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Reichspropagandaministerium 60

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AN DEN ZEITUNGSSTÄNDEN, auf den Bahnhöfen, im kleinsten Dorf Österreichs ebenso wie in der Bundeshauptstadt, kann man um ein paar Schilling bunt eingebundene Hefte kaufen, die jedem, der etwa Heimweh nach den „tausend Jahren“ verspüren sollte, sicherlich volle Befriedigung schenken werden. Man schlägt auf und liest:

„Eine unbeschreibliche Wut befällt die Schützen. Sie lachen gellend, während ihre Finger den Abzugbügel durchziehen, so, als hätten sie in ihrem ganzen Leben nichts weiter getan als getötet.“

Oder: „Kubalke packte die kalte Wut auf den Feind, der sich auf dem Pflaster krümmte; den wollte er sich kaufen, bevor er abschrammte. Er sah rot und ging nun mit Sauwut zu dem schwerverwundeten Kniich, trat dem Genossen von der anderen Fakultät ins Hinterteil und riß ihn hoch: .Willst du wohl hoch, du Lumich?'. Dann spuckte Kabulkes MP harte Brocken, er schoß ihn zusammen.“ Österreich hat seit dem 13. Mai 1950 ein Schmutz-und-Schund-Gesetz. Wozu eigentlich?

Was nützt es, Wildwestreißer mit der Verbreitungsbeschränkung zu belegen, wenn der kleine Szenenwechsel vom wilden Westen Amerikas in den wilden Osten des zweiten Weltkrieges genügt, um die gleichen Brutalitäten ungehindert an die Jugend verkaufen zu können?

SO IST ES NÄMLICH IN DER PRAXIS. Bloß, daß der Kriegsschund in mancher Hinsicht sogar noch wesentlich gefährlicher ist als der Wildwestschund. Hier eine kleine Blütenlese aus einem einzigen Landsergroßband, der augenblicklich in Wien eifrig vertrieben wird: „Oberst Georg Scholze“ heißt das Machwerk.

„.Vorwärts, Männer — gebr's ihnen!' Verschwunden ist die lähmende und herzbeklemmende Angst. Sie stürmen vorwärts... Handgranaten wirbeln durch J^eL^JBaw^ettef^ reu in menschliche Leiter .

^Seitengewehre, Spateit und Kolbe:; verrichten neben Maschinenpistolen uncftlandgr analen blutige Arbeit.“

„... und frißt sich in die Leiber der Augreifer .

„, Ein Asiate', sagt Heinicke und starrt in das schlitzäugige Gesicht des Russen. .Aber immer noch Gardeinfanterie!'“

„Scholze springt auf, reißt die Maschinenpistole hoch und schießt mitten hinein in ein Gesicht. Ein Rausch überkommt ihn — dann werfen sich die letzten Russen, von der Angst gejagt, in die kalten Fluten des Donez.“

„Wie Perlen, sauber aufeinandergereiht, schlagen die Kugelserien in die zappelnden Gestalten, bis sie in Haufen aufeinanderliegen.“

„Rasend hackt sein Maschinengewehr in einen Haufen anstürmender Russen.“

„Ein kleiner Vogel zwitschert munter zwischen den Gräbern, und der Sommerwind streicht surrend durch das saftige, grüne Gras., Wir müssen euch hier zurücklassen — aber was macht das schon — ihr werdet ewig unter uns sein!' Scholze setzt den Helm auf und salutiert. Wer schnupft dort in sein Taschentuch?“

„Sie marschieren durch ein Dorf. Fenster werden geöffnet. Sehen so Männer aus, die besiegt wurden?“

Und so weiter, und so fort, immer in der gleichen Tonart, manchmal ein bißchen zurückhaltender, dann wieder rüde. Von Seite zu Seite, von Heft zu Heft.

WÄHREND GEGEN KRIMINAL- UND WILDWEST-SERIEN von den Paragraphen des Schmutz-und-Schund-Gesetzes häufig Gebrauch gemacht wird, haben die Hersteller von Broschüren, mit deren Hilfe aus dem zweiten Weltkrieg Kapital geschlagen wird, das Glück, daß ihre Produkte der Aufmerksamkeit unserer zuständigen Stellen immer wieder entgehen.

