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Ritterschaft

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Eine Begegnung wunderbarer Art könnte sich zugetragen haben zwischen Wolfram von Eschenbach und der heiligen Elisabeth. Im Jahre 1211, im Alter von vier Jahren, wurde die ungarische Königstochter in einem silbernen Bettchen zur Wartburg hinaufgetragen. Damals gebot noch Hermann von Thüringen (bis 1216), al dessen Gast der Dichter auf der Wartburg einkehrte. Vielleicht hat der ernste und fromme, grüblerische Sinn des zugleich w ltfreudigen und weltgerechten Ritters in dem Heranwachsenden Kinde das Ungewöhnliche, den Zug zum Unbedingten, erkannt, der von früh an Elisabeth auszeichnete. Begegnungen dieser Art können nicht geschildert, wohl auch nicht nachgestaltet werden, und doch werden wir uns immer wieder versucht fühlen, sie uns zu vergegenwärtigen; sie gehen bei aller Fülle ihre menschlichen Werts über ins Symbol.

Wolfram hat wohl das 6. und 7. Buch des Parzival auf der Wartburg geschrieben. Das fünfte berichtet den ersten Ritt des Helden zum Gral; er kom des äbents an einen se; im sechsten befällt ihn die furchtbare Erkenntnis seines Versagens; daß er auf der Burg nicht fragte, bringt ihn in Zerfall mit Gott und sich selbst. Das 9. Buch bringt das Gespräch mit dem Klausner Trevrizent, den eigentlichen, mit großer Umsicht vorbereiteten Einbruch der Wahrheit in das Gedicht: got heizt und ist diu Wahrheit, sagt Trevrizent hier. Di Sphäre der ritterlichen Abenteuer, in der sich der Held bis dahin bewegte, scheint ohne Beziehung zu dieser Mitte zu sein; von christlichem Lebensernst, der das Ganze 1 Dasein verantworten und gestalten soll, geht keine regierende Kraft aus auf die bunt Folge der Kämpfe, gewagten Szenen von doch nur scheinbarer Unbedenklichkeit; nicht im Gegensatz zur Moral, sondern außerhalb der Moral gewinnen die ritterlichen Helden Ruhm und Frauengunst, Schwert und Ring aus dem Rechte, das die Gelegenheit ihnen schenkt. Und doch sind die Abenteurer, die in diesem Spiele sich gefallen, nicht die eigentlichen Ritter der Dichtung; sie sind Fabelwesen, phantastisches Ornament. Das echte Rittertum wird auf eine ganz andere Weise bestimmt, daz was ei® dinc, daz hiez der Gral.

Erst vor ihm wird der Ritter, was er sein soll. Aber nur der unwissend Erwählte findet zum Heiligen; nur der, den die auf dem Stein erscheinende Schrift bestellt, wird zu seinem Hüter. Parzival aber ist erwählt; seiner ganzen Natur nach kann er nur Gralsritter sein. Darum trifft es ihn so furchtbar, daß er die Frage nicht getan hat; er hat mit ihr seine Bestimmung verfehlt. Unter dem Lichten, Strahlend-Sieghaften seiner Jugend verbirgt sich von da an ein schreckliches Geheimnis, da ihn zu einer der unvergänglichen, immer wieder unter den Erweis der Wahrheit tretenden Gestalten unseres Wesens macht. „WS waz is got?” ruft er aus, und er sagt sich von Gott los, der es zuließ, daß er am Gral vorüberging. Von da an lebt er völlig außerhalb der religiösen Ordnung: ich diende eim, der heizet Got; diesen Dienst hat er gelöst; er achtet de Karfreitags nicht mehr, wie er auch Münster und Gottesdienst meidet; das Kirchenjahr, die christliche Zeit, ist für ihn nicht mehr da. Fünfeinhalb Jahre gibt er hin an ein Heldentum ohne Glauben:

ich mochte niht wan striten. euch trage ich hazzes vM gein gote.

Aber Ritterschaft steht in der religiösen Ordnung und will des lîbes pris und doch der Seele paradfs. In diesem Sinn rühmt ich Parzival von Anfang an, Ritterschaft begehrt zu haben. Da er nun mit Gott zerfällt, gerät er in einen tödlichen Widerspruch mit sich selbst. Heilung ist allein in der Wahrheit vom Gott, den die magt gebar, vom Karfreitag, von Sühne und Schuld, die Trevrizent verkündet. Parzival in all seiner schimmernden Jugend ist krank, und Trevrizent nötigt ihn vom Pferde (ruochet alrêrst sitzen), aus dem gottfeindlichen Heldentum in das Büßerleben. Er kündet ihm Luzifers Sünde und die des Menschen; die Erde war eine rein Magd, die befleckt wurde von Kain: dannoch was diu erde ein magt. Darum soll sich Parzival wenden in das „dürchliuhtec lieht“ göttlicher Liebe; der schuldige âne riuwe fliuht die gotlîchen triuwe. Die Gottheit durchdringt die finster Wand des Herzens und erspäht den Gedanken, o flüchtig er auch ist; bis in das Verborgenste soll der Büßer rieh reinigen. Eine Gedankensünde ist es ja gewesen, die ihn auf den falschen Weg gebracht.

So beginnt die innere Umkehr zum Gral, die Reinigung des Herzens und Denkens; nur die Demut wird zum Gral finden, der Unreines nicht zuläßt. Ist es doch auch di Sünde des Anfohas gewesen, daß er hoch- vart und Minne begehrte uzerhalp der kiusche sinne.

