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Ratselhafte Schatten

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Gedichte. Von Paula Grogger. Brentano-Verlag, Stuttgart. 10t Seiten.

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Gedichte. Von Paula Grogger. Brentano-Verlag, Stuttgart. 10t Seiten.

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Keiner österreichischen Dichterpersönlichkeit Werk in diesem Jahrhundert wirft hinsichtlich seiner Art und Entwicklung so viele Fragen und Rätsel auf, wie das Paula Groggers. Sage niemand, daß die Unruhe und Zerrissenheit dieser Zeit spezifisch städtischindustriell-technisch bestimmt sei. In Leben und Werk der Oeblarnerin lauern Vulkane, stöhnen letzte Fragen und Verzichte und spiegeln schmerzliche Weisheiten wie kaum in einer der Urbanen Poesien unserer Tage.

Niemals ward das so erschütternd zu spüren wie In ihrem jüngsten Werk: „Gedichte “ Ein zum Zerreißen gespannter Bogen wölbt sich zwischen völlig unterschiedlichen Inhalten und Stilen: von geistlichen Liedern, andächtiger Stille und Geklärtheit zu Epigrammen von tobender, ätzender Bitterkeit; vom Volkslied zur Hymne, vom Choral zur Kapu-zinerpredigt, von geschliffenstem Hochdeutsch über reizvoll archaisierende Formen („empfahen“, „sum-sete“) bis zu saftigen Dialektizismen.

Ein Sprachwunder von einprägsamer Plastik etwa die erste Strophe des „Sternsingerliedes“:

O Sterne am Himmel, dein gänzender Schein Soll in der Finster uns Wegweiser sein. Wir klocken ans Haustor und singen euch an, Maria, die Jungfrau, und Joseph, den Mann. Der Heilige Geist hat uns herebestellt Mit Weihrauch und Myrrhe und Chrysamgeld. So seynd wir gereiset seit vierzehn Tag. Der Berg ist verschrieben, und heil ist der Weg. Die Abstammung solcher Lieder vom Laienspiel (1916 bis 1937) und den Prosalegenden Paula Groggers (1926 bis 1935) sind greifbar. Stünde das eherne Monument des großen Romans („Da; Grimmingtor“, 1926) nicht dazwischen — man wän versucht, das ganze epische und dramatische Werl der Dichterin (einschließlich der steirischen Mund angediente „Das Bauernjahr“. 1947) als bloßes Vor spiel zum großen Wurf der jetziger „Gedichte“ an zusehen.

Die „Gedichte“ sind kein einheitliches und keir abgeklärtes Werk Besonders über den Sinnspruch artigen, titellosen letzten Teilen liegen die rätselhaften, bisweilen unheimlichen Schatten schmerzlicher Erlebnisse, einer tiefen Versehrtheit durch Welt und Menschen. Auch der ruhige Rhythmus und die völlige Reife der schönsten Lieder und Balladen des vorderen Teiles („Volkshymne“, „Maria am Gestade“, besonders aber der „Drei Könige von Köln“) sind hier einem unruhigen, erregten Stakkato gewichen, der sich bis tief hinein in boshafte Räume und ironische „Aktschlüsse“ erstreckt.

So mischt sich in die ehrliche, restlose Bewunderung dieser bäuerisch-vitalen dichterischen Ur-kraft die nicht -geringe Sorge der Freunde der Dichterin um die dunklen Seiten dieser Kraft, die uns die letzte Fülle und Reife einer großen Begabung und Begnadung immer wieder zu hemmen scheinen. Möge der offensichtlich hart und bitter ringenden Seele Trost sein, was sie selber an einer Stelle der „Gedichte“ so unirdisch schön sagt: „Was der Mensch erfahren / In vielen Jahren, / Macht sein Leben nicht aus. / Was er mit den Händen / Konnte vollenden, / Füllt oft kein Haus. / Doch was er im stillen / Um der Liebe willen / Tut oder leid't / Reicht von der Erdenzeit / In die Ewigkeit.“

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