6656550-1959_32_10.jpg
Digital In Arbeit

Unbewältigte Vergangenheit

19451960198020002020

RIEDLAND. Roman. Von Kurt Guggenheim. Artemis-Verlag, ZüricfeStuftgart. 243 Seiten

19451960198020002020

RIEDLAND. Roman. Von Kurt Guggenheim. Artemis-Verlag, ZüricfeStuftgart. 243 Seiten

Werbung
Werbung
Werbung

Guggenheims schmale« Bändchen „Riedland" bietet dem Leser eine Fülle guter Üeberraschungen. Der Autor erfreut ihn mit hinreißenden Schilderungen einer noch völlig ursprünglichen Landschaft und erweist sich als sicherer Kenner des menschlichen Herzen«. Schwermütig, herb und verhalten wie die Natur der Schweizer Linthebene sind die Menschen, in deren Kreis dieser Roman uns führt. Zwei Handlungsfäden laufen nebeneinander her, sich vielfach überschneidend und durchdringend in verhängnisvoller Wechselwirkung: der harte Zusammenprall einer noch ungebändigten Natur mit der Technik, und die menschlichen Konflikte, die aus alter ungesühnter Schuld erwachsen und immer neue Verstrickungen auslösen.

Im Ried wird ein Bohrturm errichtet, weil man dort Erdöl vermutet. Da entstehen plötzlich Brände im Bereich der „Teufelskirche“, wie der die Bohrungen leitende Ingenieur Rochat den Bohrturm einmal nennt. „Ganz vorn an der Spitze jedes Eisens, das in den Boden getrieben wird, ist die Grenze, wo die zwei großen feindlichen Mächte Natur und Technik aufeinanderstoßen“, sagte er langsam. „Und immer wird es Menschen geben, denen die Eisenspitze so weh tut, als schlüge man sie ihnen in das eigene Fleisch." Die Einheimischen drücken die Problematik einfacher aus: „Bei uns sagt man, es hat einer Heimweh, wenn er etwas anzündet.“ Heimweh, das nicht immer der Heimat gelten muß, das sich auch auf einen Menschen, eine andere Zeit, die Jugend beziehen kann.

Für den alten Riedwart und Gelegenheitsarbeiter Bieli, der, wie sich später erweist, die Brände gelegt hat, gelten beide Motive. Er kann die Vergewaltigung der Natur, mit der er eng verbunden ist, nicht verwinden, und er ist krank geworden vor Heimweh nach Therese, der Lehrersfrau, mit der ihn dunkle Jugenderlebnisse verbinden. Beide sind völlig ihrer unbewältigten Vergangenheit ausgeliefert, deren Schatten nun auch die Gegenwart vergiften. Ein arger Kreislauf von Schuld, Haß und Vergeltungsdrang, dem beide nicht zu entkommen vermögen, und in den auch andere an den früheren Geschehnissen Beteiligte mehr oder weniger tief verstrickt werden. Schwester Pia, die Nonne, die einst diesem Kreis angehörte, findet das erlösende Wort: „Misericordis — hab Erbarmen, Herr!“

Eine lichte Mädchengestalt, Marie, Thereses Tochter, geht unangefochten durch die Ereignisse. Und sie zieht Rochat, der sich nach dem Scheitern der Bohrungen vor dem Nichts glaubt, in ihre helle Welt. Wir sehen die beiden in ein auf echter Liebe aufgebautes gemeinsames Leben gehen.

Ein abseitiger, recht unmoderner Roman, könnte man vielleicht aus unserer Interpretation schließen. Ein zeitloses Buch, müßte es richtiger heißen Denn immer steht der Mensch vor den gleichen Abgrir -

den, die Guggenheim hier so anschaulich schildert. Und aus dem ewigen Ring von Sünde und Schuld und Haß gibt es nur den einen Ausweg der. Liebe„ auf die er verweist; der Liebe, die allein die unser Leben zerstörenden Kräfte zu überwinden vermag.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung