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Studenten spielen

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Mehr noch als in Wien, das über verschiedene avantgardistische Theater verfügt, hat in einer Stadt wie Graz das Hochschulstudio einen fest umrissenen Aufgabenkreis. Die beiden Sprechbühnen der Landeshauptstadt sind finanziell viel zu sehr gebunden, um bei der konservativen Einstellung des Publikums ihren Spielplan unbeschadet zeitgenössisch färben oder irgendwelche Regieexperimente wagen zu können. Das Hochschulstudio ist dadurch die moderne Bühne in Graz, und es hat die Verpflichtungen, die ihm daraus erwachsen, und die ebenso wie sein zweiter Aufgabensektor die Pflege von Unbekanntem oder Fragmentarischem aus der älteren Literatur selbst einen Anschein von Konkurrenz mit den bestehenden Theatern ausschließen, auch im dritten Jahr seines Bestandes unter der Direktion des Theaterwissenschaftlers Dr. Heinz Gerstinger in hohem Maße zu erfüllen verstanden.

Sein Verdienst ist es, daß das Studio heute über ein Ensemble verfügt, das in seiner.Mischung von talentierten Laien mit aufstrebenden jungen Leuten „vom Bau“ manche starke Individualität aufweist. Ihnen allen aber wurde in kluger Führung der Studiogedanke eingeprägt, das Primat des problematischen Stückes, der neuartigen Inszene, des Suchens und Versuchens. Auch das kleine Theater im Mensasaal atmet Geist von jenem Geist, und der Reiz, die Anziehungskraft der Studioäbende erwächst ebensosehr aus dem Gebotenen, dem Thematischen, wie aus der Art der Darstellung, aus der brennenden Begeisterung und dem idealistischen Schwung, mit dem auf dieser Bühne über technische Mängel und fehlende Routine großzügig hinweggespielt wird, die Ehrlichkeit des Wollens höher schätzend als manchen raffinierten Effekt.

Dem zeitgenössisch durchwirkten Spielplan fehlt es nicht an internationaler Färbung. So brachte schon der Beginn dieser Saison neben der Uraufführung des „Neuen Welttheaters“ einer symbolisch klaren, gehaltvollen und sprachschönen Dichtung des jungen Grazers Hellmuth Himmel ein Lehrspiel des Amerikaners E. Cummings, „St. Nikolaus“, auf die Bühne, ein ethisches Problemstück, das, obwohl mehr philosophische Literatur als Theater, erregendes dramatisches Leben gewann und in einer anschließenden Diskussion Gegenstand lebhafter Erörterungen war. Gleichfalls mit einer öffentlichen Diskussion verbunden war der „Dämonische Abend“, der an drei Einaktern entlang in den geheimnisvollen Grenzbereich zwischen Leben und Tod führte: bei Hofmannsthals „Frau am Fenster“ in den Bezirken des Romantisch-Symbolistischen, in Maeterlincks „Eindringling“ durch rein stimmungshafte Spannung und mit Kafkas „Gruftwächter“ auf expressionistischen Pfaden von hintergründiger Skurrilität. Dann folgte eine Inszenierung der „Hellen Nächte" nach Dostojewsky dramatisiert von Jörg L i e b e n f e 1 s, die mit dem kostbaren Rilke „Das tägliche Leben“ zu den poesievollsten Studioabenden zählten. Nicht vergessen werden darf das „Studentenbrettl", das mit seiner geistvoll-aktuellen, literarisch-parodistischen Note bereits in Wien, München und Zürich eine gute Presse gefunden hat und darüber hinaus dem Studio ständig neue Freunde erwirbt.

Im Brettl und in dem von Dr. Gerstinger bearbeiteten und inszenierten Grabbe-Lustspiel „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ zeigte das Studio seine komödiantische Ader, die am stärksten und zugleich formgebändigtsten im Shawschen „Schlachtenlenker" zur Geltung kam.

War der Shaw die homogenste Inszenierung der Saison deren rezitatorischer Teil unter anderem eine interessante Begegnung mit „Berliner Nachkriegslyrik" brachte, so bedeutete die Aufführung des „Ur-Götz" auf der Schloßberg-Freilichtbühne die größte künstlerische Tat des Studios seit seinem Bestehen. Nach Überwindung unbezwingbar scheinender bürokratischer Hindernisse und Bewältigung umfangreicher Vorarbeiten unter anderem auch der Instandsetzung des bombengeschädigten Theaters sah die unverdrossen arbeitende Schar ihre Mühen im heurigen August endlich belohnt: mit sechs Aufführungen des „Ur-Götz“ hatte sich das Studio die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit erobert, ja der Stadt ihre Freilichtbühne wiedergegeben und überdies einen würdigen Beitrag zum Goethe-Jahr geleistet.

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