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Der Dieb aus Liebe

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Als ich einmal aus der Studierstadt zu den Osterferien in mein egerländisdies Heimatnest kam, erlebte ich Schrecken und Schmerz. Der Matz, unsere geliebte Hausdohle, war seit Wochen abgängig. Meine Eltern hatten mir von diesem Unglück nichts geschrieben, um mich im Studium, dem sie mich rastlos hingegeben glaubten, nicht zu stören. Vor etwa drei Jahren hatte ein Dorfbub das junge Tier dem Lehrer, meinem Vater, in die Schule gebracht; der Matz war zahm, anhänglich und insofern sogar zimmerrein geworden, als er meist im Stiegenhaus der Schule, in Hof und Garten und auf Nachbardörfern sich aufhielt oder auch auf ausgedehnten Diebsflügen beschäftigt war. Bei solch einem Ausflug, so meinten meine Eltern, mochte der Matz in grausame Hände gefallen sein. Sie verdächtigten niemand, aber bald nach meiner Heimkunft kam mir das Gerücht zu Ohren, der Maurer Ferdinand J. vulgo Patzenferdl habe den populären Vogel eingefangen und sei mit ihm in die Saison nach Sachsen gefahren. Dieser Patzenferdl war ein lediger Mensch, gegen die Vierzig alt, in einem Häuschen nächst dem Kirch- platz vereinsamt und ein harmloser Kauz.

Seine Ehrlichkeit war bisher außer Zweifel gestanden, aber jedermann im Ort wußte um seine heiße Liebe zu unserem Vogel, der sein einziger Besuch und offenbar seine einzige Freude war. Ihm hielt er auch im Winter ein Fenster offen und Leckerbissen bereit und nur zu ihm redete er, der Stotterer, gern ein paar ungeschlacht-zärtliche Worte. Es hieß, seine ebenfalls vereinsamte Nachbarin, die einäugige Berger-Wettl — sie lebte kümmerlich von einer kleinen Erbschaft, auch von Hühner- und Kaninchenzucht —. beneide den Vogel herzlich.

Als ich am Gründonnerstag mit meinen Eltern aus der Kirche kam, stand die Kapelle der Ratschenbuben mit ihren Instrumenten am Weg und grüßten leidenschaftlich und als wir vorüber waren, erscholl hinter uns der Sprechchor: „Dem Ober lehrer saa Duhl’n hot der Patzenferdl g’stuhl’n.“ Da sahen wir nun ein erzürntes Weib in riesigen Filzschuhen unter die Buben fahren und Ohrfeigen austeilen. Es war die Berger-Wettl. Während die flüchtige Horde aus sicherer Entfernung ihren Vers hartnäckig wiederholte, trat sie zu meinen Eltern:

„Glauben S’ ja nicht, was die bösen Zungen sagen und die vermaledeiten Lausbuben! Der Ferdl ist kein Dieb nicht, niemals nicht gewesen. Das ist ein Ehren mensch, das kann ich beeiden. Ich hab nix davon. Jetzt ist er auf Arbeit in Sachsen drüben, so kann er sich nicht verdefen- dieren, aber ich verdefendier ihn. Ich hab nix davon“

Meine Eltern beruhigten sie. Sie hätten den Patzenferdl nie in Verdacht gehabt. Die Berger-Wettl seufzte erleichert auf, tat einen dankbaren Blick aus ihrem einzigen schönblauen Auge und empfahl sich mit demütigem Gruß. Ich sah sie noch mit ihrer mageren Faust zu den Buben hinüberdrohen, die immer unbändiger schrien: „Dem Oberlehrer saa Duhl’n hot der

Patzenferdl g’stuhl’n."

Es war früher Karsamstagabend, die Auferstehungsprozession ging den langen Kirchenplatz entlang, das Volk sang, von schmetternder Blechmusik begleitet, und betete abwechselnd mit heller Stimme. Vor dem schneeweißen Baldachin, unter dem der Herr Pfarrer die Monstranz trug, und den Ministrantenbuben, die mit ihren Handglodken eifrig ihres Amtes walteten, ging mein Vater mit den ihm Untertanen Chorsängern. Meine Mutter und ich waren auch dabei. Die Kirchenfahnen, die an der Spitze des Zuges sanft in der

Abendluft flatterten, senkten sich eben, um durch das niedrige Portal ins Gotteshaus zurückzukehren, da wurde die fromme Feier gestört. Uber den entblößten Häuptern flog ein schwarzer Vogel mit verrücktem Gekrächze hin und wider. Es war das Freudengeschrei unseres heimkehrenden Matz. Jetzt hatte unser Liebling die Seinen entdeckt und saß auch schon fiügelsdilagend auf meinen Schultern. Gleich darauf wippte er auf meines Vaters Kopf, ununterbrochen seinen Gruß schreiend. Die Leute laditen, auch meine Mutter kicherte ins Taschentuch, aber der Vater war betreten und befahl mir, der ich vor Freude fast außer mir war, das „Mistvieh" zu fangen und heimzutragen. Das tat ich unter dem sidit- lichen Gaudium der Ministranten, die eine Weile lang ihre Glocken vergaßen. Idh glaubte sogar den Herrn Pfarrer lächeln zu sehen, aber ich habe mich wohl getäuscht.

