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Uber den Umgang mit Fernsehern

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Als der Freiherr von Knigge Anno dunnemals sein Buch über den Umgang mit Menschen schrieb, da bedachte er sehr wohl, daß man nicht mit allen Menschen nach dem gleichen Schema F umgehen kann Deshalb widmete er in seinem Standardwerk dem Umgang mit Freunden und Frauen, mit Vorgesetzten und Hauswirten, dem Umgang mit Reichen und Gläubigern, mit Gelehrten und Künstlern jeweils ein eigenes Kapitel.

Hätte der Freiherr von Knigge sein vielzitiertes und selten gelesenes Buch nicht schon vor gut 150 Jahren, sondern erst in unseren Tagen geschrieben, so, wäre es wahrscheinlich erheblich umfangreicher ausgefallen. Er hätte nämlich eine ganze Reihe von Kapiteln anfügen müssen. So zum Beispiel eines über den Umgang mit Autofahrern und ein anderes über den Umgang mit Halbstarken. Auch die Ratschläge über den Umgang mit Managern hätten etliche Seiten gefüllt. Vor allem aber hätte der kluge Freiherr einen eigenen Abschnitt dazuschreiben müssen über den Umgang mit einer Spezies der Gattung Mensch, die sich erst in den letzten Jahren herausgebildet hat, Ich meine die Fernseher. Der Umgang mit Fernsehern unterliegt nämlich durchaus anderen Gesetzen als der Umgang mit gewöhnlichen Menschen. Da ich auf diesem Gebiet über einige Erfahrung verfüge, will ich versuchen, das fehlende Kapitel in des Freiberrn von Knigge Buch durch einige Ratschläge aus der Praxis und für die Praxis zu ersetzen:

Kommst du in das Heim eines Fernsehers, so erwarte keinesfalls, daß Tnan Notiz von dir nimmt. Mag der Fernseher auch dein Freund sein - ir erster Linie ist er eben Fernseher, und da du eben nicht auf dem Bildschirm, sondern nur im Türrahmen erscheinst, so kann er dich ja gar nicht wahrnehmen. Versuche nicht, dich durch betont fröhliche Zwischenrufe wie „Hallo, Adalbert!” oder „Servus, alter Knabe!“ bemerkbar zu machen. Warte still und geduldig die nächste Bildstörung ab, um dann deinem Freund herzlich, aber kurz die Hand zu drücken. Warte nicht darauf, daß dir Platz angeboten wird — nimm ihn einfach! Nimm dir ferner ein Glas und schenke dir nach Herzenslust von dem guten Kognak ein. Wenn der Fernseher dein Freund ist, dann darfst du das. Wenn der Fernseher nicht dein Freund, sondern nur ein entfernter Bekannter ist, dann darfst du das auch. Da es nicht auf dem Bildschirm zu sehen ist, sieht es ja keiner.

Versuche, dir das Programm anzusehen. Wenn du das nicht fertigbringst, dann versuche zu schlafen. Geht auch das nicht, dann versuche, dich in Geduld zu fassen. Auch das längste und langweiligste Fernsehprogramm geht einmal zu Ende. Versuche an nichts oder an etwas Bestimmtes zu denken. Versuche die Zigarren des Hausherrn. Versuche überhaupt alles, was du willst — nur versuche nicht, eine Unterhaltung in Gang zu bringen! Man würde dich mit Recht als einen unhöflichen, ungebildeten und ungeselligen Störenfried betrachten, den man kein zweites Mal einladen wird.

Wenn du geduldig und schweigsam die Abendschau und die Wetterkarte, den alten Spielfilm und den neuen Kulturfilm und die Quiz-Sendung und noch vieles andere angesehen hast, dann wirst du für deine Ausdauer belohnt. Wird nämlich am Ende des Programms der Bildschirm dunkel, dann hast du Gelegenheit, mit deinem Fernsehfreund zu plaudern. Ein wenig nur, nicht allzu lange, denn es ist ja schon spät und eigentlich Zeit, ins Bett zu gehen. Lobe mit knappen, aber herzlichen Worten das Fernsehgerät deines Freundes, äußere dich anerkennend über die Brillanz der Bildwiedergabe und über den herrlichen Dreikanalton. Und wenn du dich anschließend verabschiedest, dann vergiß nicht, dich für den reizenden Abend zu bedanken.

Im übrigen mußt du mit den Fernsehern Nachsicht haben. Denn sie wissen nicht, was sie tun. Oder was sie tun sollen.

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