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Problemfilm und Passion

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In Tisza-Eszlar, einem verlorenen Winkel Ungarns, gab vor 66 Jahren das Verschwinden eines Bauernmädchens Anlaß, die Juden eines Ritualmordes zu bezichtigen. Der Fall schlug hohe Wellen, weit über die Grenzen des Landes hinaus. Es kam ein Jahr später zu einem aufsehenerregenden Prozeß, der das Material der Belastungszeugen erschütterte und zu einem Freispruch der Beschuldigten führte.

Nun hat ein Wiener Film, „Der P r o z e ß“, den Stoff zum Vorwurf eines bedeutenden Films gewählt. In jenem ausgeprägten realistischen Stil, der dem Regisseur G. W. Pabst im europäischen Film eine Sonderstellung, auch der hohen künstlerischen Rangordnung nach, zugeteilt hat, rollen pausenlos, atemlos die Szenen ab. Pabst Brände sind nie ganz schlackenlos, und auch diesmal gibt es vereinzelt überscharfe Akzentuierungen. Trotzdem ist die Grenze des künstlerischen Geschmacks im ganzen gewahrt. Es ist ein Film aus einem Guß, getragen von dem bewegenden Stoff, der bewegten Inszenierung und der Entfaltung eines Generalaufgebotes der Wiener Schauspielerelite. Mit diesem Werk, der ersten vorbehaltlos anzuerkennenden künstlerischen Leistung unserer Nachkriegsproduktion, tritt der österreichische Film in einen bedeutsamen neuen Entwicklungsabschnitt und meldet zudem seinen vorübergehend verlorenen Anspruch auf Weltgeltung an.

In die Wiener Premiere fiel ein Schatten. Einige Stunden nach dem erfolgreichen Abend erlag der populäre Darsteller Gustav Dießl einem Schlaganfall. Unheimliche Randglosse des Lebens: er fällt im Film, als einziger, durch die Kugel, wenige Stunden später holt ihn der Tod us der offenen Szene.

Die klare künstlerische Linie, die der Film im ganzen hält, läßt ein Buch vermissen („Prozeß auf Leben und T o d“ von Rudolf Brunn g raber, Paul- Zsolnay-Verlag 1948), das der Verfasser des Drehbuches offenbar seinem Filmentwurf nachgeschrieben hat. Die breite Ausmalung der Folterszenen, die gefährliche Vermengung des Haßressentiments mit christlichem Empfinden (Seiten 56, 61, 134, 149), die im Film nirgends aufklingt, und die saloppe Sprache drücken stark auf das Niveau des Buches und halten den Stoff in der Niederung eines 'Kolportageromans.

Zur selben Stunde wie die Wiener Erstaufführung des „Prozesses" fand im stimmungsvollen Rahmen der Wiener Kalvarienberggegend die Wiederaufführung der seinerzeit klassischen Stummfilmpassion Cécile de Milles „König der Könige" statt. Der sehr klugen und einfühlenden Wiener Bearbeitung (Sprechrahmen, Glockenton, Kürzung der Eingangsszenen) ist es gelungen, eine gewisse hollywoodsche Sentimentalität des geistigen Christusbildes und die Veraltertheit der Technik des Films weitgehend auf zu heben. Die einführenden Tonbandworte von Dr. Diego Götz, die die Anwesenheit Christi unter uns, „alle Tage bis ans Ende der Welt“, als Gnade und Gericht darstellen, klingen nach und wölben einen sichtbaren Bogen über die Menschheitstragödie und die Menschheitsaufgabe: von der Nacht der Passion, über unsere Tage, bis ans Ende der Welt.

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