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Verklungenes Lachen

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Man kannte das Zeugerl gut, mit dem Girardi zum Friedhof hinauszufahren pflegte,' um das Grab seines Stiefvaters zu besuchen. Da ging es auch durch die lange Leonhardstraße, in der heute noch das Haus steht, in dem er am 5. Dezember 1850 geboren wurde. Ein unscheinbarer, einstöckiger Bau mit vier schmalen, niedrigen Fenstern. Im Erdgeschoß verkriecht sich eine kleine Weinschenke, deren rauchgeschwärzte' Decke auf dem lichtarmen Raum lastet. Darüber liegt Girardis Geburtssfube. Der grobfaserige Bretterfußboden schwingt leise, wenn draußen die Straßenbahn oder ein Lastauto vorüberpoltern. Die enge Holztreppe knarrt unter den Füßen, und aus dem dunkeln Hof mit seiner mittelalterlichen „Mur - Nockerl“- Pflasterung steigt modrig-feuchte Luft. Auf der Vorderseite des Hauses erinnert eine Gedenktafel, daß der Wiener Alexander Girardi eigentlich ein Grazer ist.

Man kannte das Bild gut. Wie er paffend aus der unvermeidlichen, schweren, grünschwarzen Havanna-Import im weißen Papierspitz vor seinem . Stammabsteigequartier, dem Hotel Erzherzog Johann, aus dem Fiaker stieg. Die Grazer liebten die legere Art seines Ganges und das saloppe Armschlenkern, und mancher gefiel sich darin, ihn zu kopieren. Wenn Girardi “dann den Kutscher entlohnte, gab es ein reichliches Trinkgeld, das mit einem steirischen „Dank schön, Herr von Schiraadi“ quittiert wurde. Nur einmal, im“ ersten Weltkrieg, endete solch eine Wagenfahrt mit einem kleinen Mißklang. Wegen des Pferdemangels verfügte die Stadt hur über einige wenige Einspänner, und im Dienst ergraute Pferde, schon lange zn jedem Landsturmdienst ungeeignet qualifiziert, zogen alte Rüttelkasten, deren verblichene Samtkissen an die Vergänglichkeit alles Irdischen gemahnten. Der Kutscher verlangte nun, in Anbetracht der rar gewordenen Zugkräfte, 30 Kronen., Girardi war auf diesen ungewöhnlich hohen Preis nicht gefaßt und meinte: „Ja, Sie, i hab' ja net g'fragt, was das Roß kost'!“

Die Zimmer Nummer Drei und Vier im ersten Stock des Hotels Erzherzog Johann wurden für Girardi, wenn er sich ansagte, immer gewissenhaft bereitgestellt. Vormittags war er nicht zu sprechen, da er sehr lange zu schlafen pflegte. Und auch wenn er das Bett verlassen, war er noch lange nicht offiziell aufgestanden. Denn das Anziehen dauerte bei ihm zwei bis drei Stunden. Er ging dabei im Zimmer auf und ab, kramte in seinen Koffern herum und trällerte ein Lied nach dem anderen. Nach dem Frühstück —i eine große Schale schwarzer Kaffee und ein Kipfel — ging esmeist in die Herrengasse in die Spezialitätentrafik, wo das alte Fräulein Julie, aus der Grazer Portraitgalerie nicht wegzudenken, schon die gewünschten Zigarren reserviert hatte. Dann besuchte Girardi gern eine Kirche und machte bis zum Mittagessen einen geruhsamen Stadtbummel.

Die Wirtin vom Erzherzog Johann verwöhnte ihren Gast. Sie kannte auch seine Vorliebe für Süßigkeiten. Einmal im Sommer setzte sie ihm eine neue, besonders raffinierte Mehlspeise vor, die den Namen „Surprise“ führte. Worin bestand nun die Überraschung? In einen Biskuitteig war Gefrornes eingeschlossen. Girardi kostete neugierig, bekam aber infolge des starken Temperaturunterschiedes von Hülle und Inhalt Zahnschmerzen. Ärgerlich brummte er: „I weiß net, das schmeckt doch eigentlich wie Frostbeulen in' Filzpatschen.“ Die vielen Mehlspeisen — er aß täglich deren zwei — waren bekanntlich schuld an dem jähen Tod des Zuckerkranken, der von seinem heimtückischen Leiden keine Ahnung hatte. Der Nachmittag, der für Girardi erst gegen fünf Uhr begann, wurde in Graz fast immer zu Spazierfahrten oder stundenlangen Wanderungen in der schönen Umgebung benutzt. Den Rosenberg hatte et| besonders ins Herz geschlossen. Da weitete sich sein Blick; zu Füßen die freundlichen Dächer der Häuser, dazwischen das Grün der vielen Gärten, der dunkle Kranz des Stadtparkes um den guglhupfförmigen Schloßberg. Dann die Berge und im Süden die Ebene, die sich verblauend gegen die Weinberghügel von Marburg verliert. Oben auf dem Rpsenberg lag auch der schöne Besitz der Eltern des Schriftstellers Hugo Oehler, mit dem Girardi enge Freundschaft verband. Bei jeder Premiere mußte Oehler anwesend sein, Girardi war sonst durch nichts zum Auftreten zu bewegen. Fand die Erstaufführung auch in Berlin statt und weilte Hugo Oehler auch gerade jn Nizza oder Paris, er mußte kommen und sein Urteil abgeben.

