgegengesetzt, das Heilende und Bergende, Antigonische und Marianische — nicht siegreich und herrscherlich, sondern gerade durch den Schmerz des Unterliegens die verführerische Dämonie der unbeherrschten Gewalten unserer Zeit läuternd. Eine große Hoffnung, die vieles einschließt, denn die Frau kann es: aber „Maschinen können weder dichten noch beten noch können sie lieben“

Nie ist für Gertrud von Le Fort das Historische eine Flucht aus der Zeit gewesen, eher der „Abstand, aus dem man die eigene Zeit schärfer erkennt". So mag auch die glitzernd-dämonische Zeit Ludwigs XIV. mit seinen spukhaften Hintergründen in der Erzählung „Die letzte Begegnung“ nur eine Formel für die Unheimlichkeit der unseren sein. Die

Unterredung der gestürzten Frau von Montespan mit ihrer einstigen Rivalin Luise von La Valliere im Kloster ist historisch. Hier aber ist sie ein Meisterstück tiefenpsychologischer Deutung und dichterischer Ahnung geworden, ein „Dialog der Karmeliterin" mit dem Dämon schlechtweg, in dessen düsteres Flackern wieder, wieder der Glanz der Liebe, des Erbarmens und Verzeihens bricht. Trostvolle Weisheit auch für unsere Tage: „Es gibt eine Gemeinschaft zwischen Sündern und Gerechten", sagt Luise zur Montespan, „denn es gibt überhaupt keine Gerechten. Wenn ich unwissentlich an Ihrer Schuld teilhabe, so haben auch Sie unwissentlich an meiner Liebe teil, denn dann — dann ist alles gemeinsam.“

leise getönt vom Oesterieicher. Menschen, Landschaften und Dinge werden mit einer durchgehenden Ausgewogenheit geschildert, der die einzelnen Sätze der Sinfonie ihren besonderen Akzent verleihen, den lebendigsten im Scherzo. Dabei, was wieder die niederländische Kunst auszeichnet, ein „hohes Maß von Verwirklichung“, das heißt real und realistisch, Details liebevoll ausmalend, sinnliche Lebenslust hinter schwermütiger Zurückhaltung verbergend. Der zweite Satz des Adagio con moto hemmt den lebendigen Fluß des ersten, das „Pulsen in Systole und Diastole“, in der Geschichte von Wilhelm von Ora- nien bis zum zweiten Weltkrieg, vom leichten Ge schwätz des Volkes bis zu Rembrandts Anatomie des Professor Tulp, hemmt ihn zur Besinnung auf die dunklen Schicksalsstunden: den Fluten immer neu abgerungene Erde der Heimat, zähe Schwerblütigkeit des Gemütes, unerbittliches Geschick in der Enthauptung des Advokaten der Republik, Gedankentiefe des Erasmus, puritanische Sektiererei und Bombennächte eines brutalen Ueberfalls, und schließlich als jüngstes Zeugnis die brennenden Farben und Seelenqualen des Van Gogh. Darauf das herrliche Scherzo, jeder Satz ein oft ebenso derber wie weiser Spruch, dem nüchternen Humor des Volksmundes abgelauscht, „lebt nicht von metaphysischem Wahn, hat aber himmlische Ohren“, „sächsisch dürr und gallisch erhitzt“, mit manch elegant gezieltem Hieb der Kritik. Und der Ausklang in ein Allegro pastoso, rückweisend auf den ersten Satz des Allegro mo derato. Immer Beginn, nirgends Bleibe, der Atem der Welt rm kleinen Holland, Indonesien und Afrika, Spanien, England und Oesterreich, alte und neue Welt und Zeit, Realismus und Melancholie.

Wollte man nach Vergleichen suchen, um die Eigenart des Autors zu charakterisieren, tut man sich etwas schwer, da sich jede Eigenart in ihrer Eigenständigkeit dem Vergleich entzieht. Man könnte vielleicht an Eliot denken, der ins Oesterreichische abgewandelt erscheint, das sich wieder im oben angedeuteten Sinn niederländische Form- und Sprachwelt anverwandelt hat. Niederländische Nüchternheit zog vom Thema her ihre Grenzen, der romanische Geist des Autors schuf klare Formung. Mit Spannung warten wir auf die weiteren Teile des mit der „Amsterdamer Sinfonie" verheißungsvoll anhebenden Concerto mondiale.

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