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Villon-Kantate und Lincoln-Porträt

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Johann Nepomuk David war der älteste, Karl Maria Brandstetter (geb. 1923) der jüngste Komponist in einem Orchesterkonzert der Oesterreichischen Gesellschaft für zeitgenössische Musik im Großen Musikvereinssaal. In einer „Fantasie über die Sequenz Dies Irae für Orgel“ (gespielt von losef Nebois) hat sich Brandstetter, von dem wir einige gut durchgeformte Kammermusik- und Chorwerke kennen, ganz der Improvisation und dem Klangfarbenspiel überlassen. Aber auch eine „Fantasie“ bedarf der Form und die vielen verlockenden Register der modernen Konzertorgel der stilvollen Beschränkung. Wer diese Grundsätze außer acht läßt und sich dazu noch einer von Reger ausgehenden Super-chromatik bedient, tut es auf eigene Gefahr. — Plastischer geformt sind die neun Variationen einer „musikalischen Historia“ für Orchester mit dem Titel „Polyhymnia“ von Ernst T i 11 e 1. Der Komponist musiziert im Stil des gregorianischen Chorals, der Romanik, der Spätgotik, der Renaissance, der Wiener Klassik, der Romantik, des Impressionismus und der Dodekaphonik. Aber leider ohne Witz und Ironie, sondern nur „in modo“ und auf recht akademische Art, die wohl das handwerkliche Können, aber nicht die persönliche Handschrift des Autors erkennen läßt. Weniger unpersönlich ist der Stil des dreisätzigen „Konzerts für Orchester“ von Fritz Skorzeny, dessen einzelne Teile etwas zu wenig kontrastieren. — Die uraufgeführte „Ballade für Orchester“, op. 21, von Hans Erich Apostel litt vor allem unter der ungenauen Wiedergabe. Es handelt sich hier um die Erweiterung und Instrumentierung eines frühen Klavierwerkes für großes — wie es uns scheint: allzu großes Orchester, allenfalls in allzu starker Besetzung. So entsteht nicht nur der der Ballade angemessene Eindruck des Düsteren, sondern auch des Schwerflüssigen und Langatmigen (trotz der geringen Dauer von nur etwa sieben Minuten). Davids „Symphonische Variationen über ein Thema von H. Schütz“ wirkten, am Ende dieses Programms, wie ein Meisterwerk: duich die Einheitlichkeit ihres Stils, ihre souveräne Satzkunst und die Konzentration auf das Wesentliche. Im Unterschied zu späteren Werken Davids ist die Instrumentierung dieser Schütz-Variationen geradezu effektvoll. (Es spielten die Wiener Symphoniker unter Gustav Koslik.)

Im Auftrag des Oesterreichischen Rundfunks schrieben Franz Krieg und Anton Heiller die Funkballade für Soli, Chor und Orchester „F r a n c o i s Vi Hon“, die auch, als Oesterreichs Beitrag, zum Frix d'ltalia 1956 eingereicht war. In einem Vorspruch und in mehreren Zwischentexten stellt Franz Krieg die ergreifende und zwielichtige Gestalt des Poeten und Vaganten vor uns hin, dessen Tragik im Widerspruch seiner dichterischen Begnadung und seines verrotteten Lebens lag. Die berühmten und oft übertragenen Gedichte Villons hat Franz Krieg neugedichtet und, dem Kunstgesetz des Kontrasts, der Antithese, folgend, zu einem dramatischen Zyklus gefügt. Darüber hinaus gibt der Textautor aber auch einen Kommentar, eine Legende dieses Lebens aus christlicher Sicht: ohne Heroisierung und Schönfärberei, aber auch ohne Anprangerung und selbstgerechte Verdammung. „Wer aber kennt sich selbst?“ — Nur Gott schaut uns bis auf unseres Wesens Grund. Anton Heil ler, der von der Kirchenmusik herkommt, hat als Komponist alle Register seiner reichen Begabung gezogen. Vom Eingangschor „Das war der arme Francois Villon“ über das Chanson von den Mädchen in den Schenken, auf das ein ergreifendes Gebet an die Himmelskönigin folgt, bis zur herben Choralmeditation der Bläser am Schluß offenbart sich hier eine musikdramatische Begabung ersten Ranges. Gewiß sind Anregungen großer zeitgenössischer Meister spürbar, vor allem Martins, Strawinskys und Orffs. Aber die persönliche musikalische Aussage ist so stark, daß der Hörer 70 Minuten lang pausenlos in Bann gehalten wird. (Die ausgezeichnete Aufnahme unter der Leitung des Komponisten und in der Regie Preinfalks ist in einer Nachtsendung des Oesterreichischen Rundfunks über die Sender I und II am 10. Dezember um 0.05 Uhr zu hören.)

Im Zyklus „M usik der Nationen“ dirigierte Charles Adler im Großen Sendesaal das Rundfunkorchester. Von den fünf aufgeführten Werken amerikanischer Komponisten zeigten die ersten drei (Barber: Ouvertüre „The School of Scandal“, Foote: Suite für Streicher und Ives: III. Symphonie) wenig Eigenart. Ansprechender ist eine kleine symphonische Dichtung von Tom Scott „Johnny Appleseed“, die vom Gründer der Obstbaumschulen erzählt, der am Ende des 18. Jahrhunderts mit den Pionieren westwärts zog und überall Apfelbäume pflanzte. „Meine Musik“, sagt Scott, „ist ein Versuch, ein wenig von dem Geist, der diesen Mann belebte und ein bißchen von seinem Humor und der Phantasie“ Amerikas einzufangen.“ Das ist gut gelungen — und dazu reicht es. Anspruchsvoller ist Aaron Coplands „Lincoln-Po r t r ä t“, ein musikalisches Denkmal für die bedeutende Persönlichkeit des großen Präsidenten, „der ein magerer und trauriger Mensch war“.. Zur großzügig und pathetisch malenden Musik tritt ein Sprecher (Helmut Janatsch), der Kernsätze und Maximen aus Lincolns Reden rezitiert. Auch hier ist vom guten jungen Geist Amerikas etwas spürbar.

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