Abends ging Girardi oft ins Theater. .Die Oper war ihm das Liebste. Er saß aber nie in einer Loge, sondern mitten unter dem Publikum auf einem Balkonsitz. Da war er der dankbärste Zuhörer. Gabs ein Lustspiel, konnte man sehen, wie herzlich und ansteckend er lachen konnte. Die nächtliche Tischrunde im Hotel ' dehnte sich dann meist bis zwei Uhr früh aus.' Hugo Oehler war dabei und Peppi Fellinger, der beste Jugendfreund Girardis, sein einstiger Lehrgenosse in der Schlosserei. Auch der verstorbene Grazer Schauspieler Josef Lippert, den Girardi sehr gut leiden mochte, wurde oft zugezogen. Girardi liebte einen gemütlichen Wirtshaustisch im Kreise von lieben' Freunden, aber er war keineswegs ein Trinker, wie die Odilon, seine erste Gattin, mit. bestimmter Absicht immer wieder behauptete. Es wurde natürlich fast nur vom Theater gesprochen. Dabei tat Girardi einmal den Ausspruch: „Jeder Schauspieler, auch der schlechteste, hat eine Rolle, die ihm keiner nachspielen kann.“ Kam man auf ihn selbst zu sprechen, meinte er bescheiden: „Je älter man wird, desto besser spielt man und desto schwerer wird's einem.“

Girardi gab leidenschaftlich gern Witze zum besten, obwohl er, wie alle witzigen Menschen, eigentlich keine Witze erzählen konnte. Denn er begann gleich mit der Pointe. Und nach dem zweiten oder dritten Satz fragte er seine neben ihm sitzende Frau: „Du, Leonie,“wie war das, wo der ...?“ Und Leonie Latinovic, die Adoptivtochter Bösendorfers, mußte den Witz trotz der vorweggenommenen Pointe „weiter“ erzählen, wobei Girardi lachte, als ob er etwas ganz Neues gehört hätte. Auch die Sekka-turen der „Miß Bauchweh“ (Bowring), der englischen Lehrerin seiner Frau in Ischl, mußten oft herhalten. So schreckte sie Girardi häufig nach dem Zeitunglesen mit den Worten: „Schlecht schreibt man von England.“ — „Warum?“ war die entsetzte Antwort. — „Weil es so weit ist.“ — Immer wieder fiel ihm die arme Miß hinein und drohte, beleidigt davonstürmend, mit ihrem langen, dürren Zeigefinger.

Auch Leo Slezak pflegte im Erzherzog Johann abzusteigen. Er kam häufig nach Graz. Nicht nur wegen des Honorars, das ihm Julius Grävenberg immer pünktlich auszahlte, sondern auch wegen der guten gebackenen Kalbsstelzen, die es ihm angetan hatten und die er hier ohne Kontrolle seiner Familie in Ruhe essen durfte. Einmal gab es sogar ein Doppelgastspiel. Nachmittags trat Girardi als Valentin auf, abends sang Slezak den Rhadames. Die beiden Prominenten spazierten durch den lenzlichen Stadtpark, und Girardi begleitete dann Slezak ins Opernhaus, in die gemeinsame Garderobe. Auf einem Rechen hing das Prunkgewand des ägyptischen Oberfeldherrn und friedlich daneben der bescheidene Tischlerrock Valentins. Girardi sagte: „Alsdann, da kann man leicht wirken, wenn man einen goldenen Sparherd anziehen kann. Da lachen die Leut' schon, wannst herauskommst, bevorst noch das Maul aufmachst.“ Hierauf holte er seinen Handwerksburschenzylinder vom Nagel und fuhr fort: „Sixtes, Stimmtragöde, das aufsetzen und damit die Leut' harangieren, das is a Kunst!

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