Noch kein einziges dieser Hefte würde auf Bundesebene mit der Verbreitungsbeschränkung belegt. In der Bundesrepublik Deutschland, wo sie gedruckt werden, denkt man in dieser Hinsicht strenger, dort steht bereits eine ganze Reihe von Bänden und Großbänden der „Landser-Serie“ auf dem Index. Nur der österreichische Markt hat einen Teil dieser in Deutschland nicht mehr absetzbaren Schmieraschen vor dem Einstampfen bewahrt.

Aber auch auf der Landesebene geschieht

wenig. In Wien ist die Verbreitung eines „Landser-Jahrganges beschränkt, die weiteren Hefte dürfen ausgehängt und an Jugendliche verkauft werden, als wären sie besser. Auch das „So lachte der Landser“ genannte, in Fortsetzungen erscheinende Sammelsurium übelster Latrinenwitze, primitivster nazistischer Durchhalteparolen und versteckter Appelle an latente homosexuelle Tendenzen unreifer Jugendlicher darf seit 1. September wieder frei ausgehängt und verkauft werden.

Wobei zur Verbreitungsbeschränkung des Magistrats der Stadt Wien, die bis dahin in Geltung stand, zu sagen wäre, daß sie offensichtlich nicht so heiß gegessen wurde, wie sie gekocht worden war. Unsere Aufnahme von fünf Kriegsheften wurde bereits vor etwa zwei Wochen gemacht. Sie zeigt die Auslage eines Verkauf sstandes auf, dem., Sckpfarzenhergpl M^. >#icr das verbreitungsbeschränkte Heft „So lachte der Landser“ ungeniert ausgehängt hatte. Es ist gaic links zu sehen.

DER io DES SCHMUTZ-UND-SCHUND-GESETZES sieht die Verbreitungsbeschränkung einzelner Hefte oder, wenn anzunehmen ist, daß auch der Inhalt künftig erscheinender Nummern die VerbreitungsbeschrSnkung rechtfertigen wird, ganzer Serien zunächst auf ein Jahr und im Wiederholungsfall auf zwei Jahre vor, wenn sie geeignet sind, die sittliche, geistige oder gesundheitliche Entwicklung jugendlicher Personen schädlich zu beeinflussen.

Wir haben uns an Primarius Dr. R o 11 e r gewendet, um zu erfahren, ob diese Voraussetzung nur auf Kriminal- und Wildwestliteratur zutrifft oder ob auch die Machwerke der verschiedenen Hurra-Serien, wie immer sie sich auch nennen, geeignet sind, „die sittliche, geistige oder gesundheitliche Entwicklung jugendlicher Personen schädlich zu beeinflussen“.

Primarius Dr. Rotter erklärt dazu, daß gerade diese Hefte besonders gefährlich sind. Sie sind geeignet, den in Entwicklung befindlichen jugendlichen Menschen auf ein unreifes, infantiles Entwicklungsstadium zu fixieren, in dem er dazu neigt, in jeder bestehenden Ordnung nur etwas Verächtliches zu sehen, vor jeder Auseinandersetzung auf geistig-sittlichem Gebiet, der er sich noch nicht gewachsen fühlt, auf das Niveau der brutalen Gewalt zu flüchten und das Faustrecht zu verherrlichen. Derartige Lektüre kann in so manchem Fall dazu führen, daß der Jugendliche dieses unreife Stadium überhaupt nicht überwindet, daß er in ihm steckenbleibt. Die in den Schundheften geschilderten Brutalitäten können die primitiven, beim Jugendlichen noch nicht in reifer Form beherrschten Impulse zur Grausamkeit verstärken und zu einer zynischen, das Menschenleben verachtenden, Mord und Gewalttat zum Vorbild wählenden Haltung führen. Werden aber die geschilderten Brutalitäten obendrein noch als heroische Taten für das Vaterland und als etwas Erlaubtes hingestellt, dann wird die Gefahr potenziert. Jeder Mensch, der seine Freiheit liebt, erklärt Primarius Dr. Rotter, muß bereit sei*** sk im Noti tye auchs-rmtgiM Waffe in der Hand zu verteidigen und sein Leben dafür einzusetzen. Erzieht man den jungen-Menschen aber dazu, diesen Notfall geradezu herbeizusehnen, dann begeht man einen verbrecherischen Mißbrauch seiner Begeisterungsfähigkeit.