Rittertum gründet sich somit auf die Einsicht in den ursprünglichen Wert der Welt, in ihr Magdtum, das durch di Hingab an den Sohn der reinçn Magd wiederhergestellt werden soll. Die Welt in Ehren zu halten und zugleich es nicht zuzulassen, daß die Seele durch den Leib von Gott abtrünnig gemacht werde:

swes lehn sich s6 verendet, daz got niht wirt gepfendec der sêle durch des lîbes schulde, und der doch der werlde hukie behalden kan mit werdekeit,

da ist die Lösung. Die Abenteurerwelt bleibt diesseits der Wahrheit; rücksichtslose Askese, die nicht Buße ist im Sinne der Wiedergewinnung, ginge über die Wahrheit hinaus.

E kennzeichnet die eigentümlich Geistesart Wolframs, seine Neigung zu tiefsinnigen Entsprechungen und Symbolen, daß er die Geschichte Parzivals mit der seines Sohnes Lohengrin beschließt. Parzival verfehlt den Gral, weil er nicht fragte; Lohengrin muß aus der Welt zum Gral zurück, weil er gefragt wird. Damit ist das Geheimnis des Rittertums, die Erwählung durch den Gral, noch einmal bezeichnet. Ritter werden in die Welt gesandt, „zu retten unterdrücktes Recht“ — und daz er in hülfe rehtes; wo si erscheinen, geht es um das Recht in seiner Reinheit. Darum muß auch dem Parzival sein Schwert, das er zu Anfang seiner Ritterschaft einem Erschlagenen abgenommen, im letzten Kampf zerbrechen, eh er Gralskönig wird. In ihrem Angewiesensein auf da Unbedingte erlangen die Ritter inen Zug, der sie den Engeln verwandt macht. Engel sind ja auch die ersten Hüter des Grals gewesen. Diejenigen Engel, die beim Aufruhr Luzifers beiseitestanden statt sofort wider ihn zu kämpfen, wurden zur Strafe als erste Hüter des Grals auf die Erde verbannt. Und wie die Engel an freilich viel höherer Stelle, nehmen die Ritter teil an der göttlichen Weltregierung als unbeirrbar Vollzieher des Rechts, als geschehender göttlicher Wille. Wie der Engel nicht gefragt werden darf, sondern sich nur im Sinne seines Auftrags selber nennt — Was fragst du nach meinem Namen, der doch wundersam ist? sagt der Engel zu Manoa (Richter 13, 18) —, wie der Engel auch nicht gehalten werden darf, so der Ritter. Ihm ist etwas Uberpersönliches eigen, sofern er ganz das ist, das er sein soll, das heißt sofern er noch nicht gebrochen ist. Nur der Besiegte nennt seinen Namen. Der Unbesiegte waltet im Namen eines anderen. Und dieser Zug geht auch noch auf die geschichtlichen Ritterschaften über. Der Ritter steht in einer Ordnung, die verborgen ist und verborgen bleiben wird; aber die Welt ist auf sie angewiesen,

daz den gril ze keinen zlten niemen möbt erstriten,

wan der von gote ist dar bensnt.

Diese von dem „noch verborgenen“ Gral gehaltene Ordnung wirkt in der Richtung auf den Einklang der Welt mit dem göttlichen Willen; dieser Einklang ist möglich unter der Gnade, ebenso wie im Leben des Gralskönigs Parzival, der, von Schuld gereinigt, Anfortas befreit — der Geheilte dient auch künftig dem Gral, aber er verzichtet auf die Minne, an der er sich versündigte —, der Dienst am Gral und geläuterte Minne sich vereinen; das heißt: das Weltliche wird in das Heilige erhoben und erst damit erfüllt, „mit dir selben hästu hie gestritn“, sagt Parzivals Halbbruder Feirefis zum Helden, damit den Inhalt des Gedichtes zusammenfassend — so wie Feirefis „gein mir selbn kom üf strft geritn“. Im Widerstreit mit sich selbst über die Verfehlung seiner Bestimmung, findet das Rittertum zu seinem wahren Wesen: diese Menschen müssen mit sich — und mit Gott — in Streit geraten, eh sie erkennen, was sie sind.

Rittertum als uneingeschränkte Verantwortlichkeit dafür, daß geschieht, was geschehen soll, für den Vollzug göttlichen Rechts und das heißt für Seelenheil und Welt in ihrer Einheit; Rittertum als der Gehorsam gegen das unverletzliche Geheimnis der Gnade, das im Weltbau beschlossen ist, kann an keine Zeit gebunden sein. Der Gral besteht fort, wenn er auch nicht gefunden wird von denen, die ihn suchen, ohne berufen zu sein. Rittertum, Ritterschaft . sind Gebote der Wahrheit selbst, deren Wesen es ist, zu geschehen, den Ereignissen und Dingen rieh aufzuprägen; — es ist vielleicht kein Christ, der nicht Ritter ist.

Das Heilige und die Welt, Weltgerechtigkeit und heilige Hingabe an Christi Forde rung, alles zu lassen um seinetwillen, be- gegneten sich einstens auf der Wartburg. Gral und Minne konnten rieh nicht ergreifender darstellen als in dem männlichen Streiter und Grübler und in dem Königskinde, das zur verzehrenden Hingabe an die göttliche Armut und zur Heiligen dieser Armut berufen war.

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