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Rings um den Goßnrawstdom

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DER GEFALLENE ENGEL ODER MOSKAU X997. Von Erik von Kuehne11- Leddihn. Herder-Bücherei. Herder-Verlag, Freiburg im Breisgau, X96I. 208 Seiten.- Preis 17.30 S.

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DER GEFALLENE ENGEL ODER MOSKAU X997. Von Erik von Kuehne11- Leddihn. Herder-Bücherei. Herder-Verlag, Freiburg im Breisgau, X96I. 208 Seiten.- Preis 17.30 S.

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Als Einleitung einige Kostproben aus dem zur Besprechung vorliegenden Buch. Es ist der dritte Teil der „Satanstrilogie”. Dem Nachwort auf Seite 208 ist zu entnehmen, daß der Autor „die Problematik einer strikt; gottlosen Zivilisation mit ihren logischen Schlußfolgerungen berühren” wollte. Es ist ein Zukunftsroman, dessen Handlung im Jahre X997 abrollt. Das muß man wissen. Der „Papst residierte nun in San Franzisko, umgeben von hageren kanadischen Kardinalen..„Auf den Trümmern von Wien hatte man wieder eine Großstadt, die in ihren Wolkenkratzern fünf Millionen Einwohner beherbergte, gebaut, und nachdem man Tirol gründlich mit Chlor, Senfgas und Zyan zur Vertilgung der individualistischen Ureinwohner .desinfiziert’ hatte, konnte man daraus ein Sanatoriumsland für die Tuberkulosen und Asthmakranken der Sowjetunion machen” (Seite XO).

Einiges zum Alltag in Moskau im Jahre X997: In Moskau gibt es ein „Goßnrawstdom”. „IÄTt konnte man ein Bad haben und nach einer flüchtigen Untersuchung sich in einer völlig dunklen, gepolsterten, warmen Kammer mit einer Frau treffen”, Gegenüber dem Goßn rawstdom war eine Erfrischungsstube, in der man Weißwürste, Kwaß und Most bekam ..

Die Unterhaltung mit der betreffenden Dame verläuft „echt” russisch. Wahrscheinlich “hat sich dabei der Autor an die Szenen aus der „Gruft” von Kuprin oder an die Sonja Marmeladow aus Dostojewskis „Schuld und Sühne” erinnert.

„Ich bin gesund”, sagte die Frau.bitter. „Bis zum Juli nächsten Jahres muß ich niederkommen. Was wollen Sie? Ich bin vierundzwanzig Jahre alt. Ich kenne hier niemanden. Da bin ich hierhergegangen. Wenn ich nicht gehorche, werde ich liquidiert oder, wenn ich Glück habe, zwangsbefruchtet” (Seiten X2 und 13).

Das betreffende Mädchen heißt Bari- kadka. Sie singt mit Vorliebe „Kotakenlieder von den’kirgisischen Grenzlanden”. Nachdem sie ihr Ziel erreicht hatte, das heißt, ohne künstliche Befruchtung zu einem Kind zu kommen, stirbt sie. Vor ihrem Tod wurde sie Christin. Dem Helden, Herrn. Uljan Krasnosnamjew, alias Owen A. Boynton, dem später geheim geweihten Erzbischof, dem sowjetischen Bürger, Ordensträger und Direktor einer blühenden Gipsfigurenfabrik, gelang es, neben dem Besuch von „Goßnrawstdom” und der Christianisierung des Fräuleins Barikadka der Menschheit einen flotten Gottesbeweis zu geben, etwa so: Wir lieben uns, also wir haben eine Seele (sonst könnten wir uns nicht lieben), und wenn wir eine Seele haben, dann gibt es einen Gott.

In Empfangsräumen werden Tafeln mit sinnvollen Aufforderungen hängen, wie zum Beispiel „Alles fürs Klosett!” (Seite Nr. 3X). Die ganze Lebensphilosophie wird „heroischer Pessimismus” genannt, man ist bestrebt, „Antilöwen” und „Antihaifische” zu erzeugen, und der Mensch wird in einem Berliner Labor zu einem neuen Menschentypus entwickelt, „der einen Schweif und am Ende des Schweifes ein Auge hat” (Seite 39).

Nach einigen weiteren Seiten stürzt sich der Autor mit seiner ganzen Phantasie und allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln auf die Sexualfrage. Es wird zum Beispiel der Vorschlag gemacht, auf Frauen überhaupt zu verzichten und die befruchteten menschlichen Eier auf Kühe, weibliche Kamele und Stuten zu übertragen. „Mit einem Gestüt oder einer Schafherde kann man alle Damen von Kirow, einschließlich der anglosächsischen Emigrantinnen ersetzen” (Seite 46). Für England findet der Autor auch sonst kein Wort der Sympathie. Die armen Engländer gehen da einer ganz düsteren Zukunft entgegen. Es stellt sich heraus, daß sie in Sexualfragen auf vollkommen abwegige Bahnen geraten sind. Sie sind dabei, Männer und Frauen nicht mehr voneinander unterscheiden zu können. Die Leute leben nach einer Lizenz der „Lesbian Regulation” des „Sexual Liberties Act” von 1979 (Seite 50). Was die Ernährung betrifft, so essen sie täglich Kaninchenfleisch zum Schutz gegen Krebserkrankung, die Frauen haben großes Interesse für männliche Hunde, auch Katzen erfreuen sich eines besonderen Schutzes. Regiert werden die Engländer, die jetzt Kommunisten sind, von Elisabeth III. „Der Kommunismus hat überhaupt erst richtig funktioniert, als das erste. Ministerium aus Qld-EtORians gebildet wurde. Anders geht ‘ es nicht.. (Seite 56).

Dieser Zitatenwust ließe sich leicht erweitern. Nun fragt sich aber der verwirrte Leser, was das Buch eigentlich bezwecken will. Eine literarische Analyse ist hier wohl nicht gut möglich. Der Autor hat, mit Ausnahme des Sexuellen, seine Phantasie überhaupt nicht wirken lassen, er !st auch nicht imstande, den Charakter der in seinem Buch vorkommenden Menschen zu präzisieren oder ihr Innenleben durch irgendwelche Eigenschaften darzulegen. Er hat auch gar keine Beziehung zur äußeren Welt, oder zumindest versucht er nicht, diese zu zeichnen, er kann nur im „Sex” wühlen. Ja, wozu ist dieses Buch geschrieben worden? Wer soll es lesen? Man kann es niemandem empfehlen, man kann nur vor ihm warnen. Es ist nicht einmal als Reiselektüre zu gebrauchen, denn es ist langweilig und unappetitlich.

Der Autor kann nur ein Argument Vorbringen: Das Buch wurde in den Jahren 1938/39 geschrieben, in einer Zeit, in der Stalin, Jesehow, Hitler und Himmler regierten. Der Autor mag damals am eigenen Leib so manches erlebt haben. Er wäre auch nicht der einzige, der damals einen lebenslänglich wirkenden Schock erlebt hat.

Aber trotz allem bleibt es unverständlich, wie das Wiedererscheinen des Buches im Jahre X96X möglich war.

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