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Politische Klein- und Großtierzucht

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Ein heißes Buch in kühler Frischhaltepackung! Man muß es schnell öffnen und dreimal lesen: literarisch, politisch und autobiographisch. Dann versteht , man es. Ein bitterer Bodensatz bleibt und deutet auf Wahrheit.

Der Titel unterspielt ins Natur- und Heimatkundliche. Sollen Jagd- und Entdeckerleidenschaft damit geweckt werden? „Märzhasen“ sind kein allzu bekannter Begriff. Sie sind der erste Wurf Meister Lampes, der damit auf ein gutes und fruchtbares Jahr schließen läßt. Junge Osterhaserln, sagen wir Österreicher. Wobei uns der politische Hintergrund schon entgeht. In Deutschland gab es nämlich im Jahre 1933, als Hitler im Jänner an die Macht kam, im Frühjahr ein zeitliches Zusammentreffen: den ersten Massenzustrom in die NSDAP und die Vermehrung der Hasen. Deshalb nannte der Volksmund die neuen Parteigänger „Märzhasen“. In der Retrospektive wurden sie später Märzgefallene genannt. Wie dem auch sei; in Österreich, für das der Monat März fünf Jahre darnach noch viel geschichtsträchtiger war, bürgerte sich der Ausdruck kaum ein. Die Parteieintrittstermine hatten sich hierzulande legaler- und illegalerweise zu sehr verschoben. Die junge Generation, der Hohoff in seinem Buch manche Übersetzungshilfe bietet, erinnert sich bestenfalls noch des „Goldfasans“, ohne genau zu wissen, welche Charge der Parteihierarchie dieses stolze Tier bezeichnete.

Für seinen Romanerstling bringt Curt Hohoff die handwerkliche Meisterschaft eines Lyrikers, Erzählers und vor allem Essayisten von Rang mit. Die „Märzhasen“ sind in diesem Sinne ein Werk der reifen Jahre. Dennoch: Der Sprung von den Kurz- und Vorformen in die Prosafülle des Romans geschieht nicht mit entscheidendem Abstoß. Der Entschluß scheint nicht unwiderruflich. Die Hintertür bleibt offen. Ohne Vorspann setzt die Bilderfolge ein — und endet abrupt. Die politische Rückversicherung ist eben nicht ohne Wirkung auf den Stil.

Das gelungene Kuiistmittel des Buches ist die Überblendung. Das Geschehen läuft aus der Sicht derselben Person als Kind und als Erv/a chsener gleichzeitig ab. Die Perspektive ist umgekehrt. Die großen Ereignisse der Politik erscheinen schattenhaft — aber scharf — im Hintergründ. Vorne agieren die Banalitäten des Alltags. Auch das will als Kunstgriff verstanden sein. Ob es mit seiner Hilfe gelungen ist, das Drohende und Dämonische einer politischen Machtentfaltung überzeugend darzustellen, muß man freilich bezweifeln. Sicher erreicht wurde die deterministische Fixierung der Figuren, ihr Verlust an Eigenverantwortlichkeit, ein Alibi, von dem noch zu sprechen ist. In einer deutschen Küstenstadt blühen spießbürgerliche Idyllen: Ein katholischer Familienpatriarch und seine solide rebellierenden Söhne, ein paar Nazis aus Begeisterung und aus Opportunismus, ein Sexualweib- cben, der ewige Jude der Nach kriegsliteratur, Stadtväter und Stadtpfarrer mit philosophischen und theologischen Trivialitäten. Das alles ein wenig pubertär gemixt, von trockenen Dialogen durchzogen, in Hohoffs spröder, nur mit dem Intellekt kokettierender Sprache.

Es fragt sich unbedingt, ob dieser Roman eine politische Absicht hat.

Die Analyse ist schwierig, weil sich die Positionen natürlich immer ins Literarische ziehen. Tatsache ist, daß es sich um einen Versuch handelt, in der Idylle Distanz zu gewinnen. Dieses Abrücken ist aber auch eine Entfernung von der Wahrheit. Der Pakt mit dem Teufel wird zum kleinstädtischen Handel mit Preisnachlaß unter Geschäftsfreunden. Gewiß, es liegt etwas Kleinbürgerliches selbst im schlimmsten politischen Blutrausch. Die Optiken eines Kafka, Musil oder Broch haben uns den Dämon im Lehnstuhl sehen gelehrt. Das bedrängend Dichte solcher Atmosphäre fehlt jedoch Hohoffs „Märzhasen“. Dazu hoppeln sie zu munter durch die Gegend, eine Ausrede resümierend, die man sich gerne in manchen Kreisen bestätigen lassen will: Mein Name ist Märzhase; ich weiß von nichts!

Der Verdacht, dieser Roman trage autobiographische Züge, ist nicht von der Hand zu weisen. Curt Hohoff, Jahrgang 1913, war freilich zur Zeit der „Märzhasen“ weder ein Kind noch ein Erwachsener. Er war in jenem Alter, in dem es erwiesenermaßen am schwersten ist, nicht innerlich betroffen und äußerlich engagiert zu sein. In dieser Zeit reflektierend danebenzustehen,

scheint fast unmöglich. Das ist intellektuelle Konstruktion, aber nicht wahres Leben! Das ist der spätere Wunsch, aber nicht die Wirklichkeit derer, die dabei waren. Auf diese Weise kann man der Blamage, der Trauer, der Reue, der Mitverantwortung und Mitschuld recht attraktiv entkommen. Unter der Voraussetzung allerdings, daß niemand etwas bemerkt.

Der ehrliche Schlag an die eigene Brust fehlt diesem Roman.

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