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Warum sind wir modern?
Film, Musik, Bildende Kunst, Theater; die Reihe der Erscheinungen der Kultur unserer Zeit ließe sich fortsetzen. So wie der Streit um die Moderne sich fortsetzen wird, ungeachtet der Tatsache, daß wir Kritiker immer wieder, trotz vieler kleiner und größerer „Nein“, unser großes ,Ja“ sagen werden. Unser Ja zur Mo-
derne. Warum? Sind wir Snobs, Adabeis, die eben glauben, „mitmachen“ zu müssen, so wie andere Menschen bei anderen Sachen „mitmachen“ und mitgemacht haben (bei Sachen, die nicht selten viel blutrünstiger sind als die „Grausamkeiten“ der modernen Kunst, über die sich empfindsame Mitmacher entrüsten)? Sind wir Besserwisser, die sich über die „Unbildung“ breiter Massen angesichts moderner Musik, Theaterstücke, Formexperimente entrüsten oder lustig machen? Sind wir Dekadente, Sumpfblüten der großen Städte, die in ihren zarten Nasen den herben Ruch von Blut und Boden, von simpler, handfester Art nicht vertragen und sich deshalb nach dem „Ausgefallenen“ sehnen? Sind wir Intellektuelle, im Geist und vom Geist verdorben, dieweil einfache Sinnesart ihr Recht beansprucht, im Stile des Neon-Biedermeier-Materialismus „schöne“ Möbel, Vasen, Stücke, Bilder zu sehen und zu kaufen? (Denn, nicht wahr, für sein gutes Geld will man doch etwas „Gutes“, Handfestes haben, woran man sich „halten“ kann?)
Nichts dergleichen. Vielleicht sind wir Kunst-und Kulturkritiker, die unser Ja zur Moderne sagen, die allereinfachsten, offensten Menschen: die ihr Ja sagen, weil sie ihre .Sache lieben.
Mögen auch wir, gerade wir, hundertmal raunzen und tausendmal über diesen und jenen Exzeß, diesen und jenen Fehltritt in unserer Zeit verbittert sein, mögen wir bisweilen selbst in einen gewissen Predigtton verfallen und im Angesicht ihrer Versuchungen und Gefährdungen warnend die Stimme erheben: das alles ist Nebensache. Die Hauptsache heißt: Wir lieben unsere Zeit als die Gegenwart, als die Zeit unserer Zeitgenossen. Irgendwie mit all dem, was uns in ihr zukommt an Spielen, Experimenten, an Versuchen und auch an Versuchungen.
Ist das nicht leichtsinnig? Ziemt eine solche Verliebtheit in die Zeit dem Christen? Ich glaube schon. Meister Eckhart, vielleicht das größte religiöse Genie der Deutschen, sagt seinen Zuhörern immer wieder: Gott ist ein Gott der Gegenwart; wenn ihr nur einen gedachten Gott habt, so wird dieser Gott mit euren Gedanken vergehen.
Was hat das mit der modernen Kunst, Kultur usw. zu tun? Sehr viel, wie wir Kinder der Zeit, wir Kritiker, meinen: wir wollen uns nämlich nicht falsche Götzen machen, Bilder, Töne, Formen, nach unseren „Gedanken“, die, wie die der meisten Menschen, nicht selten in alten Aengsten und Engen verhaftet sind. Wir wollen uns offen halten für die neuen Spiele, für die neuen Horizonte, für die Erschließung der schöpferischen Möglichkeiten des Menschen, der, soll er nicht zugrunde gehen in neuen Kriegen und Bürgerkriegen, heraus muß aus den Engpässen vergilbter Formen, Töne, Farben, von Häusern und Denksystemen, die dem Menschen
den Atem der Freude, der Freiheit und des Friedens nehmen, ihn gar nicht aufkommen lassen. — Wir sehen, ehren und anerkennen in der modernen Kunst und Kultur den großen und legitimen Versuch des Menschen, die Kräfte seiner Phantasie, seiner Vernunft und seines Herzens ebenso ernst zu mobilisieren wie
in der Vergangenheit die Kräfte de Menschen für sehr andere Dinge mobilisiert wurden.
Genug der „großen“ Worte. Zum Abschluß ein ganz kleines Wort, eine kleine Frage: Glaubt man wirklich, daß die moderne Kunst und Formkultur, die in der tausendfarbigen äußeren Vielfalt ihrer Werke in aller Welt, von Südamerika über Europa bis Japan, eine ergreifende innere Einheit erkennen läßt — die erste formale Weltkultur, d i • d i • E r d
gesehen hat —, nichts ist als die Spielerei tollkühner, verwegener Kinder?
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