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WARUM ICH DICHTE

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Zwei Frogen werden nicht ganz seifen on mich gerichtet, eine persönlich gefärbte und eine mehr auf das Grundsäizliche zielende. Beide sind nahezu identisch: die Frage, was ich mit meiner Dichtung denn eigentlich wolle, und die andere, worin ich Aufgabe und Sendung des Dichters und der Dichtung erblicke. Beide Fragen sefzen mich jedesmal in Unbehagen und Verlegenheit. Eigentlich könnte ich sie nur mit einem Achselzucken beantworten.

Lege ich aber diese Fragen mir selber vor und formuliere ich, beide zusammenfassend, folgendermaßen: „Warum dichfe ich?“, so bin ich augenblicklich mit der bündigsten aller Antworten bei der Hand. Sie lautet: Weil es ein offenbar elementares Bedürfnis meiner Nafur ist, weil ich dem Trieb nachgeben will und mufj, der mich von früher Jugend an beherrscht hat; anders vermöchte ich nicht zu leben.

Es lockt, nein, es nötigt mich, im Gedicht das auszusprechen, was als Empfindung und Anschauung mich überwältigt, und es lockt und nötigt mich, in der Epik und insbesondere in ihrer strengsten und höchsten Form, in der Novelle, den Menschen in seiner Freiheit und in seiner Notwendigkeit zugleich zu erblicken und in der scheinbaren Regellosigkeit, Willkürlichkeit und Zufälligkeit unseres irdischen Geschehens jener Gesetzlichkeit nachzuspüren, die mir als das Unterpfand der Richtigkeit und Rechtmäßigkeit des Weltgefüges und aller in ihm statthabenden Bewegungen erscheint.

Das hieße also: Was ich mit meiner Dichtung will, das ist nicht etwa die Erfüllung einer außerhalb meiner selbst und außerhalb meiner Dichtung gelegenen Aufgabe. Es ist zunächst etwas auf mich selbst Bezogenes, nicht etwas auf die anderen Menschen Bezogenes, an die sich zugegebenermaßen und unmißverständlich meine Dichtung doch wendet.

Und dennoch sind diese anderen, nenne man sie Leserschaft oder Publikum, auf eine Weise bei aller dichterischen Hervorbringung zugegen, denn zum mindesten unbewußt stellt der Dichter sich immer den Leser vor Augen, den er freilich mit sich selber zu identifizieren geneigt sein wird. Etwa wenn er sich über seiner Arbeit die Frage vorlegt: Ist dieser oder jener erzählerische Zusammenhang bereits deutlich genug geworden, ist dies Motiv, ist jenes Geschehnis schon genügend vorbereitet, erscheinen die Handlungen der und der Gestalt auf Grund dessen, was bisher von ihr ausgesagt wurde, auch glaubhaft, oder bedürfte der und der Zug am Ende einer Unterstreichung? Für den Dichter selbst, der doch die darzustellenden Vorgänge kennt, brauchte es solcher Ueberlegungen ja nicht. Ich meine, dieses Beispiel mache es einleuchtend, wie sehr ein imaginärer Leser dem Schreibenden fortwährend über die Schulter guckt und wie sehr der Schreibende, der nur sich selber zu befriedigen, nur die eigene Lust zu sättigen denkt, diese Sättigung doch erst erreicht, und sei es auch nur in der Approximation, wenn er diesem imaginären, diesem idealistischen Leser Genüge getan zu haben glaubt. Denn dieser Leser ist ihm der Richter, und dieses Lesers zum wenigsten vermeintliches Urteil ist ihm der Maßstab, an dem er den nie ganz aus der Welt zu schaffenden Abstand zwischen dem von ihm Gewollten und dem ihm Gelungenen mißt. Dieser während des Hervorbringungsprozesses meist durchaus unbewußt auftretende Gedanke an den Leser wird den Dichter auch da beherrschen, wo er etwas schreibt, dessen Veröffentlichung er, aus welchen Gründen immer, keineswegs beabsichtigt. Der imaginäre Leser würde sogar zugegen sein, wenn ich ä la Robinson auf eine wüste Insel verschlagen und, aller Hoffnung auf Rückkehr zu den Menschen endgültig beraubt, etwa auf getrocknete Palmbläfter Gedichte oder Erzählungen schriebe. Dies Beispiel mag darfun, daß es sich hier nicht um eine Spekulation auf das Publikum handelf, sondern um die bis zu einer bestimmten Grenze durchgeführte Personifizierung der den Dichter beherrschenden Kriterien. Ist nun in der Gleichzeitigkeit eines Strebens, das ausschließlich sich selber meint, und eines Sfrebens, das sich doch auf irgendeine Weise an den feilnehmenden andern, also den Leser oder Hörer, wendet, nicht eine Unstimmigkeit enthalten?

Vielleicht. Dann gönne man ihr einen Platz unter all den Unstimmigkeiten und Para-doxien unserer Welt, hinter denen sich doch jene Richtigkeit verborgen hält, die ich unter dem Namen der ewigen Ordnungen begreife und die vielleicht das verborgene Zentrum meiner dichterischen Aussage bildet.

Hier ist der Punkt, an dem die Aufgabe des Dichfers, soweit von einer solchen gesprochen werden darf, sich mir darstellt, der Punkt, an dem es anschaulich wird, wie das ..Amt des Dichters mit dem Triebe der Selbstsättig|jng, mit diesem Gar-nfchj-anders-Können, zusammenfällt.

Der Dichter soll nicht lehren, ja, vielleicht nicht einmal verkündigen. Er soll trachten, sichtbar zu machen. Hofmannsthal hat einmal gesagt: „Wir vermögen nur die Gestalt zu lieben, und wer die Idee zu lieben vorgibt, der liebt sie immer als Gestalt. Die Gestalt erledigt das Problem, sie beantwortet das Unbeanfworfbare.“ In diesen Worten habe ich mit Freudigkeit eine Bestätigung dessen gefunden, daß es meine Obliegenheit ist, nicht so sehr Gedanken, als vielmehr Bilder und Gestalten aufzustellen.

(Aus „Privilegien des Dichters“, Verlag Aube, Zürich)

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