6550267-1947_38_09.jpg
Digital In Arbeit

Unerwünschter Sprachzu wachs

Werbung
Werbung
Werbung

Wie sehr unsere Schriftsprache im Verlaufe der letzten Jahrhunderte verarmt ist, das weist uns die Wissenschaft an beliebig vielen Beispielen nach. Eine Unmenge von Worten ist ihr abhanden gekommen, aber auch Wortformen, Wendungen und Bilder. Glücklicherweise leben viele davon gesund und fröhlich in unseren Muniarten weiter, diesen kostbaren Fundgruben für die Sprachforschung. So bedient sich der Wiener, ohne es zu ahnen, einer großen Zahl von Wörtern, die sich auf gotischen Ursprung zurückleiten lassen, und auch die höchst eigenartige, unser Ohr so seltsam anheimelnde „Ui-Sprachc“ des Niederösterreichers im Viertel unter dem Man-hartsberg birgt noch viel gotisdien Klang. Der schöne Bilderreichtum, aus dem die bäuerlichen Mundarten ihre lebendige Anschaulichkeit schöpfen, ist vorwiegend altes Erbgut. Wie es wohl geschehen konnte, daß sich unser geschriebenes Deutsch vielfach auch Worte entgleiten ließ, die ihm so unentbehrlich waren, daß es sich nur mittels schwerfälliger Umschreibungen einen notdürftigen Ersatz für sie zu schaffen vermochte, dieses Rätsel dürfte kaum zu lösen sein. Von Versuchen, solche irgendeinmal ausgebürgerte Worte wieder in alte Heimatrechte zurückzuführen und. sie dem Sprachschatz wiederzugewinnen, ist wenig bekannt.

Ähnlich wie manches einst blühende Wort aus unserer Schriftsprache sdiwand, schied freilich auch manche Blume aus unseren Gärten, und doch sind sie darum nicht ärmer geworden an Farbenglück und Duft. Pflanzenzüchterisches Bemühen füllt da jede Lücke durch Ersatz aus den noch lange nicht erschöpften Schatzkammern der Wildpflanzen immer wieder reichlich aus. Unserer verarmenden Sprache indessen wird solche neue Belebung nur ganz selten zuteil. Wohl sickern manchmal neue Worte, bisher ungewohnte Wendungen und ungebräuchliche Ausdrucksformen in unser Deutsch ein, doch erweist es sich alsbald, daß sie es keineswegs bereichern, sondern von einem feineren Sprachgefühl abgelehnt werden müssen. Dafür lieferten uns die letzten Jahre manches unerfreuliche Beispiel und es ist an der Zeit, uns dessen bewußt zu werden, wie wenig österreichisch solche Neuerungen fast samt und sonders klingen, wie deutlich sie die Merkmale ihrer fremden Herkunft tragen.

Wo denn wäre auch nur die Spur eines vernünftigen Grundes dafür zu finden, daß wir jetzt immer wieder hören und lesen müssen: „Kommt gar nicht in Frage“, statt „Das kommt nicht jp Betracht“? Verbessert solche Abänderung den Sinn der altgewohnten Redewendung oder erhöht sie ihre sprachliche Form? Weit eher trifft das Gegenteil zu. Fast noch unliebsamer empfindet unser Ohr jenes „Ich denke nicht daran“, das an die Stelle des bisherigen „Fällt mir nicht ein“ zu setzen jetzt Mode geworden ist. Die Betonung wird dabei mit starkem Nachdruck auf das „denke“ gelegt, wodurch die Redewendung etwas Anmaßendes bekommt.

Von den Worten, die in den letzten Jahren in unseren Sprachgebrauch eingeschmuggelt und rasch in Umlauf gesetzt wurden, empfinden wir besonders jenes „prima“ als häßlichen Fremdling, das bisher bloß im geschäftlichen Verkehr als Qualitätsbezeichnung für eine Ware üblich war, nun aber ganz allgemein als höchste Steigerungsstufe für jegliche Art von Anerkennung angewendet wird. Ein Bekannter lebt in einer „prima Ehe“, einer Tante wurde ein „prima Leichenbegängnis“ zuteil, ein Freund bewährte sich als „prima“. Ein Lustspiel wird als „prima Unterhaltung“ empfohlen, ein Alpendorf als „prima Sommerfrische“. In die Gespräche unserer Jugend hat sich als beliebtes Adjektiv zu jeder „Menge“ das Wort „rauh“ eingenistet. „In rauhen Mengen“ hat ein Reicher Geld, reift Obst in einem Garten, muß ein Kranker Pulver schlucken. Auch sind da unter jungen Menschen gewisse Kraftworte in Schwang gekommen, wohl nicht unbegünstigt durch Bücher und Schulen der letzten Jahre. Mag man es immerhin gelten lassen, wenn sportliche Leistungen als „pfundig“ bezeichnet werden, eine schneidige Skiabfahrt etwa, so hört es sich sicher nicht ganz angenehm an, wenn auch Ferienlagern oder geselligen Zusammenkünften nachgerühmt wird, e„ sei dort „pfundig“ zugegangen, ein Ausdruck, der in der Soldatenzeit aus reichsdeutschem Sprachgebrauch übernommen wurde.

Ein bemerkenswertes Schicksal sollte, als der Krieg sich seinem Ende näherte, eines Tages dem Wörtlein „stur“ widerfahren. Plötzlich mußte es aus einer mißachteten in eine hochwertige Wortmünze umgeprägt werden. Vielleicht weil der traurige Geisteszustand, den es seit eh und je kennzeichnete, ein Zustand vollkommener Stumpfheit geworden war, mußten sich die Parteifedern zur Ehrenrettung des Wörtleins „stur“ in Bewegung setzen, und so las man denn mit Staunen, es verdiene keineswegs Tadel, stur zu sein, sondern höchstes Lob. Seit damals scheint es aus unserem Wortschatz gänzlich gestrichen zu sein. Nicht so aber andere politische Modeworte von damals, denen wir gleichfalls am liebsten nie wieder begegnen möchten. Weckt doch das „ausgerichtet“ fast in jedem Zusammenhang, in dem wir es antreffen, die fatale Erinnerung an das Stehen in Reih und

Glied, an Zwang und an Preisgabe aller Persönlichkeit. Vollends verleidet aber ist uns ein Wort, das uns während des Krieges tagtäglich eingehämmert wurde, jener .„Einsatz“, auf den wir in allen Leitartikeln zu Dutzenden Malen stießen, sehr häufig auch in sprachlich plumpen Zusammensetzungen mit anderen Worten, wie „Einsatzbereitschaft“ oder „Einsatzfreudigkeit“, ganz zu schweigen vom „totalen Kriegseinsatz“. Möge es in Hinkunft aufgespart sein für würdige Anlässe, etwa wenn wir vom Einstehen eines Mannes für sein Werk sprechen, oder möge es dem Volksmund überantwortet werden, der sich seiner nur bedient, wenn von den Heim Gastwirt entlehnten Sodawasserflaschen die Rede ist oder von den Drahtfedern in den Betten.

Kaum eines der neuen Worte, kaum eine der neugeprägten Wendungen, mit denen unser Sprachschatz in der letzten Zeit auf meist recht unerwünschte Art bereichert wurde, vermochte in das Volk zu dringen und in seine Umgangssprache aufgenommen zu werden. Darauf allein aber kommt es doch schließlich an.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung