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Besuch auf dem Finasserltof

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Dann gingen sie hinten zum Hof hinaus, ia war zwischen dem Kuhstall und der Mauer ein Weg, und neben dem einen Eckturm führte ein kleines Pförtchen ins Freie. Auf dem kleinen Fußweg durch die Wiesen aufwärts sprachen sie viel. Sie fragte ihn, ob seine Eltern noch am Leben, ob er Geschwister gehabt? — da täte er ihr leid, so ganz allein, sie habe zwei Brüder, sonst wären ihrer neun, wenn nicht sechse gestorben wären, die wären alle als unschuldige Kinder im Paradies.

Indem waren sie ans Dorf gekommen. Die Kirche lag seitwärts, sie waren eingetreten, sprachen leise. Romana zeigte ihm alles, einen Schrein mit einem Fingerglied der heiligen Radegundis in goldener Kapsel, die Kanzel mit pausbackigen Engeln, die silberne Trompeten bliesen, ihren Platz und der Eltern und Geschwister, die waren in der vordersten Bank und seitlich der Bank ein metallenes Schildchen, darauf stand: Vorrecht des Geschlechtes Finazzer. Nun wußte er den Namen.

Zu einer anderen Seite traten sie aus der Kirche hinaus, da war man auf dem Kirchhof. Romana ging zwischen den Gräbern um wie zu Hause, sie führte Andreas zu einem Grabhügel, da waren mehrere Kreuze hintereinander eingesteckt. „Hier liegen meine kleinen Geschwister, Gott hab' sie selig“, sagte sie und bückte sich und jätete zwischen den schönen Blumen das wenige Unkraut. Dann nahm sie das kleine Weihwasserbecken vomt vordersten Kreuz ab und sagte: „Ich muß ihm frisches Weihwasser eintun; die Vögel setzen sich fleißig drauf und schmeißen's um.“ Indessen las Andreas die Namen ab: da waren die unschuldigen Knaben Aegydius, Achaz und Romnald Finazzer, das unschuldige Mädchen Sabina und die unschuldigen Zwillingskinder Mansuet und Bibiana. Andreas schauderte in sich, daß sie so früh hatten hinwegmüssen, keiner auch nur ein Jahr hier geweilt, der eine nur einen Sommer, einen Herbst gelebt. Er dachte an das warmblütige freudige Gesicht des Vaters und begriff, daß der Mutter ihr ebenmäßiges Gesicht härter und blässer war. Da kam Romana mit Weihwasser in der Hand aus der Kirche zurück, sie trug das kleine Becken mit ehrfürchtiger Achtsamkeit, keinen Tropfen zu verschütten. Gerade in ihrem bedachten Ernst war sie ein Kind, im Unbewußten aber und in der Lieblichkeit und Größe eine Jungfrau. — „Hierum liegen lauter meinige Verwandte“, sagte sie und sah mit den leuchtenden braunen Augen über die Gräber: es war ihr wohl, hier zu sein, wie ihr wohl war, bei Tisch zwischen Vater und Mutter zu sitzen und den Löffel in den wohlgeformten Mund zu führen. Sie schaute, wo Andreas hinsah: ihr Blick konnte so fest sein wie der eines Tieres und den Blick eines anderen, wo der hinschweifte, gleichsam nehmen.

In der Kirchenmauer hinter den Finazzer-gräbern war ein großer rötlicher Grabstein eingelassen, darauf die Gestalt eines Ritters, gewappnet von Kopf zu Fuß, den Helm im Arm, zu seinen Füßen ein kleiner Hund, so lebendig, als schliefe er nur, dessen Pfoten rührten an ein Wappenschild. Sie zeigte ihm das Hunderl, das Eichkatzerl mit Krone

in den Pfoten und selber gekrönt, als Helmzier. „Das ist unser Urahn“, sagte Romana, „derselbige ist ein Ritter gewesen und von Wälschtirol hierher angesessen.“ — „So seid ihr adelig, und das Wapppen, das ob der Sonnenuhr ans Haus gemalt ist, ist euer?“ sagte Andreas. — „Schon“, sagte Romana und nickte, „daheim ist im Buch alles abgemalt, und das heißt man den Kärntnerischen Ehrenspiegel. Das ist aus der Zeit vom Kaiser Maximilian dem Ersten, das kann ich Ihnen zeigen, wenn Sie es sehen wollen.“

Daheim zeigte sie ihm das Buch, und ihre Freude war groß wie die eines wahrhaften Kindes über die vielen schönen Helmzierden. Die Flügel, springende Böcklein, Adler, Hahn und ein wilder Mann — nichts entging ihr, aber das eigene Wappen war das schönste: das Eichhörnchen mit der Krone in der Hand; es ist nicht das schönste, aber es ist ihr das liebste.