Nach dem Gottesdienst gab es daheim ein wahres Fest des Wiedersehens und der Huldigungen für unseren Matz, der dabei freilich immer müder wurde und bald vor Schläfrigkeit sich kaum auf den Beinen hielt. Mein Vater nahm das Won „Mistvieh“ reuig zurück, es vertrug sich nicht mit dem Respekt, den wir vor der Treue und Klugheit unseres Lieblings bekamen.

Er mußte aus weiter Fremde den Wog zu uns gesucht haben, denn um das linke seiner schwarzen, wie von Lade glänzenden Füßchen ringelte sich ein Stücklein dünnen Drahtes, an dem ein winziges Messerblättchen baumelte. Das trug die Buchstaben F. J. eingeritzt, die Initialen des Patzenferdl, der jetzt in irgendeiner sächsischen Stadt arbeitete. F. J.! Wir wußten um die Schrulle des Patzenferdl, diese Buchstaben überall dorthin zu schreiben und hinzumalen, wo er es durfte. Über jedem Fenster seines Häuschens prangten sie in roter Farbe, in weißer an seiner grünen Haustür und sogar droben am ziegeinen Schornstein. Sie waren auch in dem hölzernen Eimer eingebrannt, mit dem er aus dem Brunnen im Hof der Berger-Wettl jeden Morgen stumm sein Trinkwasser holte. Jetzt verrieten sie den Dohlendieb.

Während der Osterfeiertage kam die Berger-Wettl ins Schulhaus und bat meinen Vater unter vielen Tränen ihres einzigen blauen Auges, den Buhfn die Schandmäuler zu stopfen; sie schrien ihr jetzt den verleumderischen Vers in ihre Fenster hinein. Mein Vater versprach es. Er denke nicht daran, ihr den guten Glauben an den „Ehrenmenschen“ Ferdinand zu nehmen.

Unser Matz war sehr abgemagert und mit zerzausten Federn heimgekommen, erholte sich aber bald und nahm sein bewegtes Leben wieder auf. Wie ich später, während der großen Ferien sehen konnte, war er im Umgang mit Fremden vorsichtiger geworden. Wohl saß er ganz wie ehedem an jedem Freitag — er wußte genau, wann Freita? war — zur Mittagstunde auf dem Kirchendach und spähte nach einem offen Fenster, in das man seine Lieblingsfastenspeise zum Auskühlen hingestellt hatte: mit Käse gefüllte Knödl. Dann flog er hin und hackte sich seinen Brocken heraus, ließ sich aber dabei von gutmütigen Menschen nicht mehr das Köpfchen streicheln.

Im späten Herbst kam der Patzenferdl heim. Wie mir meine Eltern- später genau erzählten, fand er sich eines Abends bei ihnen ein.

„Ich soll Ihren Vogel gestohlen haben.“ „Wir haben Sie nicht beschuldigt", sagte meine Mutter. „Der Matz ist wieder da und damit ist alles gut.“

„Aber ich bin’s nicht gewesen, ich nicht.“ Sie merkte gut, mit welcher Anstrengung er log und wie ihn das Gewissen drückte. „Haben S’ dem Schandarm was g’sagt?" „Nein, er hat auch nicht gefragt. Aber jedenfalls hat er von der Sache Wind bekommen. Sie haben übrigens in der Berger- Wettl eine eifrige Verteidigerin gegen das Gerede gewonnen. Sie war auch bei uns und hat den Ferdl mit aller Gewalt ver- defendiert.“

„Das hat S’ getan?"

„Ja, aber an keinem Unschuldigen." Meine Mutter holte aus einem Nähkörbchen das Endchen des Drahtes mit dem Messingblättchen:

„F. J. — Wer ist das?"

Der Ferdl nickte seufzend ein paarmal mit seinem kantigen Kopf, als wollte er sagen: Ja, das hab ich gefürchtet. Er wurde weinerlich und bedeckte sdiamvoll die Augen:

„Ich hab das Vogerl so narrisch gern gehabt. Wenn man in der ganzen Welt keinen Menschen nicht hat...“

„Man muß sich halt um die Mensdien kümmern, lieber Ferdinand. Aber das zu tun, fällt Ihnen nicht ein. Da ist die Berger-Wettl, Ihre Nachbarin, eine anständige Person. Sie hat einen Fehler im Gesicht, aber der Ferdl ist auch lang nicht so schön wie der heilige Sebastian links von unserem Hochaltar. Alle Tage holen Sie bei der Wettl ihr Trink wasser, würdigen sie aber weder eines Wortes noch eines Blickes. Die Wettl hat Sie dennoch ganz gern, sonst tat sie Sie nicht so eifrig verdefendieren.“

Sagen Sie ihr nichts davon, daß ich ... bitt sdiön ..

„Nein, wir schweigen. Aber gehen Sie ziu der Wettl und bedanken Sie sich!“

Der Patzenferdl versprach es unter Schluchzen und Tränen.

Er hat sein Wort gehalten. Mehr noch, er hat seine Nachbarin geheiratet. So ist er bei der leidigen Diebsgeschichte mit einem blauen Auge davongekommen, mit dem der Berger-Wettl.

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