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Randfiguren der Geschichte

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Der Rezensent dieses Büchleins gerät in arge Verlegenheit. Soll er aufrichtig seine Ansicht über diese „Schattenbeschwörung'' bekennen? Das sieht dann nach Byzantinismus aus, nach Huldigung an einen der Höchstbeamteten unserer Zeit. Sei’s drum, hier stehe es, ich kann nicht anders. Also klipp und klar, diese neunzehn Ausflüge in die Petite Histoire, dort, wo sie in die große Geschichte hineinmündet, sind ein einziges, entzückendes Kunstwerk, voller Scharm, Anmut, Geist und schalkhaftem Witz. Derlei gibt es nur wenig in deutscher Sprache. Friedrich Sieburg etwa oder Sigismund von Radecki könnte man zum Vergleich heranziehen. Doch von akademischen Lehrern kaum einen. Professor Heuß aber versteckt seine profunde Gelehrsamkeit, läßt sein inneres Wissen behutsam hervorblitzen, bleibt dabei wesenhaft Essayist und verirrt sich dennoch nie auf das schlüpfrige Gebiet der sogenannten feuilletonisti- schen Geschichtsschreibung.

Die Wahl der Themen mögen Zufall und Laune bestimmt haben. Alle diese Porträts aber sind durch das Gemeinsame miteinander verknüpft, daß es sich um außerordentliche Schicksale, wenn nicht um außerordentliche Menschen handelt, um „Hors serie", wie das Anatole de Monzie ausdrückte. An jenen französischen Staatsmann, Humanisten, Enzyklopädisten und bezaubernden Schriftsteller werden wir überhaupt bei Theodor Heuß erinnert; es gelangt uns zum Bewußtsein, wie sehr im südwestdeutschen Raum keltisches Erbe lebendig geblieben ist, freilich überlagert von deutscher Innigkeit des Gemüts.

In der Galerie, dahin uns der Verfasser geleitet, finden wir eine Vielfalt absonderlicher und zumeist mit ihrem Charakterbild bei den Geschichtsschreibern schwankender Gestalten. Männer, die ihren guten Platz in der Welthistorie haben, wie Georg Friedrich von Waldeck, der leitende kurbrandenburgische Minister, doch auch Einflußreiche, die hinter den Kulissen, nämlich in Salons und Alkoven, wirkten, wie die Fürstin von Lieven, hart oder ganz Vergessene wie den deutschen Japanforscher Engelbert Kämpfer, Romanhelden, die vom Outlaw zu Würdenträgern wurden, doch ihren ihnen gemäßen Tod als Abenteurer starben, wie Mehemed Ali, der Türkengeneral und osmanische Diplomat aus Norddeutschland, genialische Gelehrte, in denen dazu etwas vom Politiker und vom Dichter steckte wie Fallmerayer und endlich die beiden Glücksritter in Reinkultur, der westfälische, aus Metz gebürtige Edelmann Neuhoff, der eine Zeit lang als König Theodor über Kor sika herrschte und europäische Berühmtheit genoß, dann der ungarische Gentry Benyovszky — so ist die richtige Schreibweise, statt des üblichen Ben- jovsky —, dem auf kurze Frist eine Krone auf Madagaskar winkte. Zu diesem Abschnitt über den „Ampansacabe" seien ein paar kleine Ergänzungen bzw. Korrekturen angemeldet, die wir der sehr reichen polnischen, russischen und ungarischen Literatur wie den dort dargebotenen Quellen übet den höchst unzuverlässigen Memoirenschreiber und glänzend begabten Condottiere entnehmen. Benyovszky ist nicht 1741, sondern erst 1746 geboren, was seine angebliche Teilnahme am Siebenjährigen Krieg von vornherein als bloße Erfindung entlarvt. Die von ihm geschilderte litauische Erbschaft ist ebenfalls Phantasieprodukt. Die Tochter des von ihm getöteten russischen Gouverneurs, von der er in seinen romanhaften Erinnerungen erzählt, hat nie existiert. Benyoszkys Ankunft in Macao erfolgte am 23. September 1771; seine Entsendung nach Madagaskar scheint eher der Initiative des französischen Ministers Herzog von Aiguillon entsprungen zu sein; Benyovszky hatte eher nach Formosa wollen, das er von seiner Fahrt aus Kamtschatka nach Macao kannte. Die Daten der letzten Reise unseres Abenteurers waren: Baltimore ab 20. Oktober 1784, Madagaskar an 7. Juli 1785. Das und noch vieles andere lesen wir in den polnischen Schriften von Janik, Konopczynski, W. M. Kozlowski, Modelski und Tretiak, den russischen von Bogolubov. Sgibnev und Voenskij, den ungarischen von Janko, Kropf und Thalloczy, während die Abkunft des ungarischen Adeligen und seine authentischen Familienbeziehungen aus dem vorzüglichen genealogischen Lexikon von Kempelen genau zu ersehen ist. Unsere kleinen Anmerkungen zur, wie alle anderen Kapitel des Buches, tief in die Psychologie des Geschilderten und in den Geist seiner Zeit eindringenden Darstellung, die Professor Heuß von Benyovszky gibt, sei als Tribut des aufmerksamen und dankbaren Lesers an den ihn fesselnden Autor gedeutet; zugleich als indirekte Feststellung, daß wir zu den anderen Porträts des Bändchens keine, auch noch, so geringen Vorbehalte von Belang zu machen hätten. Das Einzige, was uns zu tun übrig bleibt, ist den Wunsch anzumelden, Theodor Heuß möge, wenn ihm sein hohes Amt dazu Muße läßt, in Stunden der Entspannung ein sveiteres Bändchen außerordentlicher Lebensläufe schenken, an den Rand der Weltgeschichte geschrieben. Weder an Stoff noch an Gestaltungskraft würde es ihm dabei mangeln.

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