ES FÜHRT EIN WEG von dieser schwarz auf weiß zur Schau gestellten Brutalität zu der von Richtern ebenso wie von Jugenderziehern und in der Fürsorge Tätigen beklagten Lockerung des allgemeinen Moralbegriffes, für den ein Leben mehr oder weniger keine Frage der Diskussion bedeutet. Wie lächerlich, wenn jedesmal, bei der Einrichtung der Spielwarenläden zu Weihnachten, in Reden bei Versammlungen und im Rundfunk, aber auch durch Plakate, gemahnt wird, den Jugendlichen keine Revolver oder Luftdruckgewehre zu kaufen. Da haben wir erst voriges Jahr das Plakat mit dem Bild des Soldaten gesehen, der als der „ältere Bruder“ vorgestellt wird, welcher mahnt: Schußwaffen sind kein Spielzeug. Gewiß, alle Leute, die so denken, haben recht. Aber sind nicht gerade in den Reihen derer, die über jeden Spielzeugpanzer in pazifistische Erregung geraten, die gleichen, denen die Verbreitung der importierten Lehrgänge des Umlegens nur ein verlegenes Räuspern entlockt, Leute, die mit allerlei juridischen und wirtschaftspolitischen Finessen angerückt kommen und auf die klare Forderung: „Weg mit dem Schmarrnl“ keine ebenso klare Antwort haben? Fragen wir also klipp und klar: Wer in Österreich hat ein geschäftliches Interesse an der Einfuhr solcher Bände, die sogar in ihren Druckorten kritisch unter die Lupe genommen wurden? Oder ist eben deswegen unser Land als „Ausweichgeschäft“ ausländischer Kreise ausersehen?

TATSÄCHLICH HABEN WIR IN ÖSTERREICH bereits genug jugendliche Waffenfetischi-sten, und wie wir oben gesehen haben, ist die gesetzliche Handhabe gegeben, um Geschäftsleuten, die aus der Heranziehung von Waffen>fetischisten und jugendlichen Zynikern ein Millionengeschäft machen, auch in Österreich das Handwerk zu legen.

Danebwfeyj Wyor allen Dingen darauf hinweisen, daß die Landser-Hefte und ähnliche Serien auch, eine gewaltige staatspolitische Gefahr darstellen: Sie geben unserer Jugend, deren historische Bildung, was die jüngste Vergangenheit betrifft, ohnehin bisher geringer als gering genannt werden muß, das ersehnte Geschichtsbild, das ihr die öffentlichen Bildungsstätten schuldig bleiben.

Aber wie sieht es aus? Ungefähr so:

Da sagt mitten in Rußland, in einem russischen Dorf, in der Nacht vor dem Gefecht, nach einem schwülstigen, pseudohistorischen Gespräch der Offizier zum Gefreiten:

„Da vorn, wo Deutschland aufhört, wird wieder gestorben.“

Bei Herrn Pabel, von Beruf Verleger, hört Deutschland irgendwo tief in Rußland auf.

So zu lesen im „Landser-Großband“ Nr. 9. Und in Nummer 50, mit Jubiläums-Eichenlaub rund um die Zahl, Titel „Die Schlacht um Berlin“, lesen wir dort, wo der Autor den Tag schildert, an dem der Frieden ausbrach:

„Aber der Krieg war doch noch nicht zu Ende. Die Landser kümmerten sich nicht um die Kapitulation. Sie waren mitten drin im großen Schlachtkessel, und solange das MG oder das Gewehr noch schoß, wollte man sich nicht ergeben.“

DIE SCHREIBER VOM REICHSPROPAGANDAMINISTERIUM hätten das nicht schöner sagen können. Wenn man die Landser-Hefte liest, kann man manchmal glauben, es gäbe dieses Reichspropagandaministerium noch — heute, im Jahre 1960.

Schließlich habe ich, der Schreiber dieses Artikels, alles das, was in den Landser- und ähnlichen Serien steht, schon vor sechzehn, siebzehn Jahren anhören müssen. Als „Hitlerjunge“ bei den „Heimabenden“ in der Paulanergasse. Bloß der Verleger unseres „NS-Schulungsmate-rials“ hieß nicht Pabel.

Und den 3. Mai, den ein Herr Ulrich Kai im Landser-Band 50 so schön schildert, den habe ich glücklicherweise nicht in Berlin erlebt, sondern in Wien, und hier haben die Landser damals schon lange nicht mehr geschossen. Hier haben sie überhaupt — dank des Einsatzes österreichischer Patrioten — nicht sehr viel geschossen, Gott sei Dank!

Und deshalb lebe ich noch und deshalb kann ich noch sagen, daß diese Machwerke an österreichischen Zeitungsständen nichts zu suchen haben. Und ich werde es wieder sagen und wieder, solange ich noch welche sehe.

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