Dann brachte sie ein anderes dickes Buch, da waren die Höllenstrafen verzeichnet: die Martern der Verdammten waren angeordnet nach den sieben Todsünden, alles in Kupfer. Sie erklärte Andreas die Bilder, wie jede Strafe aus der Sünde genau hervorgehe; sie wußte alles und sprach alles aus, ohne Arg und ohne Umschweif; es war Andreas, als schaue er in einen Kristall, in dem lag die ganze Welt, aber in Unschuld und Reinheit.

Indem stiegen Romana und Andreas in dem einen Turm, der gegens Gebirge hin stand, die Wendeltreppe empor. Oben war ein kleines rundes Gemach, da hockte auf einer Stange ein Adler. Ueb'er sein ver-steintes Gesicht, in dem die Augen wie erstorben lagen, flog ein Licht, er hob in matter Freude die Schwingen und hüpfte zur Seite, Romana setzte sich zu ihm und legte eine Hand auf seinen Hals. Den habe der Großvater heimgebracht, noch fast nackt. Denn Adlerhorst-Ausnehmen, das sei dem Großvater sein' Sach' gewesen, sonst habe er bereits nichts getrieben, aber oft weit reiten, dann herumsteigen, Horst aufspüren wo im Gewänd, die Leut' von dort aufbieten, Senner und Jäger, die längsten Kirchenleitern aneinanderbinden lassen, hinauf und ein Nest ausnehmen oder an einem Strick sich herablassen kirchturmtief. Das sei sein' Sach' gewesen und schöne Frauen heiraten. Das habe er viermal getan, und nach jeder Tod allemal eine noch schönere und allemal aus der Blutsfreundschaft, denn, habe er gesagt, übers Finazzersche Blut gehe ihm nichts. Wie er den Adler da gefangen, sei er schon vierundfünfzig gewesen und an vier Kirchenleitern neun Stunden über dem schrecklichsten Abgrund gehangen, darauf aber seine letzte Frau gefreit. Die wäre eines Vetters junge Witwe gewesen und hätt immer nach dem Großvater gelangt, niemanden anders angeschaut als diesen und sich fast gefreut, wie ihr Mann sich totfiel — vor einem scheuen Ochsen —, von dem sie ein schönes kleines Mädl hatte, eine hochschwanger gehende Frau damals. So waren der Vater und die Mutter zusammengebrachte Kinder gewesen, die Mutter ein Jahr älter als der Vater. Darum hingen sie auch gar so sehr aneinander, weil sie vom gleichen Blut

waren. Wenn der Vater verritte, nach Spittal oder ins Tirol hinüber, Vieh einkaufen, und wäre es auch nur auf zwei oder drei Nächte, so ließe ihn die Mutter kaum los, da weinte sie allemal und jedesmal wieder, hing lang an ihm, küßte ihm den Mund und die Hände und hörte nicht auf mit Winken und Nachschauen und Segennachsprechen. So wollte sie auch einmal mit ihrem Mann zusammenleben, anders wollte sie's nicht.

Indem waren sie über den Hof gegangen, neben der Hoftür war eine Holzbank inner der Mauer, dort zog sie ihn hin und hieß ihn neben sie setzten. Andreas war es wunderbar, wie das Mädchen so ungehemmt alles zu ihm redete, als ob er ihr Bruder wäre. Auf einmal sah Andreas drüben im Haus, in einem ausgebanchten Fenster im Oberstock die Mutter stehen und auf sie herabschauen. Er sagte es zu Romana. Durchs

bleigefaßte Fenster schien ihm das Gesicht der Frau trüb und streng, er meinte, sie müßten jetzt aufstehen und ins Haus gehen, die Mutter würde sie brauchen oder sie wolle nicht, daß sie so beisammen hier säßen. Romana nickte nur froh und frei, zog ihn an der Hand, er solle sitzen bleiben, die Mutter nickte dazu und ging vom Fenster weg. Das war Andreas fast unbegreiflich, er wußte nichts anderes gegenüber Eltern ud Respektspersonen als gezwungenes und ängstliches Betragen; er konnte nicht denken, daß der Mutter ein solcher freier Umgang anders als mißfällig wäre, wenn sie es schon nicht ausspräche. Er setzte sich nicht wieder, sondern .sagte, er müsse doch jetzt nach dem Pferde sehen.

Aus dem Romanfragment ,,Andreas oder Die Vereinigten“, Bermann-Fischer-Verlag.

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